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fair childhood

Weiter Schuhe aus Kinderarbeit

Schuhe werden unter teilweise noch schlechteren Arbeitsbedingungen hergestellt als Kleidung. Auch Kinderarbeit ist oft mit im Spiel, sagt Berndt Hinzmann von der Nichtregierungsorganisation INKOTA im E&W-Interview.

„Die meisten Unternehmen sind nicht bereit, transparent zu machen, was sie wie produzieren.“ (Berndt Hinzmann, Referent Wirtschaft und Menschenrechte, Lieferkette Textilien und Leder bei INKOTA / Foto: INKOTA (??))
  • E&W: Herr Hinzmann, Sie haben in Gerbereien und Lederfabriken in Indien, Pakistan und Bangladesch recherchiert. Auf welche Missstände sind Sie gestoßen?

Berndt Hinzmann: In Indien schuften neun von zehn Arbeitern – in der Lederindustrie sind es vor allem Männer – ohne Arbeitsvertrag, in Pakistan jeder Zweite. Für sie zahlt niemand Sozialbeiträge, sie sind auch nicht krankenversichert. Die Löhne liegen 20 bis 60 Prozent unter dem nationalen Mindestlohn, der beispielsweise in Pakistan ohnehin bei nur umgerechnet rund 140 Euro im Monat liegt. Frauen, die dann meist im Zuschnitt arbeiten, verdienen noch weniger. Das reicht nicht zum Leben. Und es reicht auch nicht, um bei Krankheit zum Arzt zu gehen. Dabei sind viele Arbeiter und ihre Familien krank, weil sie giftigen Chemikalien ausgesetzt werden.

  • E&W: Gibt es Kinderarbeit?

Hinzmann: Ja. In der industriellen Fertigung eher nicht, aber in den Vorstufen der Produktion, das sind meist kleine oder informelle Betriebe, Subfirmen für größere Unternehmen. Dort arbeiten selbst Achtjährige. Viele Kinder besuchen keine Schule.

  • E&W: Sie haben deutsche und europäische Schuhmarken, Schuhhändler und Onlineshops von Armani bis Zalando gefragt, wie sie sicherstellen, dass in ihrer Wertschöpfungs- und Lieferkette keine Arbeits- und Menschenrechte verletzt werden. Was kam dabei heraus?

Hinzmann: Die meisten blocken, wenn man ihnen diese Frage stellt. Wir haben zehn Unternehmen befragt, nur die Hälfte – Görtz, Otto Group, Zalando, About You und Legero – hat geantwortet, und auch diese fünf eher ausweichend oder nicht transparent und nachvollziehbar. Von den anderen – Avocado Store, Leder und Schuh, Lorenz Shoe Group, Tamaris/Wortmann – kam: nichts. Die fünf, die sich äußerten, räumen zumindest ein, dass es Nachholbedarf bei der Analyse und dem Abstellen von Risiken in der Produktion gibt. Damit gehen sie zwar weiter als viele andere in der Branche. Aber letztendlich haben wir unter den Schuhmarken und Einzelhändlern mit Blick auf Lederprodukte schlichtweg kein einziges Vorzeigebeispiel gefunden.

Es scheint, dass die Branche die Risiken in dieser Lieferkette noch immer ausblendet. Die meisten Unternehmen sind nicht bereit, transparent zu machen, was sie wie produzieren. Sie sind offenbar auch nicht bereit, ihre Einkaufspraxis unter die Lupe zu nehmen, die schließlich – Stichwort Preisdruck – mit dazu beiträgt, dass der Lieferant im Erzeugerland die sozialen Standards nicht einhalten oder einen Lohn, der für die Arbeiterinnen und Arbeiter zum Leben reicht, zahlen kann.

  • E&W: Worauf können Verbraucherinnen und Verbraucher achten, denen ein Schuh ohne Kinderarbeit wichtig ist?

Hinzmann: Anders als bei der Kleidung gibt es für Schuhe leider kaum Siegel und Initiativen, die glaubwürdig nachweisen, dass Menschenrechte in der Produktion eingehalten werden. Im Ledersegment existieren vor allem Industriestandards. Auf die verweisen die Marken gerne, aber die Kriterien sind vage. Ob das gesamte Verfahren integer ist, bleibt unklar. Andere – wie Öko-Tex, der Blaue Engel oder Brancheninitiativen wie die Leather working Group – verlangen zwar einen Nachweis über die eingesetzten Chemikalien, decken aber soziale Standards nicht ab.

Vegane Schuhe aus Kunststoff sind keine wirkliche Alternative, weil auch in ihnen jede Menge Chemie und hoher Energieverbrauch stecken. Und auch ein Etikett wie „Made in Italy“ auf dem Schuhkarton weist nicht auf eine sozial und ökologisch saubere Produktion hin: Das Leder kommt in der Regel auch aus asiatischen Gerbereien.