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Bildungs(unter)finanzierung

Weiterbildung unter Vorbehalt

Die digitale und grüne Transformation der Wirtschaft kann nur gelingen, wenn die Beschäftigten über die notwendigen Qualifikationen verfügen. Das erfordert oft mehrfaches Um- oder Weiterlernen.

(Foto: shutterstock.com/GEW)

Mit der Verabschiedung des Arbeitsförderungsgesetzes hat der Staat bereits 1969 die Verantwortung für die Weiterbildung der vom Strukturwandel betroffenen Beschäftigten übernommen. Durch ein über dem Arbeitslosengeld liegendes Unterhaltsgeld waren die Anreize für eine Teilnahme hoch. Vor allem in den 1990er-Jahren wurden diese Leistungen jedoch deutlich eingeschränkt. Das Unterhaltsgeld wurde auf das Niveau des Arbeitslosengeldes gesenkt, die Förderung der Weiterbildung zu einer Kann-Leistung.

Trotz aller Einschränkungen stellte man den arbeitsmarktpolitischen Nutzen der Weiterbildung jedoch nicht in Frage. Ganz anders Anfang der 2000er-Jahre bei den Hartz-Gesetzen. Da hieß es, insbesondere längerfristige Weiterbildung hielte nur von der Suche nach den vorhandenen Arbeitsplätzen ab. Das widersprach dem Stand der Forschung, was aber ignoriert wurde. In der Folge brach die Zahl der Teilnehmenden insbesondere bei den abschlussbezogenen Maßnahmen drastisch ein. Gefördert wurden überwiegend nur noch kurze Fast-Food-Maßnahmen wie Bewerbungstrainings oder Motivationskurse, die zu Recht schnell in Verruf gerieten.

Schrittweise Reformen

Der Kahlschlag in der Weiterbildung wurde 2004 bei fast fünf Millionen Arbeitslosen, mit einem großen Reservoir arbeitsloser Fachkräfte, zunächst nicht als Problem angesehen. Als die Wirtschaft jedoch anzog, kam es dann aber schnell zu Fachkräfteengpässen. Vor allem auf Druck der Gewerkschaften wurde ein Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik von einem „Work-First“ zu einem „Train-First“ eingeleitet. Das „Weiterbildungsstärkungsgesetz“ von 2016 gewährt Teilnehmerinnen und Teilnehmern in abschlussbezogenen Maßnahmen bei erfolgreicher Zwischen- und Abschlussprüfung Geldprämien von bis zu 2.500 Euro. Das „Qualifizierungschancengesetz“ von 2018 führte ein Recht auf eine Weiterbildungsberatung ein. Das „Arbeit-von-Morgen-Gesetz“ von 2019 sieht Zuschüsse zu betrieblicher Weiterbildung vor, die für kleinere Betriebe, Ältere und gering Qualifizierte sowie bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung oder eines Tarifvertrages höher ausfallen.

Zudem wurde der Vorrang der Vermittlung vor einer Weiterbildung, einer der wichtigsten Glaubenssätze der Hartz-Gesetze, aufgehoben. Das „Bürgergeldgesetz“ von 2022 sieht für Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer abschlussbezogenen Maßnahme einen monatlichen Zuschuss zum Arbeitslosengeld von 150 Euro vor. Mit dem Gesetz zur „Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung“ von 2023 schließlich wurde ein Qualifizierungsgeld in Höhe des Arbeitslosengeldes für die Weiterbildung der Beschäftigten in von der Transformation besonders betroffenen Betrieben eingeführt. Parallel wurden 2022 nach skandinavischem Vorbild die Altersgrenze im BAföG endlich auf 45 Jahre erhöht und die Förderkonditionen im Aufstiegs-BAföG, das keine Altersgrenzen kennt, mehrfach verbessert.

Zahl der Teilnehmenden in Weiterbildungen stagniert

Die vielen Einzelreformen der vergangenen Jahre bauen aufeinander auf und haben die drei Tanker des lebenslangen Lernens – die beiden BAföG-Systeme und die arbeitsmarktpolitische Förderung der Weiterbildung –, die in der Bevölkerung bekannt sind, schrittweise gestärkt. Zudem hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) 600 zusätzliche Stellen für die Weiterbildungsberatung bereitgestellt. Während die Förderzahlen im Aufstiegs-BAföG langfristig gestiegen und die Auswirkungen der erhöhten Altersgrenze im BAföG noch abzuwarten sind, stagnieren trotz aller Reformen die Teilnehmendenzahlen in der arbeitsmarktpolitischen Weiterbildung. Sie pendeln seit 2015 bei rund 150.000 Menschen im Jahr. Zum Vergleich: 2000 nahmen noch mehr als 350.000 Menschen Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung in Anspruch, bis 2005 – nach der Einführung der Hartz-Gesetze – sank die Zahl auf knapp 112.000 und stieg in den Folgejahren bis 2010 auf rund 188.000 an. 

Für dieses Weiterbildungsparadoxon gibt es mehrere Erklärungen. Erstens war die BA in der Corona-Krise mit anderen Aufgaben (vor allem Kurzarbeitergeld) belastet und hat sich wenig um die Weiterbildungsförderung gekümmert. Zweitens ist eine längerfristige Weiterbildung für viele Arbeitslose finanziell nicht attraktiv, da sich ihre Arbeitsmarkt- und Verdienstchancen durch den Arbeitskräftemangel und die Anhebung des Mindestlohns verbessert haben. Drittens wurde vor allem in den ländlichen Regionen in der Vergangenheit durch die Kürzungen die Zahl der wohnortnahen Anbieter so ausgedünnt, dass viele Bildungsgutscheine nicht in Anspruch genommen werden. Viertens schließlich sind viele Angebote nicht auf die Bedürfnisse bildungsferner Gruppen zugeschnitten.

Schuldenbremse bremst Weiterbildung aus

Mit den Zuschüssen zur betrieblichen Weiterbildung und dem Qualifizierungsgeld werden zunehmend auch Beschäftigte und nicht nur Arbeitslose gefördert. Das ist sinnvoll, da die Erfolgschancen einer Weiterbildung gerade für geringer Qualifizierte und Ältere in ihrem Arbeitskontext größer sind. Um zu verhindern, dass die Unternehmen sich ihre betriebsspezifischen Maßnahmen, die sie ohnehin durchführen, von der BA bezahlen lassen, müssen die Qualifizierungen über mehr als 120 Stunden laufen und außerhalb des Betriebs oder durch einen zugelassenen Träger stattfinden. Es verwundert nicht, dass die Unternehmerverbände gegen diese Regelung zur Qualitätssicherung Sturm liefen.

Die positive Bewertung der Weiterbildungsreformen der vergangenen Jahre stehen allerdings unter dem Vorbehalt, dass dafür auch ausreichend Mittel zur Verfügung stehen. Das ist für 2024 gesichert. Es steht allerdings zu befürchten, dass die Weiterbildung ab 2025 zu einem der Opfer der Schuldenbremse wird. Vor allem für notwendige neue Projekte wie die fällige Wiedereinführung eines Unterhaltsgelds bei Weiterbildung oder eines besser dotierten Fachkräftestipendiums für Mangelberufe nach dem Vorbild Österreichs bleibt dann kein Geld mehr.