Zum Inhalt springen

Welthochschulkonferenz der Bildungsinternationale

Bereits zum neunten Mal lud die Bildungsinternationale vom 10. bis 12. November 2014 in Brüssel zu einer internationalen Konferenz für den Bereich Hochschule und Forschung ein – und rund 80 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus 34 Ländern folgten dieser Einladung.

Fotos: Sonja Staack, Gunter Quaißer

Die akademische Profession steht im Zentrum von Hochschulen und Forschungseinrichtungen, aber sie steht auch immer mehr unter Druck. Das machte Fred van Leeuwen, Generalsekretär der Bildungsinternationale (Education International), des weltweiten Dachverbands der Bildungsgewerkschaften, zur Eröffnung der Konferenz deutlich. In vielen Ländern ist befristete und unsichere Beschäftigung in der Wissenschaft inzwischen die Regel, prekäre Beschäftigungsbedingungen greifen um sich.

Viele Wissenschaftseinrichtungen stehen unter Spardruck und öffnen ihre Türen immer mehr für private Akteure. Freihandelsabkommen wie CETA oder TTIP bedrohen die Bildungssysteme und stellen die Hochschulbildung als öffentliches Gut in Frage. Die Herausforderungen, die Fred van Leeuwen zum Auftakt der Tagung beschrieb, sind zahlreich. Entsprechend vielfältig und lebhaft wurde in den folgenden Tagen debattiert.

Mitgliedsgewerkschaften kämpfen für gute Bildung und gute Arbeit

Den Auftakt der Konferenz bildete ein Regional-Round-Up: Fünf Kolleg_innen von verschiedenen Kontinenten gaben einen Einblick in die Entwicklung von Hochschulbildung und Forschung in ihrer Region. Dabei wurde nicht zuletzt deutlich: Der Kampf gegen prekäre Arbeit ist rund um den Globus ein zentrales Thema der Bildungsgewerkschaften. Und: Alle Partnergewerkschaften verbinden diese Debatte mit ihrem Engagement für gute Bildung – zum Beispiel in der EI-Kampagne Unite for Quality Education.

„Qualität wird im Seminarraum hergestellt – nicht durch Politikerinnen und Politiker, sondern durch unsere Mitglieder“, unterstrich Jens Vraa-Jensen von DM aus Dänemark. In Australien organisiert die Gewerkschaft NTEU eine Kampagne für eine starke öffentliche Hochschulbildung, wie Grahame McCulloch von NTEU berichtete. Die australischen Kolleg_innen kämpfen gegen Milliardenkürzungen in Hochschule und Forschung sowie gegen die weiter zunehmende Verschuldung von Studierenden. „A degree shouldn’t cost a mortgage“ – ein Abschluss sollte keine Hypothek kosten, ist deshalb ein zentraler Slogan der Kampagne.

Wachsende Schuldenberge der Studierenden sind auch ein Thema der US-amerikanischen Gewerkschaft AFT, aus der Steve Wojcikiewicz berichtete. In Afrika steht der Ausbau des öffentlichen Hochschulsystems ganz oben auf der Agenda. Dabei ist noch viel zu tun: So gibt es in Ghana aktuell zehn öffentliche, aber 61 private Hochschulen, berichtete Christian Addai-Poku von der dortigen Gewerkschaft NAGRAT. Yamile Socolovsky von CONADU aus Argentinien machte deutlich, dass es in Lateinamerika aktuell sehr unterschiedliche Regierungen und damit auch sehr unterschiedliche Entwicklungen der Hochschulsysteme gibt.


Hinter uns liegt ein Jahrzehnt der Austerität, so fasste David Robinson, stellvertretender Generalsekretär von EI sowie aus der kanadischen Gewerkschaft CAUT-ACPPU die Situation in seinem Rückblick auf die Arbeit von Education International seit der letzten Konferenz zusammen. Sparpolitik und Privatisierung haben nicht zuletzt die Arbeitsbedingungen unter Druck gesetzt, außerdem mussten sich die Partnerorganisationen in vielen Ländern mit Angriffen auf Gewerkschaftsrechte auseinandersetzen.

Neue Verhandlungen über Freihandelsabkommen bedeuten neue Gefahren für die Hochschulen, indem sie nationale Regeln für die Bildungssysteme in Frage stellen. Öffentliche Dienstleistungen seien aber aus gutem Grund stark reguliert, so David Robinson. Education International bezieht daher gegen die geplanten Abkommen klar Stellung. Eine zentrale Herausforderung für die kommenden Jahre sei es außerdem, befristet Beschäftigte in Hochschule und Forschung zu organisieren.

MOOCs – Hope or Hype?

Diese Frage stand im Zentrum der Debatte um Massive Open Online Courses (MOOCs). Moderiert von Andreas Keller (GEW) gab Silvia Dell’Acqua vom Vesalius College in Brüssel einen Überblick über die Entwicklung der im Internet angebotenen Online-Kurse. Fernando Galan von der European Students Union sah durchaus große Chancen in einer Verbreiterung des Zugangs zu Hochschulbildung durch MOOCs. Viele Angebote seien aktuell offen zugänglich. Für viele andere allerdings müsse man zahlen, und auch bei den gebührenfreien Angeboten kosteten die Prüfungen dann doch Geld. Fernando Golan wies außerdem darauf hin, dass die Erfolgsrate bei MOOCs bislang sehr gering ist.

Für Eric Agbe-Carbonu von NAGRAT aus Ghana bergen MOOCs vor allem die Gefahr, dass mit dem Hinweis auf existierende Online-Kurse nötige Investitionen in den Hochschulen vor Ort unterlassen werden. Der Zugang zu MOOCs allerdings sei alles andere als offen für alle: Man brauche einen Computer, den die meisten Studierenden in Ghana nicht haben; auch gebe es nach wie vor erhebliche Probleme mit einem stabilen Stromnetz. Zu Zurückhaltung gegenüber dem Hype um MOOCs riet auch David Robinson: Auch mit der Erfindung des Fernsehens wurde vorhergesagt, die Welt werde binnen kurzer Zeit zu einem globalen Dorf zusammenwachsen, erinnerte er.

Mike Jennings von IFUT aus Irland ergänzte: „Ich habe keine Angst und bin mir sicher: Auch in 100 Jahren wird es noch Lehrende und ganz normale Seminare geben.“ Es gab aber auch warnende Stimmen aus dem Publikum – MOOCs werden dann zur Gefahr für die Hochschulen, wenn sie geschäftsmäßig betrieben werden und bestehende Angebote von Präsenzhochschulen ersetzen. Am Rande der Tagung wies ein kanadischer Gewerkschaftskollege darauf hin, dass Regelungen zu MOOCs bereits in Tarifverträge aufgenommen wurden.

 

Unter dem Titel Zukunft der Lehre wurde über neue Aufgaben von Hochschulgewerkschaften debattiert. Liz Lawrence von UCU aus Großbritannien skizzierte mit der Privatisierung von Hochschulbildung und der Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse zentrale Herausforderungen für die kommenden Jahre. Auch würden immer mehr Personalkategorien mit dem Fokus auf Lehre eingeführt – meist mit weniger Gehalt und schlechteren Aufstiegschancen.

Ragnhild Lied von UEN aus Norwegen fügte hinzu, dass die Strategien der Arbeitgeber nicht zuletzt zu einer Deprofessionalisierung der Lehre führten. Wenn Regierungen – wie etwa in Neuseeland der Fall – vor allem den ökonomischen Nutzen von Hochschulbildung im Blick hätten, entwerte dies die Rolle von Lehrenden, ergänzte Joanne Scott von der dortigen Gewerkschaft TEU.

Die Gewerkschaften müssten daher Verantwortung für gute Bildung übernehmen, die akademische Freiheit und kritisches Denken verteidigen, gegen Privatisierung und für eine solide öffentliche Finanzierung streiten, Bündnisse mit fortschrittlichen Studierenden schließen und prekäre Beschäftigung bekämpfen; darin waren sich die drei Gewerkschafterinnen einig.

Starke Interessenvertretungen

In einem weiteren Plenum ging es darum, wie der Organisationsgrad und die Mobilisierung im Wissenschaftsbereich gesteigert werden können. Beispiele aus Irland, den USA, Kanada und Spanien wurden vorgestellt. IFUT in Irland organisiert 2.000 (von insgesamt 5.000) „Early stage researchers“, also Forscher und Forscherinnen, die am Beginn ihr wissenschaftlichen Laufbahn sind. Es ist eine kleine Gewerkschaft, auch ist der Organisationsgrad im Vergleich zu anderen Berufsgruppen relativ gering. Die Spezialisierung auf eine einzelne Berufsgruppe erschwert Koalitionen und Allianzen mit anderen Gewerkschaften, so dass die IFUT ziemlich auf sich selber gestellt ist.

NEA in den USA vertritt alle Berufsgruppen in Hochschule und Forschung. Eines ihrer wesentlichen Ziele ist eine hohe Qualität von Hochschulbildung, wofür gute Arbeitsbedingungen der Beschäftigten eine Voraussetzung sind. Im Einsatz für dieses Ziel kann man alle Mitglieder mobilisieren. Die kanadische FNEEQ-CSN ist eine von vielen Gewerkschaften im Bereich von Hochschule und Forschung. Sie verfügt über vielfältige Erfahrung im Bilden von themen- und zielgruppenspezifischen Koalitionen und Allianzen. Dabei besteht allerdings die Gefahr von Loyalitätskonflikten gegenüber der Koalition bzw. der eigenen Mitgliedschaft.

Die starke Zusammenarbeit mit anderen Gewerkschaften ergibt sich aus der Einsicht, dass man gemeinsam sehr viel weiter kommt, auch wenn es manchmal etwas mehr Zeit benötigt. Momentan ist der Zusammenschluss mehrerer Gewerkschaften geplant, wobei die Identität jeder beteiligten Organisation erhalten bleiben und die Grundsatzfrage geklärt werden muss, ob die neue Struktur nach Einrichtungen oder nach Berufsgruppen strukturiert sein soll.

FE.CCOO in Spanien organisiert alle Berufsgruppen im Hochschulwesen und kann ihre Mitglieder besonders stark im Kampf gegen Kürzungen, beispielsweise die geplante Einführung nur dreijähriger Bachelorstudiengänge, mobilisieren. In der anschließenden Diskussion ging es vor allem um die Frage, wie eine Gewerkschaft breit aufgestellt sein kann (also alle Berufsgruppen in einer Einrichtung vertritt) und zugleich berufsständische Interessenvertretung sein kann. Der Versuch, diesen Widerspruch aufzulösen, zog sich als roter Faden durch die ganze Tagung.

 

Spannende Diskussionen gab es rund um das Thema Privatisierung von Hochschule und Forschung. Meist sind es konservative politische Parteien, die Privatisierungen vorantreiben. In Kanada versucht die dortige Regierung seit einigen Jahren ganz massiv, die Wissenschaft den Interessen der Privatwirtschaft und hier insbesondere der Öl- und Gasförderwirtschaft unterzuordnen. Bei Forschungsprojekten wird zwischen „convenient research“ und „inconvenient research“ unterschieden, wobei erstere der Privatwirtschaft dient und staatlich gefördert wird, während letzterer der Finanzhahn zugedreht wird.

Selbst im Zusammenhang mit dem drohenden Abschmelzen der Polkappen wird nur daran gedacht, wie man – gegebenenfalls durch neue Schifffahrtsrouten – daraus Profit schlagen kann, nicht aber, wie man diesen Prozess eindämmen kann. Auch in Frankreich wird versucht, die Privatisierung der Forschung voranzutreiben. Das geschieht unter dem Vorwand notwendiger Einsparmaßnahmen im Zusammenhang mit der Austeritätspolitik. Unternehmen erhalten deutliche Steuervergünstigungen, wenn sie eigene Forschungsabteilungen aufbauen.

Die staatlichen Universitäten und Forschungsinstitute müssen im Drittmittelforschungsbereich nach privatrechtlichen Prinzipien funktionieren. In Argentinien ist traditionell der staatliche Sektor sehr stark. Einen privaten Hochschulbildungsmarkt gibt es nur für diejenigen, die begütert sind und deren Leistungen keinen Zugang ins staatliche System erlauben. Dennoch erodiert auch hier die öffentliche Verantwortung für Hochschulbildung.

Von Inklusion bis Privatisierung

Neben den Plenarsitzungen fanden insgesamt sechs Workshops statt, in denen es mehr Raum für Diskussionen gab – und der auch weidlich genutzt wurde. „Building inclusive unions“ war eines der Themen, bei dem es um Gerechtigkeit/Gleichheit in Hochschule und Forschung ging. Annette Dolan von TUI Irland – ja, die Gewerkschaft heißt wirklich so – berichtete am Folgetag, dass Gerechtigkeit in vielen Ländern als öffentliches Gut gesehen wird, einzelne Aspekte aber längst nicht überall gesetzliche Grundlagen haben. Außerdem sei Ungleichheit oft ein Fakt, mit der Gewerkschaften umgehen müssten.

Annette Dolan berichtete aber auch von Empfehlungen ihrer Arbeitsgruppe: Um unterrepräsentierte Gruppen zu fördern, sollten Initiativen ergriffen und ihre Sichtbarkeit erhöht werden und sie sollten z.B. in Tarifverhandlungen eingebunden werden. In diesem Zusammenhang wurde auch die EI-Kampagne gegen „Marketisation und Privatisation“ hervorgehoben. Von der Dachorganisation wurde auch erwartet, dass sie ihre Mitglieder im Kampf gegen Rassismus unterstütze.

Das bereits am ersten Tag behandelte Thema MOOCs wurde in einem Workshop noch einmal vertieft. Rob Copeland von UCU UK berichtete von einer intensiven Diskussion, die mehr in die Tiefe gehen konnte als in der einführenden Plenumveranstaltung. Es sei klar, dass die Gewerkschaften in verschiedenen Ländern bislang sehr unterschiedliche Erfahrungen mit MOOCs gemacht hätten. Während MOOCs in den USA bereits als zunehmende Kraft auf dem Weg zu noch mehr Privatisierung bekämpft werden, werden MOOCs in den nordeuropäischen Staaten bislang weniger als Bedrohung gesehen. Das liege vermutlich daran, dass es in Nordamerika bereits ein gebührenfinanziertes Hochschulsystem gebe, in Nordeuropa aber nicht.

Und das Geschäftsmodell MOOCs ist nun mal in eher privat finanzierten Bildungssystemen einfacher und schneller einzuführen. Fazit: MOOCs müssten weiter untersucht – auch im Zusammenhang mit den Versuchen, Bildungsprozesse über TTIP oder CETA zu beeinflussen – und die negativen Auswirkungen bekämpft werden (z.B. in Tarifverhandlungen, Qualitätssicherungssystemen). An EI richtete sich die Überlegung, MOOCs „auszuprobieren“ und aus praktischer Gewerkschaftssicht zu kritisieren.

Weitere Workshops beschäftigten sich bspw. mit Fragen EI-interner Kooperationen (hier ging es um Projekte in Ghana, Palästina und Zimbabwe), einer EI-Studie zu Arbeits- und Lernbedingungen im Hochschulbereich (Ergebnisse werden im Frühjahr 2015 veröffentlicht) und den Möglichkeiten und Widersprüchen der Internationalisierung und Regionalisierung in Hochschule und Forschung.

 

Mit einem kurzen Statement beendete David Edwards, stellvertretender Generalsekretär von EI, die dreitägige Konferenz. Darin betonte er nochmals die Bedeutung der öffentlichen Finanzierung von Bildung, mit der sowohl die Prekarisierung im Hochschulbereich eingedämmt als auch die akademische Freiheit der wissenschaftlichen Beschäftigten gesichert werden könne. Er verwies auch auf bereits laufende EI-Kampagnen wie „EI Unite“ oder „Education for all“ – hier lohnt sich auch ein Blick auf die Homepage der Bildungsinternationale.


Für die GEW nahmen Andreas Keller (stellvertretender Vorsitzender und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung), Gunter Quaißer und Thomas Hoffmann (beide Leitungsteam des Bundesfachgruppenausschuss Hochschule und Forschung) sowie Sonja Staack (Referentin für Hochschule und Forschung) an der Konferenz teil.