Zum Inhalt springen

Dialog

Walken, dehnen, glücklich sein

Sport und Bewegung sind für ältere Menschen enorm wichtig. Doch keine Altersgruppe ist so wenig mobil wie die über 65-Jährigen. Das lässt sich ändern.

"Wer Bewegung regelmäßig trainiert, bleibt länger locker mobil und kann Gesundheitsrisiken erheblich reduzieren." (Ellen Freiberger, Alternsforscherin)

Ohne Sport kann sich Dieter Krämer, 68, sein Leben gar nicht vorstellen. Als er jung war, spielte er Fußball. Im Studium kickte er in der Uni-Mannschaft, später, als Sportlehrer an der Gemeinschaftsschule am Lehmwohl in Itzehoe, traf er sich mit Kollegen auf dem Platz, nebenbei ging er ins Fitnesscenter. Dann kam der Ruhestand und Krämer merkte: Der Aufbau der Muskeln funktioniert nicht mehr so recht, das Knie rebelliert. „Jetzt geht es um Gesunderhaltung.“ Stabil bleiben, Rücken stärken, Muskeln und Kondition bewahren.

Zweimal die Woche schnappt sich Krämer nun seine Nordic-Walking-Stöcke und marschiert eine Stunde den kleinen Wanderweg am Stadtrand entlang. Zwei- bis dreimal geht er ins Fitnesscenter, nun hat er da gute soziale Kontakte. Am Wochenende geht es mit seiner Frau auf Wandertour, 15 bis 20 Kilometer streifen sie durch Felder, Wiesen, Wäldchen. Krämer: „Ich fühle mich gesünder, fitter, voller Energie – definitiv zufriedener im Leben.“

„Fast nur jene, die vorher Sport gemacht haben, sind auch im Alter dabei. Die meisten anderen winken ab: Ist nichts mehr für mich.“ (Ellen Freiberger)

Sport und Bewegung geraten im Alter bei vielen Menschen zunehmend aus dem Blick. Nur etwa 10 Prozent der Menschen, die älter als 65 Jahre sind, machen Sport. Genaue Zahlen in Sachen Bewegung älterer Menschen gebe es nicht, sagt Ellen Freiberger, emeritierte Privatdozentin für die Biomedizin des Alterns an der Universität Erlangen-Nürnberg, aber eine eindeutige Beobachtung: „Fast nur jene, die vorher Sport gemacht haben, sind auch im Alter dabei. Die meisten anderen winken ab: Ist nichts mehr für mich.“ Schließich will der Körper oft nicht recht, schon gar nicht schneller, höher, weiter – und das verbinden viele mit dem Begriff „Sport“, zu Unrecht. „Wenn wir die Älteren nicht verlieren wollen, sollten wir diese Konnotation unbedingt vermeiden – und etwa von Bewegung sprechen“, rät Freiberger. „Bewegen kann sich jeder und sei es im allerkleinsten Maß.“

„Wer Bewegung regelmäßig trainiert, bleibt länger locker mobil.“

Bewegung im Alter stark runterzufahren ist riskant, „den ICE ins Desaster“ nennt es Freiberger. Wer viel auf dem Sofa sitzt, verlernt die Bewegungsmuster, die nötig sind, um aufzustehen, loszulaufen, Treppen zu steigen oder zu hüpfen. Die Folge: Die intramuskuläre Koordination wird ineffizienter. Gestresst spannt der Mensch automatisch viel zu viele Muskelgruppen an, damit die Bewegung trotzdem gelingt. „Ähnlich wie bei einem Anfänger beim Abfahrtski: Verkrampft spannt er die Beine an, statt die Bewegung mit lockeren Knien effizient zu steuern.“

Zudem verlieren Ältere zunehmend Balance und Kraft, das Gangbild verschlechtert sich, Stürze werden wahrscheinlicher. Im Alter nimmt auch die Fähigkeit ab, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun – reden und gehen, über Wurzeln steigen und in die Landschaft schauen. Es braucht mehr kognitive Ressourcen, um diesen Verlust zu kompensieren. Man muss sich mehr konzentrieren, besser aufpassen, wo man hintritt. Freiberger: „Wer Bewegung regelmäßig trainiert, bleibt länger locker mobil und kann diese Risiken erheblich reduzieren.“

30 Minuten täglich

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt für Menschen ab 65 Jahren mindestens 30 Minuten Bewegung täglich – und zwar so, dass sie leicht schwitzen und der Atem schneller geht. Die europaweite SPRINTT-Studie, die von 2014 bis 2019 die Auswirkungen von Trainings auf die Bewegungsfähigkeit der Menschen über 70 Jahre untersucht hat, kommt zu dem Ergebnis: Zweimal die Woche 90 Minuten Training erhöhen die Mobilität langfristig signifikant. Ideal ist ein Mix aus Balance, Kraft und Walking. Schon Kleinigkeiten erzielen enorme Effekte.

Die Australierin Lindy Clemson rät In ihrem Buch „Aktiv und sicher durchs Leben mit dem Life-Programm“ (Springer 2018), Alltagsaktivitäten als Trigger zu nutzen: Beim Zähneputzen auf einem Bein stehen (Gleichgewicht), beim Ausräumen der Spülmaschine nach jedem Teller eine Kniebeuge machen (Kraft), beim Treppensteigen zwei Stufen auf einmal nehmen (Gangbild). „Alle sollten ihren eigenen Spaßtreiber finden“, so Freiberger. Egal ob Gartenarbeit oder Basteln in der Garage. „Und ruhig mal im Park querfeldein laufen statt auf geraden Wegen.“

Und was ist mit jenen, die sportlich aktiv bleiben wollen? Rat der Expertin: alternsgerechte Angebote suchen. Das heißt, entweder das Level runterschrauben oder sich nach Sportarten umschauen, die man noch lange machen kann. Wandern oder Pilates etwa. Freiberger: „Gut für die Auswahl ist ein Blick in die Sportgruppen: Sind noch 75-Jährige dabei? Wenn nicht, ist der Sport vermutlich nicht optimal für die späte Lebensphase.“

„Es ist sinnvoll, dass wir uns im Breitensport auch für Ältere einsetzen. Zum Beispiel dafür, dass Seniorensportgruppen einen Zugang zu Turnhallen bekommen.“ (Ole Stratmann)

Sabine Großkopf, einst Lehrkraft für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Hamburg, hat sich bereits umorientiert. Lange war sie Leistungssportlerin. Danach kamen intensive Zeiten in einem Hamburger Fitnessstudio. Aerobic, Nia-Dance. Schweren Herzens schwenkte Großkopf später auf gelenkschonendes Pilates und Wassergymnastik um. Irgendwann wurde sie im Fitnessstudio in die Programmplanung einbezogen, feilte mit an Angeboten für Menschen 50 plus. „Sie zogen nicht wirklich“, sagt Großkopf. Die Älteren fühlten sich nicht angesprochen.

Nun gibt es Bewegungsangebote in Kleingruppen für „Best Agers“, Schwerpunkt Beweglichkeit und Kraft. „Gute Trainer, die die besonderen Bedürfnisse im Alter im Blick haben und trotzdem nicht groß darüber reden, sind wichtig“, sagt Großkopf. „Und Kurszeiten am Morgen, Ältere wollen keinen Stress durch übervolle Kurse.“ Riesig ist die Nachfrage trotzdem nicht. „Meist kommen nur die Fitteren, die mit Sport alt geworden sind.“

Wie lässt sich daran etwas ändern? Ole Stratmann von der GEW-Sportkommission: „Es ist sinnvoll, dass wir uns im Breitensport auch für Ältere einsetzen. Zum Beispiel dafür, dass Seniorensportgruppen einen Zugang zu Turnhallen bekommen.“ Das wäre doch ein schöner Anfang. 

Zugegeben: Manchmal ist es mühsam, sich vom Sofa zu bewegen oder nach einer GEW-Sitzung noch eine Runde zu laufen. Es ist ja nicht nur Trägheit, es zwickt vielleicht mal wieder irgendwas im nicht mehr ganz so jungen Körper. Aber klar ist: Regelmäßige Bewegung gehört zu den wichtigsten Aufgaben im Alter, sonst verlernt unser Körper, sich zu bewegen, die Verletzungsgefahr steigt, Gesundheit und Wohlbefinden leiden. Und doch unterschätzen wir diese Erkenntnis der Wissenschaft gravierend. Warum eigentlich?

Vielleicht liegt es am Defizitdenken, das wir mit dem Altern verbinden, ja oft längst verinnerlicht haben. Wir schauen auf alles, was nicht mehr geht, anstatt zu entdecken: Ach, das geht. Der Gehstock ist ein trauriges Signal von Gebrechlichkeit? Wieso sehen wir ihn nicht als freundliches Accessoire, das im Alltag beweglicher macht?

Lebenslanges Lernen ist originäre Gewerkschaftsaufgabe.

Wenn wir uns so viel wie möglich bewegen, geht es uns besser. Wir halten Muskeln, Bewegungsapparat und Gleichgewichtskoordination fit. Wir werden zufriedener, ausgeglichener, haben mehr soziale Kontakte, mehr Freude am Leben. Auch das zeigen Studien.

Lebenslanges Lernen ist originäre Gewerkschaftsaufgabe. Es wird Zeit, dass wir darunter mehr verstehen als Lesen und Kultur. Es heißt genauso darüber nachzudenken, wie wir konstruktiv mit körperlichen Veränderungen umgehen können. Das kann Teil der Gewerkschaftsarbeit sein: mehr Lebensfreude durch Bewegung im Alltag und damit auch mehr Energie, um sich politisch einzubringen.

Frauke Gützkow, GEW-Vorstandsmitglied, verantwortlich für Seniorinnen- und Seniorenpolitik