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Medienkompetenz

„Weltweit dieselben Feindbilder“

Andre Wolf hat die Bekämpfung von Falschnachrichten zum Beruf gemacht. Für Mimikama klärt er zu Fake News auf, die den Verein zur Aufklärung von Internetmissbrauch via Mail oder Social Media erreichen.

Andre Wolf bringt an Pädagogischen Hochschulen Lehrkräften und an Schulen Kindern und Jugendlichen bei, Falschnachrichten zu erkennen. (Foto: Mimikama)
  • E&W: Täuscht der Eindruck, dass Falschnachrichten – von der Corona-Pandemie bis zum Ukraine-Krieg – Hochkonjunktur haben?

Andre Wolf: Nein, ist draußen viel los, ist auch im Netz viel los. Das ist die Grundregel. Corona hat zudem eine neue Qualität gebracht, weil es anfangs tatsächlich wenig Wissen gab. Daraus hat sich eine regelrechte Desinformationsdynamik entwickelt, gesteuert von den selbsternannten alternativen, also rechtspopulistischen Medien. Sie wissen seit Jahren, wie sie über die sozialen Medien sehr viele Menschen erreichen: „Die Regierung will ,uns‘ kontrollieren“, „Kinder sind in Gefahr“ – beides sind enorm wirksame Narrative, die wir seit langem beobachten. Im Grunde wirkte die Corona-Krise wie ein Katalysator: Von Pegida 2014 zu den Querdenkern heute lässt sich eine Linie ziehen. Wer das erkennt, ist schon einen großen Schritt weiter.

  • E&W: Fake News werden immer von rechts verbreitet?

Wolf: Ich kenne kein großes linkes Narrativ, das sich je im Netz widerspiegelte. Auch nahezu alle Feindbilder, die übrigens weltweit dieselben sind, tragen eine klare rechtspopulistische Handschrift: Linke und Linksliberale, demokratisch gewählte Politikerinnen und Politiker, Frauen, Zugewanderte. Außerdem ist klar, dass Russland sich an gezielter Desinformation beteiligt – in welchem Umfang, wissen wir leider bis heute nicht. Die Verknüpfung rechtspopulistischer Themen und prorussischer Propaganda wird aber auch außerhalb des Internets sichtbar. Auf Demonstrationen von Corona-Leugnern tauchen immer wieder Russlandfahnen auf.

  • E&W: Sie bringen Jugendlichen bei, Fake News zu erkennen. Wie gehen Sie vor?

Wolf: Wer sich auf mimikama.at oder anderen Faktenchecker-Websites umschaut, bekommt schon einmal ein Gefühl dafür, welcher Mittel sich Produzenten von Fake News bedienen. Seit diesem Jahr gehen wir aber auch mit einem Workshop an Schulen, das Motto: „Debunking“ – Entlarven. Einen Tag lang steht alles auf dem Programm, was es braucht, um zu recherchieren: Die Schülerinnen und Schüler lernen den Umgang mit Text- wie Bildsuchmaschinen, erfahren, was ein verifizierter Account und ein wahrhaftiges Impressum ist. Auch die Bewertung von Quellen ist Thema.

  • E&W: Wird auch praktisch geübt?

Wolf: Ja, zu jedem Thema gibt es Theorie und Praxis. Die Jugendlichen recherchieren zum Beispiel selber, wo ein Bild herkommt. Dabei geben sie etwa ein Foto von einem angeblich vermüllten Geflüchtetenwohnheim in Deutschland in die Rückwärtssuche von „Google Bilder“ ein und finden heraus: Das Bild wurde gar nicht in Deutschland, sondern in Ungarn gemacht. Setzen sie dann noch „TinEye“ ein, sehen sie sogar, wann es zum ersten Mal aufgetaucht ist, nämlich vielleicht schon vor 20 Jahren. Bilder zu entlarven, ist nicht kompliziert – und führt zu echten Erfolgserlebnissen. Und es ist sehr nützlich: Das Netz ist voller Bilder, auf denen etwas ganz anderes zu sehen ist als behauptet, vom Ukraine-Krieg bis zu Flüchtlingsthemen.

  • E&W: Über all den Techniken steht eine Schlüsselkompetenz: Quellen grundsätzlich zu hinterfragen.

Wolf: Das ist die Königsdisziplin, das sogenannte Prebunking: potenzielle Falschmeldungen schon im Vorhinein zu erkennen. Das ist das Idealziel und hat mit Beobachtung, Bewertung, mit dem Erkennen von Narrativen zu tun. Allerdings ist es nicht ganz leicht: Haben Menschen Angst, denken sie schnell: „Es könnte ja doch etwas dran sein.“ Und denken Sie nur daran, wie viele Tausende jeden Tag auf Fake-Verlosungen und Gewinnspiele herein-fallen, die ihnen eine schnelle Belohnung versprechen. In beiden Fällen entsteht eine Betroffenheit, in der sich der Kopf oft einfach ausschaltet.

  • E&W: Bedeutet das: Es geht auch um Selbst-reflexion, darum, eigene Muster zu erkennen?

Wolf: Ja, und an dieser Stelle hat die Arbeit mit Jugendlichen großes Potenzial: Bei ihnen ist die Chance gut, diese noch einzuüben. Am anfälligsten für Desinformation sind meiner Beobachtung nach Männer, die älter als 50 Jahre sind – schlicht, weil viele nie gelernt haben, sich kritisch zu reflektieren. Wer das nicht kann, glaubt oft noch den gröbsten Unsinn – solange er die eigene Haltung zementiert. 

Von Andre Wolf erschien 2021 das Buch „Angriff auf die Demokratie. Wie Rechtsextremisten die sozialen Medien unterwandern“, 208 Seiten, edition a Verlag.Kontakt: www.mimikama.at (dort auch diverse Social-Media-Kanäle)