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Coronapandemie

Weniger Lernzeit und weniger erreichte Lernziele in deutschen Schulen

Die Schulen in Deutschland, Österreich und der Deutschschweiz haben während der Coronapandemie Fortschritte beim digitalen Lernen gemacht. Vielerorts sind laut S-CLEVER-Studie jedoch weitere Anstrengungen und Entwicklungsbemühungen nötig.

In allen drei Ländern betrachteten die Schulleitungen im Sommer 2021 die Erhöhung der Anzahl digitaler Endgeräte als Priorität. (Foto: Pixabay / CC0)

Beim digitalen Lernen sind Schulen in Deutschland, Österreich und der Deutschschweiz nach dem Technikschub in der Coronapandemie auf einem guten Weg, aber noch längst nicht am Ziel. Das ist ein zentrales Ergebnis der S-CLEVER-Studie, mit der Forschende in allen drei Ländern untersuchten, vor welcher Herausforderung die Schulen durch Corona standen, wie sie darauf reagierten, und welcher Entwicklungsbedarf weiterhin besteht.

„Die Befunde machen neben den Fortschritten der Schulen beim digitalen Lernen auch deutlich, dass an vielen Schulen noch weitere Anstrengungen und Entwicklungsbemühungen benötigt werden, damit digitales Lernen integraler Bestandteil des Unterrichts wird und mit der Qualitätsentwicklung des Unterrichts verknüpft wird“, hieß es. Deutschland schneidet insgesamt zudem am schlechtesten ab.

Weitere zentrale Ergebnisse:

  • Mittlerweile verfügen zwei Drittel der Schulen in Deutschland über ein Konzept für digitales Lernen – das sind fast doppelt so viele wie vor der Pandemie.
  • 80 Prozent der Schulen nutzen zudem Onlineplattformen für den Austausch von Lernmaterialien.
  • Interaktive Lehr-Lernplattformen finden sich in rund 40 Prozent der Schulen in Deutschland, in 52 Prozent der Schulen in Österreich und in 43 Prozent in der Deutschschweiz.
  • Digitale Lernverlaufsdiagnostik wird hingegen selten genutzt: von 18 Prozent der Schulen in Deutschland, 30 Prozent der Schulen in der Deutschschweiz und 21 Prozent in Österreich.
  • Auf die Herausforderung unterschiedlich hoher digitaler und technischer Kompetenzen der Lehrkräfte reagierten die meisten Schulen vor allem mit internen Fortbildungen.

Weniger Lernziele erreicht, Leitungen stärker belastet

Für Deutschland fällt auf, dass rund zwei Drittel der Schulleiterinnen und Schulleiter der Meinung sind, dass ihre Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2020/2021 weniger Lernzeit hatten und auch weniger Lernziele erreicht haben als in den Jahren zuvor. In der Deutschschweiz stellen dies nur rund 30 Prozent der Schulleiter fest, in Österreich rund 40 Prozent. Allerdings ersetze die Einschätzung der Schulleitungen keine Studie, die den tatsächlichen Lernstand der Schülerschaft mittels Kompetenztest ermitteln könnte, hieß es.

Darüber hinaus beschrieben sich die Schulleitungen in Deutschland als noch stärker belastet als ihre Kolleginnen und Kollegen in Österreich und der Deutschschweiz, wenngleich sich ein sehr großer Anteil in allen drei deutschsprachigen Ländern als (sehr) belastet bezeichnete.

Im Ländervergleich zeigte sich außerdem:

  • In allen drei Ländern betrachteten die Schulleitungen im Sommer 2021 die Erhöhung der Anzahl digitaler Endgeräte als Priorität. Nur in Deutschland und Österreich wurde aber auch ein Unterstützungsbedarf für das Schuljahr 2021/2022 formuliert.
  • Vor allem die Schulleitungen in Deutschland und Österreich gaben an, dass ihre aktuellen und zukünftigen Schulentwicklungsvorhaben im Bereich des digitalen Lernens lägen. Ihre Kolleginnen und Kollegen in der Deutschschweiz sagten am häufigsten, Schwerpunkt der Schulentwicklungsvorhaben werde die Unterrichtsqualität sein.
  • Die Förderung des selbstständigen Lernens scheint eine höhere Priorität in den österreichischen Schulen zu haben als in den Schulen der Nachbarländer.

Interpretation der Unterschiede noch offen

Im Fazit der Studie heißt es: „Wie diese Unterschiede interpretiert werden können, kann an dieser Stelle noch nicht beantwortet werden.“ Zum einen könne es sein, dass die Schulen in den drei deutschsprachigen Ländern bereits vor der Pandemie unterschiedlich ausgerüstet gewesen seien. Zudem unterschieden sich die Länder in der Häufigkeit der Schulschließungen und der Ausgestaltung der pandemiebezogenen Regelungen. Weiterführende Analysen sollten zu einem genaueren Bild der Ursachen dieser Unterschiede führen. Von zentraler Bedeutung werde auch sein, auch Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie in Teilen auch Eltern in die Analysen einzubeziehen.

Für die Studie wurden Schulleitende der allgemeinbildenden Schulen in 14 deutschen Bundesländern, Österreich und der Deutschschweiz im Herbst 2020, Frühjahr 2021 und Sommer 2021 befragt. Sie wurde von einem Konsortium der Universitäten Mainz, Rostock, Zürich, Heidelberg, Klagenfurt und dem DIPF Leibniz Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation geleitet und finanziell von der Robert Bosch Stiftung, der Jacobs Foundation sowie der Stiftung Mercator Schweiz unterstützt.

Auch GEW-Studie sieht weiteren Aufholbedarf

Die Ergebnisse der S-CLEVER-Untersuchung bestätigen Befunde der repräsentativen Studie „Digitalisierung im Schulsystem 2021“ der GEW, derzufolge ein pädagogisch durchdachter Einsatz digitaler Technik und Medien im Unterricht trotz Digitalisierungsschub nach wie vor vielerorts hinterherhinkt. Die Analysen der Bildungsgewerkschaft boten zwar keinen Ländervergleich, nahmen aber auch Aspekte wie Chancengleichheit und Arbeitsbelastung der Lehrerinnen und Lehrer unter die Lupe. 

Demnach gelten nur 12 Prozent der deutschen Schulen als digitale Vorreiter. Die meisten fallen mit 33 Prozent in die Kategorie digitale Nachzügler. 29 Prozent sind digitaler Durchschnitt, 26 Prozent digital orientiert. Studienleiter Frank Mußmann und Co-Autor Thomas Hardwig von der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Georg-August-Universität Göttingen sagten, dies Kluft sei „besorgniserregend“, weil sowohl Lernende als auch Lehrende nur mit praxistauglicher Technik und einer digitalen Schulstrategie die erforderlichen Medienkompetenzen entwickeln könnten.

Auch Lehrkräfte werden derweil sehr unterschiedlich unterstützt: An Vorreiter-Schulen können sich 90 Prozent an einer digitalen Schulstrategie orientieren, an Nachzügler-Schulen sind es nur 37 Prozent. Mit Blick auf die Arbeitsbedingungen steht unterm Strich für alle Lehrerinnen und Lehrer ein Minus, weil sich ihr Pensum durch die pandemiebedingte Digitalisierung weiter erhöhte. Ihre wöchentliche Arbeitszeit stieg laut Studie um rund 30 bis 60 Minuten.