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Wege durch die gläserne Decke

Ob Kita, Schule oder Hochschule – Frauen übernehmen seltener als Männer Führungspositionen. Expertinnen und Experten fordern mehr Modelle von Teilzeitführung - und mit Blick auf Hochschulprofessuren auch mit Sanktionen verknüpfte Zielvorgaben.

Zeichnung: Amelie Glienke/HOGLI

„Der Markt ist leergefegt“, sagt Sabine Schmitz vom Bezirksverband Hannover der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Trägerin von 44 Kindertagesstätten. Leergefegt, wenn es um die Besetzung von Kita-Leitungen geht. Eine Kita-Leitung zu übernehmen, ist nicht attraktiv. Viele Leiterinnen berichten von steigenden Qualitätsansprüchen, die jede Menge Arbeit mit sich bringen. Für die Führungsaufgaben fehlt dann die Zeit. Das kann Barbara Hruschka, Leiterin des Paritätischen Kindergartens in Göttingen-Grone und Chefin von 18 pädagogischen Mitarbeiterinnen, bestätigen. Sie fordert mehr Unterstützung: „Wir brauchen Supervision und eine weitere Führungskraft als Abwesenheitsvertreterin, dazu Fachberatung und eine bessere Vergütung.“

Leitungen von Kindertagesstätten werden im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst – Sozial- und Erziehungsdienst (TVöD SuE) in die Entgeltstufen S9 bis S18 eingruppiert. Vor allem am unteren Ende sei das zu wenig, sagt Björn Köhler, Leiter des Bereichs Jugendhilfe und Sozialarbeit im GEW-Vorstand: „Grundsätzlich halte ich die Leitungstätigkeit immer noch für unterbezahlt. Die Leitung einer mittelgroßen Kita ist mit der Leitung eines kleinen Unternehmens vergleichbar.“ Zudem hat nur rund ein Drittel aller Kitas einen öffentlicher Träger. Freie Träger zahlen häufig nur angelehnt an den TVöD SuE und damit schlechter. Michael Höfer, Geschäftsführer des Kindergartenträgers Kinderhaus e. V. in Göttingen, fordert ferner: „Auch die Kita-Leitungen, die für andere die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicherstellen, haben einen Bedarf an Vereinbarkeit. Wir brauchen Modelle von Führung in Teilzeit auch in Kindertagesstätten.“ Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung zum Qualitätsausbau in Kitas fehlt in jeder zweiten Einrichtung selbst ein Minimum an Leitungskapazität. Mindestens eine halbe Stelle für Leitungsaufgaben pro Kita schlägt die Studie vor.

„Wenn Frauen nicht von Beginn an Karrierebereitschaft signalisieren, wird ihnen das in der Bewertung negativ ausgelegt.“

Derweil haben rund 1.000 Grundschulen in Deutschland keine Leitung. Vor allem an kleinen Grundschulen muss die Rektorin oder der Rektor Leitungs- und häufig auch Verwaltungsaufgaben zusätzlich zur kaum reduzierten Unterrichtsverpflichtung übernehmen. Bei den nordrhein-westfälischen Grundschulen liegt der Frauenanteil an Schulleitungen bei 77 Prozent, die Leitungsämter an Gymnasien und Berufskollegs sind gerade mal zu 30 Prozent mit Frauen besetzt. „Wir fordern die Umsetzung der Vorschläge des seit zwei Jahren vorliegenden Berichts der Projektgruppe Schulleitungen, die das Schulministerium eingesetzt hatte. Das würde Frauen helfen, Leitungspositionen zu besetzen“, sagt die Vorsitzende der GEW Nordrhein-Westfalen, Dorothea Schäfer. Der Bericht empfiehlt unter anderem Teamstrukturen und Jobsharing in der Schulleitung. Die GEW unterstützt eine frühzeitige Personalentwicklung, ergänzt durch berufsbiografische Leitungsportfolios, Orientierungs-, Coaching- und Mentoring-Angebote, die anteilige oder temporäre Wahrnehmung von Leitungsaufgaben sowie eine Erhöhung der Anrechnungsstundenkontingente.

In Bayern kommt Kritik auch aus der Politik: „Wenn Frauen nicht von Beginn an Karrierebereitschaft signalisieren, wird ihnen das in der Bewertung negativ ausgelegt“, sagt Thomas Gehring, bildungspolitischer Sprecher der Grünen im bayerischen Landtag. Er fordert, allein die fachliche und pädagogische Leistung zu beurteilen. Notwendig seien auch bessere Karrierewege für Teilzeitbeschäftigte. Zwar regeln inzwischen die Landesschulgesetze, dass alle Leitungsstellen auch in Teilzeit auszuüben sind, die Praxis sieht jedoch anders aus. Leitungsämter werden kaum geteilt. Für Teilzeit-Rektorinnen und -rektoren entstünden Nachteile, sagt Stephan Mertens von der GEW NRW, denn die abschließende Verantwortung für die Aufgabe der Leitung einer Schule sei in wesentlichen Bereichen nicht teilbar.

In ihrem Abschlussbericht zum Projekt „Schulleitungsbesetzung unter der integrierenden Perspektive von Gender Mainstreaming und Diversity Management“ fordert Katja Kansteiner von der Pädagogischen Hochschule Weingarten, Führung und Personalmanagement bereits in der Lehrkräfteausbildung zu verankern. Frauke Gützkow, im Vorstand der GEW für Frauenpolitik verantwortlich, sieht vor allem die Personalverantwortlichen in der Pflicht: „Personalplanung ist ein zentraler Aspekt der Schulentwicklung. Mit den Frauenförderplänen, die in den Landesgleichstellungsgesetzen verankert sind, gibt es erprobte Instrumente dafür.“ Mit gutem Beispiel voran gehen unter anderem Hessen und NRW. Die Kultusministerien beider Länder bieten Programme zur systematischen Qualifizierung und Motivierung von Frauen für eine Schulleitungsposition an. Seit Eignungsfeststellungsverfahren und Qualifizierungen eingeführt worden sind, die auf eine Rektorinnentätigkeit vorbereiten, haben sich vermehrt Frauen auf eine Stelle als Schulleiterin beworben.

„Männer sehen am liebsten Männer als ihre Nachfolger und fördern diese besonders.“

Auch in Hochschule und Forschung treffen Frauen auf strukturelle Barrieren. Auf dem Weg zu Leitungsfunktionen scheiden immer mehr Frauen aus dem Strom der Qualifizierten aus, ihr Anteil nimmt mit jeder Stufe der Karriereleiter ab. „Insbesondere im Stadium zwischen Promotion und Professur steigen Frauen aus statt auf“, sagt Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der GEW. Dies dürfe jedoch nicht auf die fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf reduziert werden. Entscheidend sei ein anderer Mechanismus: „Männer sehen am liebsten Männer als ihre Nachfolger und fördern diese besonders, während Frauen häufig wenig Ermutigung erfahren.“

„Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass der Wind in der Wissenschaft knallhart weht, wenn man als Frau die gläserne Decke erreicht und man sich auf eine Professur beworben hat“, berichtet Ulrike Beisiegel, Präsidentin der Georg-August-Universität Göttingen. „Wichtig für die Karriere von jungen Wissenschaftlerinnen sind Mentoring-Programme mit Frauen, die das selber durchgemacht und Führungspositionen erreicht haben. Gleichstellung muss strategisch integriert werden.“ Doris Hayn, Gleichstellungsbeauftragte der Universität Göttingen, ergänzt: „Um ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den Geschlechtern auf allen Karrierestufen der Hochschulen einschließlich der Professuren herzustellen, brauchen wir verbindliche, mit Sanktionen – positiven wie negativen – verknüpfte Zielvorgaben.“

Der Artikel von Dagmar Schlapeit-Beck, Chefredakteurin zwd-Politikmagazin, ist in voller Länge in der Februarausgabe der „E&W“ veröffentlicht.