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Tarifrunde TVöD 2020

Warum Warnstreiks jetzt wichtig sind

Auf die Blockadehaltung der Arbeitgeber haben die Gewerkschaften Ende September sofort mit ersten Warnstreiks geantwortet. Diese sollen mit Blick auf die dritte Verhandlungsrunde am 22./23. Oktober in Potsdam ausgeweitet werden.

Die Pixi-Buch-Sonderausgabe „Streik in der Kita“ der GEW soll für die Forderungen der Erzieherinnen und Erzieher nach besseren Arbeitsbedingungen sensibilisieren.

Die Gewerkschaften verlangen 4,8 Prozent mehr Gehalt, mindestens jedoch 150 Euro im Monat. Zudem erwarten sie, dass die wöchentliche Arbeitszeit für die Angestellten in den östlichen Bundesländern von 40 auf 39 Stunden gesenkt und damit an das Westniveau angeglichen wird. Der Tarifvertrag soll ein Jahr laufen.Weder beim Thema Gehalt noch bei den weiteren Verhandlungspunkten gab es in der zweiten Runde viel Bewegung.

Die Arbeitgeber spielen auf Zeit – in jeder Beziehung übrigens: So wollen sie durchsetzen, dass die kommunalen Beschäftigten in den östlichen Bundesländern noch bis 2025 länger als ihre Kolleginnen und Kollegen im Westen arbeiten. Mit anderen Worten: Abgesehen vom Mund-Nasen-Schutz und den Abstandsregeln verhielten sich die Arbeitgeber bisher ähnlich wie in der Vor-Corona-Zeit: Sie geben sich verhandlungsoffen, lassen an der einen oder anderen Stelle durchblicken, dass sie zu konstruktiven Lösungen bereit seien.

Aber in den Kernfragen mauern sie sich ein und schieben als Begründung vor: Es seien noch zwei Termine mit ver.di vereinbart, um über die Bereiche Pflege/Gesundheitswesen und Sparkassen zu verhandeln. Dabei geht es jedoch um Spezialthemen, die mit der allgemeinen Gehaltserhöhung nichts zu tun haben. Das Kalkül bei der Beton-Strategie der Arbeitgeber: Sie hoffen, dass die Streikbereitschaft der Beschäftigten vor der Veröffentlichung eines Angebots weniger leidenschaftlich ist als nach dessen Bekanntwerden.

Arbeitgeber-Rituale

Diese Rituale der Arbeitgeber sind schon in „normalen“ Tarifrunden belastend, während der Corona-Pandemie jedoch völlig unangemessen. Insbesondere weil die Gewerkschaften Mitte des Jahres vorgeschlagen hatten, die Runde in das Frühjahr 2021 zu verschieben und den Beschäftigten für die Übergangszeit einen Ausgleich zu zahlen. Bis zum nächsten Jahr, so die Überlegung der Gewerkschaften, seien viele Entwicklungen, die die Corona-Krise ausgelöst hat, besser einzuschätzen, und die Verhandlungen könnten dementsprechend auf einem gesicherteren Fundament geführt werden.

Das haben die Arbeitgeber jedoch strikt abgelehnt und bestanden auf dem ursprünglichen Tarifrundenfahrplan. Entsprechend verärgert reagierte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe: „Die Forderungen der Gewerkschaften liegen auf dem Tisch. Die Arbeitgeber bewegen sich jedoch nicht und vergeuden Zeit. Das versteht in der Öffentlichkeit niemand. Das Verhalten der Arbeitgeber ist eine Respektlosigkeit gegenüber den Beschäftigten.“

„Die Kolleginnen und Kollegen warten schon seit 30 Jahren auf gleiche Arbeitsbedingungen in Ost und West.“ (Daniel Merbitz)

Mit Blick auf den Vorschlag der Arbeitgeber, die Arbeitszeit Ost in zwei Schritten bis 2025 auf das Westniveau zu senken, stellte GEW-Tarifchef Daniel Merbitz fest: „Das kann doch nicht ernst gemeint sein. Die Kolleginnen und Kollegen warten schon seit 30 Jahren auf gleiche Arbeitsbedingungen in Ost und West.“

Das Herzstück der Eingruppierung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist das Thema „Arbeitsvorgang“. Dieses sei ihnen, so betonen die Verhandlungsführer der Arbeitgeber, besonders wichtig. Die Eingruppierung in den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) hängt nämlich davon ab, in welchem zeitlichen Umfang welche Tätigkeiten ausgeübt werden. Dabei dürfen Arbeitsvorgänge, die zu einem abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen, nicht beliebig aufgespalten werden. Genau das versuchen die Arbeitgeber aber immer wieder, um Beschäftigte schlechter zu bezahlen als ihnen zusteht.

„Die Vorschläge der Arbeitgeber würden eine zentrale Säule des über Jahrzehnte entwickelten Eingruppierungsrechts im öffentlichen Dienst zerschlagen.“

Dieser Praxis haben etliche Gerichtsurteile einen Riegel vorgeschoben: Die Richter sprachen den Beschäftigten eine höhere Entgeltgruppe zu. Beispiel: Wenn ein Rechtsgutachten erstellt wird, gehören dazu auch einfache Tätigkeiten wie das Kopieren von Seiten. Ausschlaggebend für die Bewertung ist jedoch das Arbeitsergebnis, also das Gutachten, und nicht die unter Umständen vielen Arbeitsschritte, die ebenfalls nötig sind, um zum Ziel zu kommen.

Obwohl die Arbeitgeber in den Verhandlungen kein einziges überzeugendes Praxisbeispiel nennen konnten, wollen sie die Gewerkschaften jetzt dazu zwingen, den Tarifvertrag in ihrem Sinn zu ändern. „Die Vorschläge der Arbeitgeber würden eine zentrale Säule des über Jahrzehnte entwickelten Eingruppierungsrechts im öffentlichen Dienst zerschlagen“, betonte Merbitz. „Das werden die Gewerkschaften nicht hinnehmen.“

Altersteilzeit verbessern

Zudem verhandeln Gewerkschaften und Arbeitgeber über das Thema Altersteilzeit. Die Gewerkschaften wollen durchsetzen, dass die aktuelle Regelung verlängert und verbessert wird. Dafür haben sie Vorschläge gemacht. Gerade angesichts steigender Belastung und Arbeitsverdichtung ist Altersteilzeit für viele Beschäftigte attraktiv. Die derzeitige Quotenregelung im Tarifvertrag hindert viele Kolleginnen und Kollegen, die Altersteilzeitregelung zu nutzen. Außerdem sind die Aufstockungsbeträge für Gehalt und Rentenbeiträge gerade für Beschäftigte in den unteren und mittleren Entgeltgruppen zu niedrig, um sich Altersteilzeit leisten zu können. „Wir erwarten von den Arbeitgebern ein klares Bekenntnis, dass sie auch in Zukunft attraktive Altersteilzeitregelungen anbieten“, sagte Merbitz.

Einerseits haben die Arbeitgeber in zwei Verhandlungsrunden kein Angebot zur Lohnsteigerung vorgelegt. Andererseits werden sie nicht müde zu betonen, dass sie für die von ihnen nicht bezifferte Gehaltserhöhung eine lange Laufzeit von drei Jahren wollen. Denn 2022 werde für die öffentlichen Haushalte das schwierigste Jahr, weil dann die Schuldenbremse wieder greift. Dafür brauchten sie Planungssicherheit, argumentierten die Arbeitgeber. Das hört sich nicht nach einem Angebot an, das die Beschäftigten zum Jubeln bringt. Es klingt nach einer Festlegung auf minimale Lohnsteigerungen für mehrere Jahre.

Gesundheitsschutz bei Protesten

Bei allen Warnstreiks und Aktionen, zu denen die GEW aufruft, steht in Pandemiezeiten der Gesundheitsschutz an erster Stelle. Die Bildungsgewerkschaft hat Aktionsformen entwickelt, bei denen Abstand und Hygieneregeln eingehalten werden können. Dabei setzt sie neben klassischen Warnstreiks verstärkt digitale Formate ein, die die Beschäftigten aktiv mitgestalten und über soziale Medien teilen können. Mit Blick auf die Wochen bis zur dritten Verhandlungsrunde unterstrich GEW-Tarifexperte Merbitz: „Ich bin sicher, dass die Beschäftigten den Arbeitgebern eine klare Antwort geben. Das wird ein heißer Herbst!“