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Tarif- und Beamtenpolitik

Warum Arbeitszeiterfassung?

Studien zeigen, dass für Beschäftigte die Länge und die Lage der Arbeitszeit zentrale Belastungsfaktoren sind. Und dass die Erfassung der Arbeitszeit Entlastung schaffen kann. Wir schauen auf die Situation im öffentlichen Dienst.

Foto: Pixabay / CC0

Überstunden findet man laut einer aktuellen Arbeitszeitbefragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) im öffentlichen Dienst besonders häufig. 21 Prozent der Befragten berichten von mehr als zwei bis zu fünf Überstunden, 14 Prozent von mehr als fünf bis zu zehn Überstunden und 10 Prozent sogar von mehr als zehn Überstunden pro Woche. Als Hauptgrund wird genannt, dass die Arbeit sonst einfach nicht zu schaffen sei. Dieser Zeitdruck wird durch andere Untersuchungen bestätigt, etwa durch den DGB-Index Gute Arbeit. Mehr als die Hälfte der Befragten aus dem öffentlichen Dienst (54 Prozent) fühle sich bei der Arbeit sehr häufig oder oft gehetzt, heißt es in der aktuellen Sonderauswertung des Index für den öffentlichen Dienst.

Arbeit zu sozial wertvollen Zeiten

Viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind außerdem von Wochenend-, Abend- oder Nachtarbeit betroffen. Solche atypischen Arbeitszeiten gibt es hier häufiger als in der Privatwirtschaft. Mit 31 Prozent teilt fast ein Drittel der Beschäftigten mit, sehr häufig oder oft am Wochenende zu arbeiten (Privatwirtschaft 19 Prozent). Auch die Werte für die Arbeit am Abend und in der Nacht liegen im öffentlichen Dienst höher.

Diese Arbeitszeitlagen haben soziale Auswirkungen, weil sich beispielsweise das Vereins- oder Familienleben auf den Abend und die Wochenenden konzentriert. Gleichzeitig können sie die Regenerationsmöglichkeiten stören. Die Folge: Beschäftigte mit atypischen Arbeitszeiten bewerten ihren Gesundheitszustand schlechter als Beschäftigte, die ihre Tätigkeit in der Regel zwischen 7 und 19 Uhr ausüben.

Arbeitszeiterfassung im öffentlichen Dienst

Die Erfassung der Arbeitszeit ist aber nicht nur am Wochenende oder in der Nacht ein wichtiges Instrument des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Sie ermöglicht die Kontrolle arbeitszeitlicher Mindeststandards, also der Pausen- oder Ruhezeiten sowie der Wochen- bzw. der Tageshöchstarbeitszeiten. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Mitgliedstaaten deshalb 2019 aufgefordert, Arbeitgebern ein „objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung“ vorzuschreiben. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Sichtweise im Jahr 2022 bestätigt (BAG 13. September 2022 – 1 ABR 22/21). Das Gericht legte dar, dass bereits eine gesetzliche Verpflichtung für Arbeitgeber bestehe, ein solches System zur Messung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeiten zu schaffen. Dies leite sich unmittelbar aus einer europarechtskonformen Auslegung von Paragraf 3 Absatz 2 Arbeitsschutzgesetz ab. Diese Verpflichtung gilt in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Dienst, für Tarifbeschäftigte wie für Beamtinnen und Beamte.

Klar ist aber auch, dass die Erfassung der Arbeitszeit in weiten Teilen des öffentlichen Dienstes schon lange üblich ist. Die BAuA-Arbeitszeitbefragung zeigt, dass dort für 68 Prozent der Beschäftigten die Arbeitszeit auf einem Konto erfasst wird. Weitere 11 Prozent dokumentieren sie selbst. Demnach erfassen 21 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ihre Arbeitszeit gar nicht. Nur in der Industrie liegt dieser Wert niedriger.

Arbeitszeiterfassung bei Lehrkräften

Anders sieht es bei Lehrkräften aus, hier fehlt die Erfassung der Arbeitszeit. Die Deputatsverordnungen der Bundesländer regeln nur, wie viele Stunden in Vollzeit tätige Lehrkräfte pro Woche unterrichten müssen. Bei Gwen Kreutz und Johannes Biesel sind es zum Beispiel 25,5 Schulstunden. Beide arbeiten an einer Gesamtschule im Norden von Köln. Kreutz ist für die GEW außerdem im Bezirks-personalrat aktiv. Beide nennen eine lange Liste an Aufgaben, die im Schulalltag neben dem reinen Unterricht anfallen: Team-, Jahrgangs- oder Fachkonferenzen, Arbeitskreise zur Schulentwicklung, Beratungsgespräche mit Eltern, anderen Lehrkräften oder Schulsozialarbeiterinnen und -arbeitern, Elternsprechtage und -abende, Ausflüge und Klassenfahrten sowie Koordination, Dokumentation, Korrekturen und die Unterrichtsvorbereitung. Der Zeitaufwand für all diese Tätigkeiten ist – anders als die konkret vorgegebene Pflichtstundenzahl – weitgehend unbestimmt.

„Meine Arbeit ist extrem entgrenzt.“ (Gwen Kreutz)

Inspiriert durch eine Diskussionsveranstaltung der GEW erheben die beiden ihre Arbeitszeit nun im Selbstversuch mit einer App. Das sei nicht kompliziert und habe sie schon nach kurzer Zeit auf Belastungsfaktoren gestoßen, so ihr Fazit. Zum Beispiel auf den fragmentierten Arbeitstag: „An manchen Tagen habe ich fünf Einträge in der App. Hier eine Stunde, da eine Stunde, dort noch eine halbe. Klar, dadurch bin ich sehr flexibel, aber ich finde es auch gefährlich. Meine Arbeit ist extrem entgrenzt. Ich muss mich abends oft disziplinieren, mit der Arbeit aufzuhören“, erklärt Kreutz. Biesel beobachtet das auch. Seitdem er die Arbeitszeit erfasse, falle ihm die Trennung von Arbeit und Privatleben jedoch leichter. „Die App hilft mir, meine Zeit zu strukturieren. Ich arbeite fokussierter und wenn ich aufhöre, kann ich besser abschalten“, stellt er fest.

Es geht um die Gesundheit

Die Arbeitszeiterfassung finden beide Lehrkräfte also hilfreich. Ihre Arbeit verlange einen sehr hohen Grad an Selbstorganisation, dafür sei die Zeiterfassung ein gutes Werkzeug. Auch deshalb teilen sie die Forderung ihrer Gewerkschaft, dass die Erfassung an Schulen obligatorisch werden müsse. Die Länder seien schließlich verpflichtet, auch für Lehrkräfte eine europarechtskonforme Regelung zu schaffen. „Es geht da einfach auch um Gesundheit. Ich bin ziemlich enttäuscht, dass die Ministerien das Thema bisher einfach aussitzen“, so Biesel.

Die Position der GEW ist klar: Alle Tätigkeiten und Arbeitszeiten der Lehrkräfte müssten erfasst werden, auch mobile Arbeit, Arbeit am Wochenende und in den Ferien. Während einer GEW-Arbeitszeitkonferenz wurde die konkrete Umsetzung diskutiert. Nötig sei ein leicht zugängliches Erfassungsinstrument. Die Zeiterfassung dürfe keine Leistungs- und Verhaltenskontrolle ermöglichen und müsse datenschutzkonform sein. Und aus den Daten der Erfassung müssten Schritte abgeleitet, also Überstunden ausgeglichen und zu hohe Belastungen abgebaut werden.

Die Eindrücke aus der Kölner Gesamtschule und empirische Untersuchungen zeigen, dass sich dieser Weg lohnt. Die Arbeitszeiterfassung im Homeoffice ist messbar mit einer besseren Erholung verbunden, man kann besser abschalten. Sie kann dazu beitragen, zeitliche Entgrenzung zu reduzieren. Zudem berichten Beschäftigte mit Arbeitszeiterfassung seltener von Termin- oder Leistungsdruck oder Überforderung. Und weniger Überstunden als Kolleginnen und Kollegen ohne Arbeitszeiterfassung leisten sie auch. Warum sollten nicht auch Lehrkräfte von solchen Entlastungsfaktoren profitieren? 

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des DGB-Beamtenmagazins (BM), erschienen in: BM 5/2024.