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Sound of the Police

Welle von Gesetzesnovellierungen ermächtigt Polizei bundesweit

Bewaffnung mit Handgranaten, Telekommunikationsüberwachung, ausufernde Verwahrungshaft... Was nach Agentenfilmen in Hollywoodmanier oder Orwells Überwachungsdystopie klingt, wird in deutschem Recht Wahrheit.

Foto: Shutterstock
Polizei in Deutschland: Nicht nur physisch aufgerüstet!

Beitrag für die read.me, GEW-Zeitung für Studierenden, Wintersemester 2018/19

Und die Umsetzung dieses Rechts obliegt der Polizei. Wenn Fußballfans, Datenschützer*innen, Umweltaktivist*innen, Politiker*innen, Antifaschist*innen, Feminist*innen, Jurist*innen, Migrant*innen und Gewerkschafter*innen gemeinsam auf die Straße gehen, muss es einen bedeutenden Anlass geben. Ein Beispiel dafür wäre die Reaktion auf einen „massiven Eingriff in die Grundrechte von Millionen von Menschen“ sowie „massenhaft[e] Überwachung unter dem Deckmäntelchen von Sicherheit und Ordnung“1. So zumindest bezeichnet das Bündnis „Nein zum neuen Polizeigesetz NRW“ die geplante Verschärfung des gleichnamigen Gesetzes.

Auflösung der Gewaltenteilung

In Nordrhein-Westfalen würde die geplante Gesetzesänderung in der jetzigen Form ermöglichen, dass Besetzer*innen des Hambacher Forsts zur Identitätsfeststellung bis zu einer Woche festgehalten werden. Dass Staatstrojaner auf Handys eingeschleust und mehr Überwachungskameras im öffentlichen Raum installiert werden, dass Aufenthaltsvorgaben, Kontaktverbote, elektronische Fußfesseln und strategische Fahndung in die Freiheit jedes Menschen eingreifen können.

Rechtsanwalt und Polizeigesetzkritiker Christian Mertens1 kommentiert den Paradigmenwechsel: „Wir sind mittlerweile die Bösen. Und mit ‚Wir‘ meine ich alle, die nicht Polizei sind.“ Er sieht in dem Gesetzesentwurf eine grundsätzliche Spaltung der Gesellschaft in zwei Gruppen und kritisiert vor allem die Auflösung der institutionellen Gewaltenteilung des Staates: „Wir geben dabei die entscheidende Schranke – nämlich die Judikative, die Gerichte, die das überprüfen sollen – auf.“

Nordrhein-Westfalen ist kein Sonderfall

Vorwand für die Gesetzesverschärfung sind die EU-Datenschutzreform, bestehend aus der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und der Datenschutz-Richtlinie für Justiz und Inneres (JI-Richtlinie) und das BKA-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes2. Beide Beschlüsse müssen auf Länderebene umgesetzt werden, um geltendes Recht wirksam durchsetzen zu können.

Prof. Dr. Clemens Arzt3, Direktor des Forschungsinstituts für Öffentliche und Private Sicherheit der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, übte ebenfalls Kritik vor dem nordrhein-westfälischen Innenausschuss: „Statt einer Novellierung im Sinne des Datenschutzrechts werden umfangreiche gesetzliche Neuregelungen vorgeschlagen, die zu erheblichen Eingriffen in die Grundrechtssphäre […], aber auch in das Wohnungsgrundrecht und die Freiheit der Person führen.“ Arzt kritisiert weiterhin die Pauschalität der sogenannten „drohenden Gefahr“, die ohne weitreichende Begründung oder Verdacht definiert werden kann. Die Bedingungen „konkreter Gefahr“, die qua Rechtsprechung nach einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts für polizeilich geschützte Güter verlangen, werden durch Neueinführung der „drohenden Gefahr“ unterwandert und somit nichtig gemacht.

Viele Ähnlichkeiten weist der nordrhein-westfälische Gesetzesentwurf zum bayerischen Vorbild auf. Von dort wurde auch der Begriff der „drohenden Gefahr“ entlehnt, der ursprünglich vom Bundesverfassungsgericht stammt. Die Befugnisse, die der bayerischen Polizei mit dem Gesetz zugesprochen wurden, sind ähnlich weitreichend: Sie darf ohne konkreten Verdacht Personen durchsuchen, Telefone abhören, in Netzwerken und online gespeicherte Daten sammeln und verwerten. Besonders die ausufernde Präventivhaft erntet Kritik. Doch eine Höchstdauer für die Freiheitsentziehung ist seit Sommer 2017 aufgehoben. Der Vorsitzende der bayerischen Gewerkschaft der Polizei (GdP), Peter Schall, befürwortet den erweiterten Wirkungsbereich seiner Kolleginnen und Kollegen als eine Maßnahme, die der Polizei die Arbeit vereinfache. Unbeachtet bleibt in dieser Argumentation, dass die Vereinfachung zu Lasten der Freiheit aller Menschen, die nicht zur Polizei gehören, erwirkt wird.

Bei allen offenkundigen Einschränkungen gegenüber der zivilen Gesellschaft regt sich Widerstand. So wurde in München am 10. Mai zur Großdemonstration gegen das dortige Polizeiaufgabengesetz aufgerufen. 30.000 Menschen folgten dem Ruf. In Düsseldorf zogen am 7. Juli 20.000 Demonstrierende vom Hauptbahnhof zum Landtag, um ihren Unmut kundzutun. Umweltschützer*innen neben Aktivist*innen, Fußballfans und vielen weiteren – aus gewerkschaftlich-solidarischer Sicht ein fast schon romantisches Bild. Doch der streitbare Gegenstand bleibt bestehen und auch die meisten Bundesländer verschärfen ihre Gesetze: Im August 2018 wurde eine dreitägige Anhörung zum niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetz im Innenausschuss einberufen, deren Bilanz zum Abschluss der Expert*innenanhörung uneins ausfiel.

Ganzheitlich betrachtet sind alle Verschärfungen der Polizeigesetze Symptome eines gesellschaftlichen Wandels, einer Diskursverschiebung nach „Rechts“. Statt einer gerechteren Sozialpolitik werden Repressalien veranlasst, die das Konstrukt von Sicherheit und Ordnung erhalten sollen. Treffend kommentiert Rechtsanwalt Christian Mertens: „Bisher ist die Freiheit immer an ihrer Verteidigung gestorben und an nichts anderem.“

Marcus Boxler ist im Sprecher*innen-Team des Landesausschuss der Student*innen und Studenten (LASS) der GEW Nordrhein-Westfalen.


  1. Christian Mertens, Fachanwalt für Strafrecht in Köln, gehört zu den überzeugten Kritiker*innen des neuen Polizeigesetzes. Zurzeit informiert er auf zahlreichen Veranstaltungen von Protestgruppen über die Inhalte sowie die rechtlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen des geplanten Gesetzes, so beispielsweise am 12.06.2018 im Blue Square der Ruhr-Universität Bochum.
  2. In einem Urteil vom 20.04.2016 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass es erhebliche Bedenken hegt an den Befugnissen des Bundeskriminalamtes (BKA). Der Richterspruch konzentriert sich auf die Beschlüsse des Bundeskriminalamtsgesetzes (BKAG) von 2009, durch welche der Behörde außerordentliche Befugnisse zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus übertragen wurden. Das BVerfG hat in ihrem Urteil die Beschlüsse für größtenteils verfassungswidrig erklärt.
  3. Prof. Dr. Clemens Arzt ist Direktor des Forschungsinstituts für Öffentliche und Private Sicherheit (FÖPS Berlin) und leitet den Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement der HWR Berlin. Die folgenden Zitate sind der offiziellen Stellungnahme der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses vom 07.06.2018 entnommen.