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Sachsen-Anhalt

Volksbegehren in der Corona-Falle

Seit Jahresbeginn kämpft ein Volksbegehren in Sachsen-Anhalt für eine bessere Personalausstattung an Schulen. Doch nun droht die Corona-Pandemie dem Bündnis um die GEW einen Strich durch die Rechnung zu machen.

Eltern und Kinder protestierten im Herbst gegen den Lehrkräftemangel in Wernigerode im Harz. Foto: Julia Bruns

Ende März erhielt der Ministerpräsident in Magdeburg einen ungewöhnlichen Brief: Das Bündnis „Den Mangel beenden, unseren Kindern Zukunft geben!“ bittet Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) um Aufschub bei seinem Volksbegehren. Eigentlich müssten für eine Gesetzesänderung, die mehr Personal an den Schulen des Landes einfordert, schon bis 7. Juli rund 170.000 Unterschriften vorliegen – 9 Prozent der Wahlberechtigten. So sieht es das Gesetz vor. Doch seit dem Corona-Kollaps im März, seit die Schulen und Kitas geschlossen, Ausgangsbeschränkungen und Quarantänen verhängt wurden, ist ein geregeltes Sammeln von Unterschriften nicht mehr durchzuhalten – auch wenn sich ein breites Bündnis von zwölf Initiativen wie der GEW, dem Landeselternrat, dem Landesschülerrat, der Partei Die Linke und sogar dem Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft dafür einsetzt.

„Wir mussten alle Veranstaltungen, alle koordinierten Sammlungstage und Aktionen vor Stadien oder Sportarenen absagen“, berichtet Eva Gerth, GEW-Landesvorsitzende und eine der Vertrauenspersonen des Volksbegehrens. Das Innenministerium räumte dem Volksbegehren Mitte April eine Gnadenfrist ein. Man werde vor Ablauf der ursprünglichen Frist das Ende neu festlegen, je nach Dauer und Intensität der Corona-Einschränkungen. Mindestens vier Wochen dürften es werden, rechnet Gerth. Mit einem weiteren Schreiben an Regierungschef Haseloff will das Bündnis nun Klarheit erreichen und die außerordentliche Corona-Verlängerung auch gesetzlich verankert wissen – klagesicher.

Personalquoten per Erlass

Gestartet war das Volksbegehren Anfang Januar. Das Ziel: eine Änderung des Schulgesetzes. In Relation zur Schülerzahl soll eine Mindestzahl an Lehrkräften, Schulsozialarbeiterinnen und -sozialarbeitern sowie weiteren pädagogischen Fachkräften verbindlich festgelegt werden – plus einer Reserve von 5 Prozent. Mit den geforderten Personalschlüsseln müssten laut GEW in Sachsen-Anhalt mindestens 2.300 zusätzliche Stellen geschaffen werden: etwa 1.600 Lehrerstellen, mehr als 400 Sozialarbeiterinnen- und Sozialarbeiterstellen und bis zu 300 Stellen für pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, rechnet Gerth vor. Referenzjahr ist das Schuljahr 2012/13, als es noch auskömmliche Bedingungen gegeben habe.

Das Kultusministerium rechnet sogar mit größeren Bedarfen als die GEW – und warnt vor zusätzlichen Kosten von bis zu 200 Millionen Euro im Jahr. Bildungsminister Marco Tullner (CDU) hielt im Interview mit dem MDR sogar Schulschließungen für möglich, weil kleinere Standorte auf dem Land den geforderten Personalschlüssel nicht erfüllen könnten.

„Uns geht es vor allem um mehr Transparenz und Mitsprache, um Verbindlichkeit und Planungssicherheit.“ (Eva Gerth)

Doch die GEW rechnet anders. „Seit Jahren gibt es viel zu wenige Neueinstellungen in den Schuldienst“, sagt Gerth. Weitere Kürzungen in den vergangenen Jahren hätten die Lage weiter verschärft. Die Folgen seien Stundenausfälle, gestrichene Fächer und verkürzte Unterrichtstage sowie eingeschränkte Öffnungs- und Betreuungszeiten.

Was aber, wenn die benötigten Pädagoginnen und Pädagogen nicht so schnell verfügbar sind? „Uns geht es vor allem um mehr Transparenz und Mitsprache, um Verbindlichkeit und Planungssicherheit“, betont Gerth. Denn bisher regele das Ministerium die Personalquoten willkürlich per Erlass. Eine gesetzliche Vorgabe würde einem Alleingang des Ministeriums einen Riegel vorschieben. Und mehr Nachwuchs ist künftig zu erwarten: 2018 wurden die Studienplätze für Lehramt in Magdeburg und Halle auf 1.000 Plätze deutlich erhöht. Auch diesen jungen Leuten will die Initiative eine Perspektive bieten.

Würde der Landtag den Gesetzentwurf des Volksbegehrens ablehnen, wäre der Weg frei für einen Volksentscheid. Den Urnengang haben die Initiatoren zusammen mit der Landtagswahl im Juni 2021 ins Auge gefasst. Doch auch dieser Zeitplan gerät nun ins Wanken.