Schulessen
Wenn Milch, Soja, Eier oder Nüsse zum Problem werden
Mit dem Anspruch auf Ganztagsförderung ab Mitte 2026 wird das gemeinsame Essen in der Schule noch wichtiger. Derzeit fehlen aber einheitliche Regelungen für die Mittagsverpflegung der Kinder mit Lebensmittelunverträglichkeiten.
Kinder, die ab dem Schuljahr 2026/27 eingeschult werden, haben in der Grundschule einen Rechtsanspruch auf Ganztagsförderung. Einige Grundschulen werden dann erstmals für die passende Verpflegung sorgen müssen. Im Idealfall bedeutet das, auch die Bedürfnisse der Kinder zu berücksichtigen, die aus medizinischen Gründen nicht jedes Gericht essen können. Je nach Schätzungen haben 4 bis 6 Prozent der Kinder eine Lebensmittelunverträglichkeit, darunter Allergien gegen Milch, Eier, Soja oder Nüsse sowie Intoleranz gegenüber Laktose oder Fruktose. Besonders herausfordernd ist Zöliakie, eine Autoimmunerkrankung, bei der schon kleinste Mengen Gluten Entzündungen auslösen können.
Meist kommt das Essen vom Caterer
Nur wenige Schulen bereiten die Mahlzeiten vor Ort frisch zu. Die meisten beziehen ihr Essen von Caterern – beauftragt von den Schulträgern, also in der Regel von Kommune, Stadt oder Landkreis. Bundesinitiativen für eine bessere Schulverpflegung wie „Schule+Essen = Note 1“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) legen zwar den Fokus auf gesundes und nachhaltiges Essen, berücksichtigen aber kaum Lebensmittelallergien. Der „DGE-Qualitätsstandard für die Verpflegung in Schulen“ erwähnt diese nur kurz und empfiehlt eine möglichst uneingeschränkte Teilnahme betroffener Kinder, macht aber keine bindenden Vorgaben.
Lediglich die Kennzeichnung von 14 Hauptallergenen ist bundesweit vorgeschrieben – für viele Kinder ist das nicht ausreichend. „Denn Spuren von Allergenen in den Gerichten fallen nicht darunter“, sagt Stefanie Reicherter von der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft. „Dabei sind sie bei Zöliakie entscheidend.“ Ein Beispiel: So sind Pommes Frites zwar glutenfrei, wenn sie aber in der gleichen Fritteuse wie glutenhaltige Lebensmittel zubereitet werden, sind sie für Kinder mit Zöliakie kontaminiert – und damit nicht essbar. „Die meisten Eltern geben ihren Kindern daher eigenes Essen mit“, so Reicherter.
„Pädagoginnen und Pädagogen müssen über Zöliakie und die besonderen Ernährungsbedürfnisse der Kinder informiert sein. Kinder mit Zöliakie dürfen beim Mittagessen nicht ausgegrenzt werden.“ (Doreen Siebernik)
Dabei sei das gemeinsame Mittagessen ein bedeutender Teil des Schulalltags, so die Auffassung der GEW. „Gerade für Kinder mit Zöliakie oder anderen Unverträglichkeiten spielt das Mittagessen in der Schule eine entscheidende Rolle“, sagt Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule. „Dadurch wird ihnen die soziale Teilhabe am Leben in der Schule möglich, gleichzeitig werden so ihre gesundheitlichen Bedürfnisse erfüllt.“ Doreen Siebernik, GEW-Vorstandsmitglied Jugendhilfe und Sozialarbeit, sagt: „Pädagoginnen und Pädagogen müssen über Zöliakie und die besonderen Ernährungsbedürfnisse der Kinder informiert sein. Kinder mit Zöliakie dürfen beim Mittagessen nicht ausgegrenzt werden. Es sollte der Ort sein, an dem alle Kinder gemeinsam essen.„“
Große Anbieter haben Allergieküchen
Auf die Frage, ob sich die DGE mit Blick auf den Ganztagsanspruch stärker mit Kindern mit Lebensmittelunverträglichkeiten befassen wolle, verweist die Pressestelle auf die Unterstützung der Vernetzungsstellen für Kita- und Schulverpflegung. Diese fungieren in jedem Bundesland als Schnittstelle zwischen Caterer, Eltern, Schulen und Schulträgern. Sie beraten, vermitteln und geben Workshops in Kitas und Schulen.
Nachfragen in vier Bundesländern zeigen: Ob Kinder mit Lebensmittelunverträglichkeiten ein passendes Essen erhalten, hängt vom Caterer ab. Einige große Anbieter haben spezielle Allergieküchen eingerichtet, kleinere eher nicht. Die meisten haben weder Platz und Personal noch Expertise, um sogenannte Sonderkost-Mahlzeiten anzubieten. Manche haben Angst vor Haftungsfragen und lehnen es ab, Kinder mit Lebensmittelunverträglichkeiten zu verpflegen.
Um die Situation für diese Kinder zu verbessern, sei umfassende Aufklärung nötig, meint Kerstin Awan, Ernährungsfachkraft Allergologie am Fachzentrum Ernährung in Rheinland-Pfalz, an dem die Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung angesiedelt ist. Sie arbeitet eng mit allen Beteiligten zusammen, um Lösungen zu finden. „Es gibt große Bemühungen“, sagt sie. „Ich habe den Eindruck, dass inzwischen mehr betroffene Kinder mitessen können.“
Ärztliche Diagnose und Attest erforderlich
Zuerst sei eine ärztliche Diagnose unerlässlich, mit Allergie- und Provokationstest. Letzterer stellt fest, wie stark ein Kind auf Spuren des Allergens reagiert, im schlimmsten Fall mit einer Anaphylaxie, also einer starken allergischen Reaktion. Zu wissen, wo die Toleranzgrenze liegt, kann entscheidend sein. „Toleriert der Körper eine bestimmte Menge des Allergens, kann das Kind vielleicht doch regulär mitessen, oder der Küche fällt es leichter, das Essen für dieses Kind anzupassen“, sagt Awan. Kinder mit Zöliakie könnten ihrer Erfahrung nach meist wegen Kreuzkontaminationen nicht regulär mitessen. In einem aktuellen Fall fand Awan mit den Eltern aber folgende Lösung: Die Eltern kochen das Essen wie auf dem Speiseplan nach und die Schule schafft eine Mikrowelle an, um das Essen aufzuwärmen. So hat das Kind das gleiche Gericht wie die anderen.
Berliner Sonderweg
Auch Sabine Schnadt vom Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB) findet es in Einzelfällen akzeptabel, dass Eltern das Essen kochen und mitgeben, zum Beispiel, wenn ein Kind sehr stark auf sehr kleine Mengen des Allergieauslösers reagiert. Gleichzeitig betont sie, dass Kinder mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten nach Möglichkeit das essen sollten, was für alle Kinder gekocht wurde. „Meist ist es eine Frage des Bewusstseins und Wissens über Nahrungsmittelallergien“, sagt Schnadt. „Oft hilft es, wenn beim Caterer oder in der Schule ein Mensch arbeitet, der persönliche Erfahrungen mit dem Thema hat.“
Um herauszufinden, wie die Bundesländer das Thema sehen, hat der DAAB die Schulministerien kontaktiert und unter anderem zur Verpflegung von Kindern mit Lebensmittelunverträglichkeiten befragt. Elf der 16 Ministerien haben geantwortet. „Im Grundton sagen alle, dass diese Kinder mitessen sollten“, erzählt Schnadt. „Berlin geht hier im Sinne der inklusiven Schulverpflegung beispielhaft voran.“ In der Hauptstadt dürfen Caterer von vornherein keine Erdnüsse, Schalenfrüchte, Krebs- oder Weichtiere als Zutat verwenden und müssen außerdem für Kinder mit diagnostizierter Nahrungsmittelallergie Sonderkost-Mahlzeiten anbieten.
„Unser Credo: Kinder mit Lebensmittelallergie sollen so oft wie möglich am Hauptessen teilnehmen. Deshalb geben wir auch Spuren von Allergenen an und erstellen einen Speiseplan für den kompletten Monat.“ (Maike Fröchling)
Damit tut Berlin mehr als andere Länder und versorgt viele Kinder mit Lebensmittelunverträglichkeiten. Allerdings: Die Caterer müssen nur fünf Arten Sonderkost anbieten und Eltern dürfen auf der Liste nur eine ankreuzen. „Die meisten haben aber Kreuzallergien und oft auch Kombinationen wie Zöliakie und Laktoseintoleranz“, sagt Maike Fröchling, Ökotrophologin beim Caterer Luna in Berlin. Das Unternehmen beliefert rund 100 Berliner Schulen mit Mittagessen. „Wir akzeptieren auch mehrere Kreuze auf dem Allergie-Meldebogen“, so Fröchling. Allerdings nur mit ärztlichem Attest. Das Unternehmen hat eine separate Allergie-Küche und beschäftigt neben Fröchling auch eine Diät-Assistentin mit breitem Fachwissen.
„Unser Credo: Kinder mit Lebensmittelallergie sollen so oft wie möglich am Hauptessen teilnehmen. Deshalb geben wir auch Spuren von Allergenen an und erstellen einen Speiseplan für den kompletten Monat.“ Eltern können so vorab sehen, an welchen Tagen ihr Kind regulär mitessen kann und bestellen die Sonderkost für diese Tage ab. „Das Kind kann sich dann ganz normal mit anstellen und essen, was die anderen essen“, sagt Fröchling. „Es macht viel aus, mal nicht separiert zu sein.“ Denn das Sonderkost-Gericht sei letztlich ein separat abgepacktes Essen. „Wenn ein Kind aber auf sehr geringe Mengen des Allergens reagiert, bekommt es dauerhaft Sonderkost“, so Fröchling.
„Es muss weiterhin aufgeklärt werden. Das fehlt aktuell auf der Ebene der Träger ebenso wie in den Schulen selbst.“ (Kerstin Awan)
Es gibt also unterschiedliche Wege, wie mehr Kinder als bisher am Schulessen teilnehmen könnten – auch wenn es nicht möglich ist, die Bedürfnisse aller Schülerinnen und Schüler mit Lebensmittelunverträglichkeiten in der Gemeinschaftsverpflegung zu erfüllen. Doch welche Forderungen richten die Beteiligten an die Politik? Fröchling vom Caterer Luna wünscht sich, dass die kostenintensiveren Sonderkost-Mahlzeiten entsprechend vergütet werden. Bisher geschieht das nicht. „Es muss weiterhin aufgeklärt werden“, sagt Awan vom Fachzentrum Ernährung. „Das fehlt aktuell auf der Ebene der Träger ebenso wie in den Schulen selbst.“
Reicherter von der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft betont: „Wir wünschen uns eine einheitliche rechtliche Regelung, die Caterer dazu verpflichtet, sicher glutenfreies Essen anzubieten. Denn nur diese wird eine Änderung bewirken.“ In Italien gebe es bereits eine solche Vorgabe, berichtet sie: „Dort gibt es in den Schulen zum Beispiel für glutenfreies Essen separate Fritteusen.“