Die Corona-Verschwörung – Teil 1
Warum Verschwörungstheoretiker Hochkonjunktur haben
Seit einiger Zeit versammeln sich Tausende zu sogenannten „Anti-Corona-Demos“, um für schnelle Lockerungen in der Coronakrise zu demonstrieren. Was steckt dahinter und was können wir dagegen tun? Teil 1 des Debattenbeitrages der GEW Studis.
Woche für Woche ereignet sich ein groteskes Schaulaufen: In Deutschlands Großstädten versammeln sich Tausende zu sogenannten „Anti-Corona-Demos“, um gegen die Kontaktbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie zu demonstrieren. So versammelten sich am 16. Mai alleine in Stuttgart 5.000 Menschen auf der dortigen „Hygienedemo“.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Versammlungen scheinen sich aus heterogenen gesellschaftlichen und politischen Milieus zusammenzusetzen: Menschen aus Kreisen der Verschwörungsideologien – rechts wie links – treffen sich mit Esoterikerinnen und Esoterikern ebenso wie mit rechtsextremen Hooligans, Mitgliedern von Anti-Impf-Kampagnen oder veganen Starköchen, Putin-Fans und tanzenden Hippies. Sie alle demonstrieren für schnelle Lockerungen der Corona-Maßnahmen.
Innerhalb weniger Wochen und Tagen hat sich so eine politische Menge konstituiert, die nur durch ein vages Gefühl zusammengehalten wird: Hinter der Corona-Pandemie, die ganze Welt in Atem hält und bis dato schon über 300.000 Menschenleben kostete, stecke eine geheime Macht und steuere den Krankheitsverlauf für ihre dunklen Zwecke.
Über die Hintermänner und Ziele dieser vermeintlichen Verschwörung sind sich die Anhängerinnen und Anhänger genauso wenig einig wie über das Virus an sich: Gibt es das Virus wirklich oder ist dies nur eine vorgespielte Lüge der Geheimgesellschaften? Diese “Bewegung” benötigt eine solche Auseinandersetzung um klare Ursachen-Folge-Relationen nicht, ebensowenig wirkliche Beweise für ihre Anschuldigungen.
Wir – die Mitglieder des Bundesausschusses Studierender in der GEW – wollen im Folgenden zeigen, dass diese Menschen Hetze mit legitimer Meinungsäußerung verwechselt, was Verschwörungsideologien eigentlich sind und warum diese so gefährlich für eine demokratische Gesellschaft werden können. Zuletzt skizzieren wir einige Ideen, wie Gewerkschaften und Bildungsinstitutionen auf diesen Ausbruch der Unvernunft reagieren sollten.
Wissenschaftsfeindlichkeit unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit
Gemein haben diese Gruppen, dass sie Wissenschaftsleugnung betreiben. Der aktuelle Stand der Wissenschaft, der mit wissenschaftlichen Methoden erarbeitet wurde, wird als reine Meinung betrachtet. Dadurch wähnen sich die Teilnehmenden als besonders demokratisch, da sie lediglich eine andere Meinung hätten, die ihrer Ansicht nach nicht anerkannt wird.
Doch wissenschaftliche Erkenntnisse sind nicht immer ganz leicht auf den Punkt zu bringen. Es kann schnell das Bild entstehen , Virologen und Experten hätten ihre Standpunkte verändert – dabei folgt eine veränderte oder präzisierte wissenschaftliche These der gängigen wissenschaftlichen Praxis und ist eben keine neue, vom Himmel fallende oder durch die Bundesregierung kontrollierte Meinung.
Teile der Presse haben ihren Anteil an der Situation. Reißerische Überschriften tragen zur Verunsicherung und Panikmache bei. Auch die großen Social Media Konzerne befriedigen mit ihren Algorithmen die Empörungsindustrie, da Beiträge mit sehr vielen Interaktionen besonders hervorgehoben werden. Dazu gehören leider auch viele Posts, die verschwörungstheoretische Inhalte haben. Es wird schwer mit Vernunft und Maß die sehr dynamische Entwicklung täglich neu zu beobachten und einzuschätzen.
Das sind ideale Bedingungen, sehr einfache Antworten auf komplexe Fragen zu suchen. Letztlich äußert sich in diesem Spektrum eine tiefe Verachtung für die Errungenschaften der modernen Wissenschaft, welche die notwendige Expertise bereitstellen konnte, um unzählige Menschenleben zu retten.
Gemein ist den Vorstellungen über die vermeintlichen „Strippenzieher“ der Pandemie aber die antisemitisch anmutende Rhetorik und Ästhetik, bei welcher man gleichzeitig sowohl von einer jüdischen Finanzelite unterjocht sei, als auch jetzt selbst wie einst die Juden verfolgt werde. Diesen absurde Vergleich zu ziehen ist nicht nur geschmacklos, sondern auch geschichtsrevisionistisch.
„Verschwörungstheorien“ – was sind das eigentlich?
Wenn hierzulande der Begriff der Verschwörungstheorie genutzt wird, wird damit begrifflich sehr unvorsichtig vorgegangen: Theorien sind auf rationale Hypothesen basierende Sinnstrukturen, welche durch Beobachtungen falsifiziert und verifiziert werden können. Gerade dies wird von den Anhängern dieser Szene nicht getan, man sollte deshalb besser von Verschwörungsmythen, -erzählungen oder ideologien, statt von Theorien sprechen.
Andererseits sollte man auch nicht aus dem Blick verlieren, dass es echte Verschwörungen in der Menschheitsgeschichte gab, schließlich wird Politik und Geschichte von Menschen gemacht: Brutus verschwörte sich mit anderen Senatoren um Julius Cäsar zu beseitigen. Auch im Zuge des NSU Prozesses kam es im Zusammenhang mit dem Verfassungsschutz zu besorgniserregenden Enthüllungen, welche bis heute nicht vollständig aufgeklärt wurden. Doch für eben solche reellen Vorgänge interessiert sich in der Szene niemand.
Vermeintlich logisch, aber bestenfalls sophistisch argumentieren diese Menschen stets mit einem „Cui bono?“, also der Frage, inwieweit jemand von gewissen Ereignissen profitieren würde. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass beispielsweise Politikerinnen und Politiker von Ereignissen profitieren, die diese selbst nicht antizipieren konnten. Andererseits misslingen zahlreiche Verschwörungen, wie das Beispiel Brutus zeigt.
Die Frage nach einem „Cui Bono?“ ist deshalb weitgehend unbrauchbar, um Krisenphänomene zu erfassen. Letztlich sind diese für Menschen verlockend, die immer eine starke Meinung vertreten wollen ohne sich einzulesen. Die Grundlage umsichtiger Meinungsbildung sollte deshalb eher ein „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ (Sokrates) sein. Die Fähigkeit, zur eigenen Unwissenheit zu stehen ist für die Selbsterkenntnis unerlässlich.