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Dialog

Weiter, aber anders

Manche Pädagoginnen und Pädagogen wollen nach Pensionierung oder Rentenbeginn weiterarbeiten. Das darf kein Mittel gegen den Fachkräftemangel sein, ist aber eine Möglichkeit, die späte Lebensphase selbstbestimmt zu gestalten.

Foto: GEW

Wenn bei Claudia Scheel das Telefon klingelt, weiß die pensionierte Lehrerin aus Bietigheim-Bissingen (Baden-Württemberg): Das könnte ihre alte Schule sein: „Kannst du nächsten Dienstag zwei Stunden übernehmen?“ Dann checkt Scheel ihren Kalender – Verabredungen, Termine? Ist alles frei, steht die 69-Jährige zur vereinbarten Zeit im Klassenzimmer. Auf dem Pult liegen Themenplan, Aufgabenblätter für den Tag und Unterrichtsmaterialien bereit. Alles von den Lehrkräften top vorbereitet. Dann kann es losgehen. Namenskärtchen schreiben, Sitzplan machen, versammeln im Morgenkreis. „Hallo, liebe Kinder, heute bin ich eure Lehrerin.“

Seit 2016 ist Scheel im Ruhestand, trotzdem packt sie in ihrer alten Schule mit an. Mal einen Tag die Woche, mal einen Monat gar nicht, je nach Bedarf. Und der ist groß, gerade in den Wintermonaten, wenn Erkältungen die Runde machen. Begonnen hatte es drei Monate nach Eintritt in den Ruhestand. Bei einer Stippvisite auf dem Pausenhof hörte sie, wie dünn die Personaldecke an der Schule ist, aber Unterricht an der „verlässlichen Grundschule“ darf nicht ausfallen. „Klar, habe ich gesagt, wenn Not ist, könnt ihr mich anrufen“, erinnert sich Scheel. „Unser Kollegium ist super, deshalb war das für mich selbstverständlich.“

„Weil ich weiß, dass ich bald wieder gehen kann und nicht die Einzelheiten der nächsten Klassenarbeit im Blick haben muss, bin ich viel entspannter und kann mich ganz auf die Kinder konzentrieren.“ (Claudia Scheel)

Zum Glück entfallen für sie als Vertretung Vorbereitungen, Korrekturen, Konferenzen. Umso mehr ist sie vor Ort mit Elan dabei. Verteilt mit ihrer Klasse Obstkisten für die Morgenvesper, schlichtet Konflikte in der Pause oder nimmt mit der Gelassenheit der erfahrenen Pädagogin mal einen Schüler ein paar Minuten beiseite, wenn es klemmt. „Weil ich weiß, dass ich bald wieder gehen kann und nicht die Einzelheiten der nächsten Klassenarbeit im Blick haben muss, bin ich viel entspannter und kann mich ganz auf die Kinder konzentrieren“, so Scheel. 29 Euro netto bekommt sie für 45 Minuten Unterricht.

Verschärfter Fachkräftemangel

Derzeit sind nach Angaben der Kultusministerkonferenz gut 12.000 Lehrkräftestellen nicht besetzt, in den nächsten Jahren wird die Zahl voraussichtlich erheblich steigen – auch durch den Ausbau der Ganztagsschulen.  Noch bedrohlicher ist der Fachkräftemangel in den Kitas: Nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung müssten knapp 100.000 neue Fachkräfte eingestellt werden, um den Betreuungsbedarf zu decken. Und wenn in den kommenden zehn Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen, wird sich der Fachkräftemangel im Bildungssektor weiter verschärfen.

Bundesweit versuchen Landesregierungen, Schulen und Träger der Einrichtungen daher, Fachkräfte, die bereits im Ruhestand sind, zu gewinnen, um die Löcher zu schließen. Indem die Pädagoginnen und Pädagogen an Randzeiten einspringen, auf Zuruf Vertretungen übernehmen oder etwa Zusatzangebote machen. Als Arbeitsverträge werden etwa Honorarverträge, Teilzeitanstellungen oder Minijobs angeboten. Natürlich ändert das nichts an den strukturellen Schieflagen. Zahlen darüber, wie viele Ältere im Ruhestand weiterarbeiten, gibt es nicht. Doch sie tun es in allen Ecken der Republik. Aus Liebe zur Arbeit, Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen oder aus finanzieller Not wie Erzieherinnen, die nach Jahrzehnten mit Teilzeit-Jobs „oft dramatisch kleine Renten erwarten“, so Doreen Siebernik, GEW-Vorstandsmitglied Jugendhilfe und Sozialarbeit.

Die kleine Rente aufbessern

Auch Gabi Hamer will sich die kleine Rente aufbessern. Das Ruhegehalt, das sie als Erzieherin nach 40 Berufsjahren in Brandenburg bekommt, reicht hinten und vorne nicht. Doch mindestens genauso motiviert sie ihre Liebe zur Arbeit. „Ich habe viel auf dem Buckel, aber es war mir nie eine Last“, sagt Hamer. Doch der alte Arbeitgeber winkte ab, vielleicht weil sie als ehemalige Betriebsrätin in der Einrichtung als unbequem galt. Also bewarb sich Hamer nach ihrem Renteneintritt 2018 bei anderen Kitas. Schließlich fand die erfahrene Inklusionsfachkraft einen Job im Kita-Eigenbetrieb in Teltow. Ein Jahr lang lief es bestens, dann kippte die Stimmung. „Manche Kolleginnen fühlten sich angegriffen, wenn ich sie auf mögliche Probleme bei Kindern hinwies – aber genau dafür ist mein Blick als Inklusionserzieherin ja geschärft.“

„Die Abzüge bei einer Teilzeitanstellung als Rentnerin waren zu groß, und dass man als Rentnerin kein Krankengeld bekommt, finde ich sehr ungerecht. Mit einem Minijob auf 520-Euro-Basis fahre ich besser.“ (Gabi Hammer)

Hamer wechselte in eine Inklusionskita, heute arbeitet sie im benachbarten Hort – und ist zufriedener denn je. Statt wie vorher zwölf arbeitet sie nur noch fünf Stunden die Woche. „Die Abzüge bei einer Teilzeitanstellung als Rentnerin waren zu groß, und dass man als Rentnerin kein Krankengeld bekommt, finde ich sehr ungerecht“, so Hamer. „Mit einem Minijob auf 520-Euro-Basis fahre ich besser.“ Und die Zeit mit den Kindern einmal die Woche, die Gespräche, die Bewegung an der Luft – das „fühlt sich gut und richtig an“.

Darauf sollten Menschen im Ruhestand achten.

  • Pensionärinnen und Pensionäre: Rechtlich gesehen werden Beamtinnen und Beamte nicht entlohnt, sie werden vom Staat lebenslang „alimentiert“. Zusätzliches Einkommen staatlicher Institutionen – einer Schule etwa – wird daher normalerweise voll angerechnet, auch bei einem Angestelltenvertrag. Um Pensionärinnen und Pensionäre wegen des Lehrkräftemangels zur Weiterarbeit zu motivieren, gibt es nun Ausnahmen: 16 unterschiedliche – Beamtenrecht ist Ländersache. Dein GEW-Landesverband berät Dich.
  • Rentnerinnen und Rentner: Seit 2023 gilt, dass auch wer vorzeitig in Altersrente geht unbegrenzt hinzuverdienen kann, ohne dass der Lohn auf die Rente angerechnet wird. Jenseits der Regelaltersgrenze war das schon immer so. Wer den Rentenbeginn über die Regelaltersgrenze hinaus aufschiebt, erhält einen Zuschlag von 0,5 Prozent pro zusätzlichem Arbeitsmonat auf die gesamte Rente – lebenslang. Wichtig: Wer weiter im alten Job arbeiten möchte, muss das rechtzeitig absprechen, weil nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und dem Tarifvertrag der Länder (TV-L) das Arbeitsverhältnis mit der Regelaltersgrenze endet. Wer neben einer Teilrente arbeitet, ist voll sozialversicherungspflichtig. Neben einer Vollrente ist das anders: Hier erwirbt man keine Ansprüche auf Kranken- und Arbeitslosengeld. Auf Antrag kann man aber weiter in die Rente einzahlen und so die Rente noch erhöhen.
  • Mini-Jobs in Pension oder Rente: Die sogenannten Minijobs (bis 520 Euro) kann man sowohl in Rente, also auch in Pension wählen. Sie sind „sozialversicherungsfrei“ und steuerfrei. Vor der Regelaltersgrenze besteht Rentenversicherungspflicht, von der man sich befreien lassen kann. Jenseits der Altersgrenze ist es umgekehrt. Das gilt auch für Pensionärinnen und Pensionäre. 

Bei der GEW vor Ort beraten lassen

Wann lohnt es sich, im Ruhestand weiterzuarbeiten? Gesa Bruno-Latocha, Referentin für Tarif- und Beamtenpolitik beim GEW-Hauptvorstand: „Es hängt von sehr vielen Faktoren ab.“ Angestellt oder verbeamtet? Falls Letzteres: In welchem Bundesland lebt die Person? Ist sie schon in Rente oder Pension oder steht sie kurz davor? „Die Regelungen sind so unterschiedlich und verändern sich so oft, dass man sich unbedingt bei der GEW vor Ort beraten lassen sollte.“ Zudem gibt es viele Fallstricke. Berufserfahrung als Beamte oder Beamtin wird bei einem Angestelltenvertrag nicht anerkannt. Auch wer als Angestellte mehr als sechs Monate zwischen Arbeitsende und Wiederaufnahme der Arbeit verstreichen lässt, kann wie eine Anfängerin eingruppiert werden, „schädliche Unterbrechung“ nennt sich das, so Bruno-Latocha.

„Am Ende meines Berufslebens war mir klar: Ich will mein Wissen noch lange weitergeben.“ (Maria Greckl)

Maria Greckl hat das selbst erlebt. 2019 verschob die Sprachlehrkraft den regulären Pensionsbeginn um ein Jahr, die um 20 Prozent höheren Bezüge, die es von der Berliner Senatsverwaltung dafür gibt, waren ihr willkommen. Gern hätte sie anschließend acht Stunden als Förderlehrerin weitergearbeitet, aber der Schulleiter lehnte ab. „Dann fand ich lange nichts Festes“, so die Gymnasiallehrerin aus Bayern, die seit Ende der 1980er-Jahre in Berlin lebt. Damals hatte sie sich auf Deutsch als Fremdsprache spezialisiert, in Willkommensklassen unterrichtet, wurde später Expertin für Alphabetisierungskurse. 25 Jahre Erfahrung als Sprachförderlehrkraft, neun Jahre in der Alphabetisierung: „Am Ende meines Berufslebens war mir klar: Ich will mein Wissen noch lange weitergeben.“

Greckl gab zunächst Ferienkurse und Lehrkräftefortbildungen. Erst im Mai 2022, zwei Jahre nach Einritt in den verschobenen Ruhestand, fand sie einen festen Job: Acht Stunden die Woche als Lehrkraft für die Willkommensklassen – eingestuft als Berufsanfängerin. Netto bleiben etwa 800 Euro im Monat. Greckl arbeitet mit einer jungen Quereinsteigerin zusammen, gibt Unterricht, entwickelt gemeinsam mit dem Team der Willkommensklassen Konzepte weiter. Klassenverantwortung hat die heute 68-Jährige nicht, das macht sie entspannter. Greckl: „Solange ich noch gesundheitlich fit bin und Nutzen bringe, mache ich mit Freuden weiter.“

Allerdings: Wer sich entscheidet, an Schule oder Kita kurzzeitig bzw. mit geringer Stundenzahl einzuspringen, muss sich klar sein: Bildung ist Beziehungsarbeit; der Wechsel von Bezugspersonen kann gerade in der frühkindlichen Pädagogik zu Problemen führen. Auch ist man kein fester Bestandteil des Teams, was die Kommunikation schwierig gestalten kann. 

Um Missverständnissen vorzubeugen, gleich vorweg: Mit diesem Dialog wollen wir nicht Menschen im Ruhestand als Lückenbüßende für einen Fachkräftemangel mobilisieren, den die Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte zu verantworten hat. Das wäre absurd. Doch wenn Ältere nach dem Ende ihres regulären Arbeitslebens freiwillig, voller Freude in ihrem Beruf noch ein wenig weitermachen wollen, wäre es ebenso absurd, sie zu bremsen. Denn diese Tätigkeit ist für viele eine Form, das Alter souverän und befriedigend zu gestalten. Eine Form, von der alle etwas haben, sofern Ruheständler und Ruheständlerinnen auch bei kleinstem Stundenbudget gut in den Alltag der Einrichtungen eingebunden sind, ernst genommen und wie alle anderen bei Bedarf fortgebildet werden.

Ältere bringen einen reichen Erfahrungsschatz mit, können Wissen weitergeben, Gelassenheit in das Miteinander tragen. Sie brauchen Modelle der Mitwirkung, die auf ihre Bedürfnisse abgestimmt sind. Kleine Stundenumfänge, weniger Verantwortung, mehr Flexibilität.

Dabei können sie nur eine Ergänzung der Fachkräfte sein, nie ein Ersatz für fehlendes Personal oder ein Heilmittel gegen aus der Balance geratene Strukturen. Um etwas an Personalmangel, Unterfinanzierung, Belastung durch zunehmende fachliche Herausforderungen und immer neue außerunterrichtliche Aufgaben zu ändern, braucht es strukturelle Maßnahmen, wie sie die GEW in ihrem 15-Punkte-Programm gegen den Lehrkräftemangel für die Schulen vorschlägt.

Frauke Gützkow, GEW-Vorstandsmitglied, verantwortlich für Seniorinnen- und Seniorenpolitik