Digitalisierung der Schulen
Weder ein Allheilmittel noch ein Grundübel
Smartphone-Verbot an niederländischen Schulen, Verbotsdiskussionen in Frankreich, die Renaissance des Schulbuchs in Skandinavien und eine Stellungnahme aus Stockholm, die zur Forderung nach einem Moratorium für Digitalisierung in Deutschland führte. Ist die Digitalisierung der Schulen ein Irrweg?
Seit der Corona-Pandemie haben skandinavische Länder verstärkt in kommerziell betriebene digitale Infrastrukturen und ein datengetriebenes Bildungssystem investiert. So schafften die Schulen in Dänemark im großen Stil Chromebooks an und installierten Google Classroom. Die Hälfte der 750 in der dänischen Kommune Gladsaxe benutzten Schul-Apps verstießen allerdings gegen gesetzliche Regelungen, so die Tageszeitung Politiken.
Der dänische Bildungsforscher Lukas Cone kritisiert den Einfluss großer Anbieter. Diese implementierten häufig mit der Technik ein behavioristisches Lernverständnis, das der Pädagogik in dänischen Schulen zuwiderläuft, die auf Gruppenarbeit, Sozialkompetenz und Allgemeinbildung gründet. Statt auf die Erfahrung der Lehrkräfte zu vertrauen, werde das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler häufiger datengestützt beurteilt. Auch die Bildschirmzeit sorgt für Diskussionsstoff. Um sie zu reduzieren und die Lust am Lesen zu fördern, erhöhte die dänische Regierung kürzlich die Mittel für Printbücher.
Bildungsminister Mattias Tesfaye (Sozialdemokratische Partei) empfahl, die Bildschirmnutzung stärker zu regulieren. Digitale Medien werden in Dänemark aber nicht als solche abgelehnt. Für die GEW-Schwestergewerkschaft Danmarks Lӕrerforening tragen digitale Technologien zur Unterrichtsqualität bei, wenn Lehrkräfte mit ihrer Profession und didaktischen Kompetenz darüber entscheiden, sie einzusetzen, falls dies im Unterrichtskontext sinnvoll erscheint.
Schweden: zurück zum gedruckten Buch
In Dänemarks Nachbarland Schweden erlebt das gedruckte Schulbuch sogar eine Renaissance. Eine Stellungnahme von fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Karolinska-Instituts in Stockholm aus dem April 2023 veranlasste die schwedische Regierung, in der Schule wieder mehr auf gedruckte Bücher zu setzen und ihre Entscheidung, die Vorschulen verpflichtend mit digitalen Geräten auszustatten, rückgängig zu machen. Es gebe, so heißt es in dem Papier der fünf Professorinnen und Professoren aus den Bereichen Entwicklungspsychologie, Neurowissenschaften, Psychologie sowie Neonatologie, „eindeutige wissenschaftliche Belege dafür, dass digitale Werkzeuge das Lernen der Schülerinnen und Schüler eher beeinträchtigen als verbessern“.
Sie kritisieren, dass Lehrmaterialien digitalisiert, freie Internetrecherche als Mittel der Wahl gilt und die Nationale Bildungsbehörde Digitalisierung als Allheilmittel in Gleichstellungsfragen und im Kampf gegen soziale Ungleichheit sehe. In ihrer Stellungnahme fordern sie die Einführung eines Fachs „Digitale Kompetenzen“; zudem müssten das Wissen primär von Lehrkräften vermittelt und die Aus- und Fortbildung gestärkt werden.
Ein Blick auf den Forschungsstand der Stellungnahme offenbart aber Engführungen: zum Beispiel der selbst-referenzielle Bezug auf ein populärwissenschaftliches Buch des Mitautors und Neurowissenschaftlers Torkel Klingberg, der sich wiederum auf seinen deutschen Kollegen Manfred Spitzer beruft, der digitale Geräte und die Digitalisierung verdammt („Handys und Tablets machen dumm, dement, depressiv und süchtig“). Außerdem spitzt das Papier manche Forschungsergebnisse verzerrend zu, etwa eine Studie, nach der sich Lesende beim Printlesen besser an Informationen erinnern als beim Bildschirmlesen.
Laut dieser Untersuchung aus dem Jahr 2018 nähern sich die Ergebnisse aber an, wenn Lesende ihr Lesetempo selbst bestimmen. In einem von der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien (AJuM) der GEW herausgegebenen Projektbericht weisen die beiden Germanisten Günther Stocker und Lukas Kosch (Universität Wien) zudem darauf hin, dass in der 2018-Studie Unterschiede nur bei Informationstexten, nicht aber für literarische Texte erforscht wurden und mobile Geräte auch neue Lesegelegenheiten schaffen.
Was heißt das für die Situation in Deutschland?
Anders als in Skandinavien haben die Schulen in Deutschland nicht flächendeckend die Möglichkeit, mit digitalen Medien zu arbeiten. Alle Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler sollten aber digitale Technik und Anwendungen nutzen können. Eine Debatte über die Wirkung und Lernwirksamkeit digitaler Medien ist in vollem Gange. Die GEW fordert schon lange, digitale Medien dort fachdidaktisch differenziert einzusetzen, wo es sinnvoll begründet ist. Nach welchen pädagogischen Prinzipien werden etwa Lern-Apps modelliert? Wird die Profession der Lehrkräfte gestärkt oder eingeschränkt? Wie gelingt ein gesellschaftlicher Umgang mit digitalen Medien, sodass Lehrkräfte nicht Feuerwehr und Polizei spielen müssen?
„Die Digitalisierung der Schulen kann weder als Allheilmittel für gesellschaftliche Probleme gelten, noch sollte sie als deren Grundübel gewertet werden. Ein differenzierter Blick tut gut“, stellt Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule, klar.