LesePeter März 2025 für Sachbuch „Hüte“
Was verraten Kopfbedeckungen über uns?
Überall auf der Welt setzen sich Menschen etwas auf den Kopf: aus religiösen Gründen, zur Zierde, zur Tarnung, zur Repräsentation. Karen Exner stellt Kopfbedeckungen gegenüber und beschreibt so auch die kulturelle Vielfalt.
Da kann man nur den Hut ziehen, vor dieser beeindruckenden Sammlung an Kopfbedeckungen über die Menschheitsgeschichte und Kulturen hinweg. Hüte können bestimmte religiöse, modische oder kulturelle Zugehörigkeiten markieren oder Funktionen erfüllen. Von der Kippa über die Bärenfellmütze bis zum Fahrradhelm ist alles dabei. Eindrucksvoll und lebendig werden die Kopfbedeckungen durch die Kratztechnik mit Ölpastellkreiden inszeniert. Chapeau!
Im März 2025 erhält den LesePeter das Sachbuch „Hüte und andere Kopfbedeckungen aus aller Welt“ von Karen Exner.
Was trägt die Welt auf dem Kopf?
Kochmütze, Polizeihut oder Fahrradhelm – Duku, Melone oder Hijab – Lorbeerkranz, Zweispitz oder Krone – Kopfbedeckungen begleiten die Menschen schon seit Jahrtausenden und bis heute haben sich die verschiedensten Formen ausgeprägt. Manche sind funktional für bestimmte Berufe oder zum Schutz nötig, wie der Fahrradhelm, andere haben religiöse Bedeutung oder zeigen einen Status oder eine Einstellung an, wie z.B. die Melone, die von den indigenen Frauen in Peru, Chile und Bolivien getragen wird.
Karen Exner trägt 60 Formen von Kopfbedeckungen zusammen, sogar der Aluhut der Verschwörungstheoretiker fehlt nicht. In der Regel werden zwei Kopfbedeckungen auf einer Doppelseite präsentiert und auch sehr bewusst und spannungsreich gepaart. So stehen sich z.B. der Brautschleier und der Imkerhut gegenüber, die eben der transparente oder halbtransparente Schleier verbindet oder auch der Partyhut und der kegelförmige Hennin als Haube für hochrangige Damen im Mittelalter, deren Ähnlichkeiten kaum zu übersehen sind. So wird man geschickt im Buch von Seite zu Seite geführt und hat beim Betrachten viele Aha-Effekte, wenn man sich an die ein oder andere Kopfbedeckung erinnert, die dann auf den Seiten erwähnt wird.
Allerdings bleibt das Buch nicht beim Erwartbaren stehen, sondern schafft es, neue, kulturell diverse und weniger bekannte Kopfbedeckungen zu zeigen und einen ersten Zugang dazu zu liefern, wie zum Beispiel mit der Gelungan, dem Kopfschmuck der Legong-Tänzerinnen. Durch diese gelungene Mischung kann das Buch immer wieder an die Erfahrungen und die Lebenswelt der Betrachtenden anknüpfen und sie geschickt erweitern und neues Wissen erschließen, das ggf. dann noch weiter vertieft werden kann.
Knapp erzählt und schnell erschlossen
Der Seitenaufbau des schmalen Hochformatbuches ist eher schlicht. Man findet neben dem Namen der Kopfbedeckung und einer Kurzbeschreibung einen kleinen Erläuterungstext, der die Kopfbedeckung kulturell bzw. historisch einordnet und mitunter auch kuriose Informationen zu ihrer Verbreitung bereithält. Was im Text angeschnitten wird, lässt sich nicht selten in den Bildern wiederfinden, so dass man hier von einem engen Bild-Text-Verhältnis sprechen kann. Auch wenn in der Kürze des Textes nicht alle Hintergründe ausgeführt werden können, reichen sie doch aus, um den Kontext schlüssig zu erschließen und machen mitunter auch neugierig, den ein oder anderen Zusammenhang noch einmal genauer nachzurecherchieren. Die Texte sind gut lesbar und auch für jüngere Kinder bereits verständlich erklärt.
Oft werden die Einordnungen von interessanten Facts begleitet, die die Texte noch lesenswerter machen, z.B. woher der Hundsgugel (eine Ritterhelmform) seinen Namen hat. An verschiedenen Stellen wird die strenge Ordnung des Buches (zwei Kopfbedeckungen pro Doppelseite) von Sammlungen unterbrochen, die z.B. verschiedene Varianten von Perücken zeigen oder aber verschiedene Arten, das Duku zu binden, wie die Menschen das Tuch in Ghana nennen. Solche Darstellungen sowie die seitenübergreifenden Bilder, die z.B. ein Pferderennen zeigen, bei dem man Personen mit den verschiedenen Hüten entdecken kann, machen den Aufbau und den Rhythmus des Buches sehr abwechslungsreich.
Lebendig gekratzt
Der schlichten Sprache der Erläuterungstexte stehen schematische Illustrationen gegenüber, die in einer Ölpastell-Kratztechnik erstellt wurden und visuell eher flächig und holzschnittartig wirken. Die starken Linien dominieren die abstrakten Portraits und leiten den Blick besonders auf die Kopfbedeckungen. Die Hintergründe wechseln zwischen knalligen Plakatfarben wie Magenta oder Grün, weißen oder gemusterten Flächen, auf denen man immer das Herausarbeiten der gekratzten Formen noch nachspüren kann. Die Bilder erinnern an Pop-Art oder Plakatkunst, sie sind reduziert in der Form und auch der Hintergrundgestaltung und somit bestens geeignet, um den Gegenstand – die Kopfbedeckungen – in ihrer Vielfalt zu zeigen.
Insgesamt liegt ein herausragendes Sachbilderbuch vor, das Inhalt und Form stimmig zusammenbringt und ein Thema wählt, das die Menschen auf der ganzen Welt historisch und aktuell beschäftigt. Nach dem Buch wird man neu auf alles blicken, was uns auf die Köpfe kommt. Chapeau!
Die Autorin und Illustratorin
Karen Exner, geboren 1995 in Ratzeburg, lebt und arbeitet freiberuflich in Berlin. Dort ist sie an zahlreichen Projekten und Aufträgen für visuelle Kunst, Illustration und Animation beteiligt. Sie studierte an der Muthesius Kunsthochschule, der Bezalel Art Academy in Israel und der University of the West England. An der Universität der Künste in Berlin schloss sie ihr Studium mit einem Master ab. Exners Arbeiten wurden in verschiedenen Ländern ausgestellt, u.a. in Israel, Südkorea, Serbien oder Tschechien. 2023 wurde ihr Manuskript zu „Hüte“ mit dem Hamburger Bilderbuchpreis ausgezeichnet.
Die AJuM vergibt den LesePeter monatlich abwechselnd in den Sparten Kinderbuch, Jugendbuch, Sachbuch und Bilderbuch.
Karen Exner, Hüte und andere Kopfbedeckungen aus aller Welt, Carlsen, Hamburg 2024, ISBN: 978-3-551-52291-7, 88 Seiten, 18 Euro, ab vier Jahren