Bewerbung und Vorbereitung
Nach über zehn Jahren im Schuldienst verspürten meine Frau und ich den Wunsch nach einem Wechsel und einer neuen Herausforderung. Schnell kam der Gedanke, dies an einer deutschen Schule im Ausland zu realisieren. Schon sehr früh mussten wir jedoch feststellen, dass dies nicht so einfach sein würde. Als Berufsschullehrer hatte ich mit den Fächern Metalltechnik und Englisch eigentlich nur ein Unterrichtsfach, was für die allgemeinbildenden Schulen im Ausland interessant sein könnte (abgesehen von den wenigen DS mit berufsbildendem Zweig). Eine Mitarbeiterin der ZfA empfahl mir deshalb, mich als BPLK zu bewerben, um meine Chancen zu erhöhen, was ich dann auch tat. Als zweites und größeres Hindernis stellte sich jedoch die Freistellung durch mein Bundesland Sachsen-Anhalt heraus. Auf Grund des permanenten Lehrermangels an berufsbildenden Schulen schien unser großes Ziel schon sehr schnell in weite Ferne zu rücken. Nur nach intensiven und stetigen Drängen bei meinem Schulleiter und den Schulbehörden konnte ich letztendlich eine Freistellung erreichen. Es dauerte trotzdem noch weitere zweieinhalb Jahre, bis mich endlich ein interessantes Angebot, in meinem Falle aus Caracas, erreichte.
Hohe Kriminalitätsrate
Schon in einem ersten Treffen im Februar 2007 in Köln konfrontierte uns der Schulleiter mit den besonderen Verhältnissen in Venezuela: eine sehr hohe Kriminalitätsrate und eine instabile politische Situation. Da wir vorher schon einige Reisen in südamerikanische Länder unternommen hatten, waren wir von seinen Ausführungen nicht überrascht und entschlossen uns, das Abenteuer anzugehen. Die folgenden Monate waren durch Vorbereitungen bestimmt. In vielen Telefonaten und E-Mails mit einer Kontaktkollegin in Caracas bekamen wir wertvolle Informationen zum Leben und zur Arbeit. Wir entschieden, unseren Hausstand einzulagern und nur ein paar Umzugskisten mit persönlichen Dingen und Unterrichtsmaterial per Luftpost nach Venezuela zu schicken. Um an das begehrte Arbeitsvisum zu kommen, mussten die unglaublichsten bürokratischen Hürden überwunden werden, z. B. verlangten die venezolanischen Behörden, dass sämtliche Dokumente mit sogenannten Postillen beglaubigt werden. Von deren Existenz wussten nicht einmal verschiedene Mitarbeiter in deutschen Behörden.
Ankunft in Venezuela
Durch seinen charismatischen und populistischen Präsidenten Hugo Chávez und dem von ihm initiierten Aufbau des sogenannten Sozialismus des 21. Jahrhunderts, einhergehend mit Schwächung und Abbau demokratischer Prinzipien, hat Venezuela in den letzten 16 Jahren viel Aufmerksamkeit bekommen. Eine Reihe von Sozialprogrammen sollten die Lebensverhältnisse der ärmeren Bevölkerung verbessern, wodurch Chávez sehr viel Zustimmung von diesen Schichten, aber auch international, erhielt. Doch zu dieser Politik gehörten auch Festnahme bzw. Einschüchterung von oppositionellen Politikern, Angriffe auf oppositionelle Medien, Enteignungen von Betrieben, staatliche Preiskontrollen usw. Das Land, in das wir zogen, war massiv gespalten in Befürwortern und Gegnern der Regierungspolitik, was sich in permanenten und teilweise gewalttätigen Demonstrationen widerspiegelte. Korruption in Polizei und Behörden ist bis heute Alltag und es herrschte auch 2007 schon ein Mangel an diversen Grundnahrungsmitteln. Was den Bürgern jedoch am meisten Sorge bereitet ist die ausufernde Gewaltkriminalität. Caracas führt seit vielen Jahren Statistiken der Städte mit der höchsten Mordrate an. Die Unsicherheit sorgt dafür, dass sich öffentliches Leben nur am Tage und in sicheren Bereichen, wie z. B. Einkaufszentren abspielt. Trotz der politischen Probleme ist das Thema Sicherheit das Thema, was die Bürger in Venezuela am meisten beschäftigt.
Wohnungssuche mit gebrochenem Spanisch
Natürlich unternahm die Schule durch Belehrungen Anstrengungen, die neuen Kollegen auf diese gesellschaftlichen Besonderheiten vorzubereiten und Konfliktsituationen vorzubeugen. Im Alltag war das persönliche Sicherheitsgefühl eher gut, wurde aber immer dann stark belastet, wenn ein Kollege oder Angehörige Opfer von Raubüberfällen oder Einbrüchen wurden. Allerdings ist Venezuela ein Land, was mit spektakulärer Natur und wundervollem Klima gesegnet ist. Regelmäßige Ausflüge an die traumhaften Strände, Reisen ins Landesinnere mit seiner atemberaubenden Tierwelt, den Anden und den Tafelbergen, aber auch die Aras und Kolibris in der Großstadt wogen viele Nachteile im Alltag auf. Dies waren die Bedingungen, in die wir zwei Wochen vor Unterrichtsbeginn des Schuljahres 2007/08 nach Caracas reisten. Da wir die Wohnung meines Vorgängers nicht übernehmen konnten, war unser primäres Ziel, zunächst eine passende Wohnung zu finden. Zu dieser Zeit gab es dafür kaum Hilfe von Seiten der Schule (dies hat sich in den folgenden Jahren deutlich verbessert, z. B. wurde eine venezolanische Angestellte speziell mit dieser Aufgabe betraut), so dass wir damals mit noch sehr gebrochenem Spanisch auf Wohnungssuche gingen. Wegen des permanenten Verkehrschaos entschieden wir uns, in Schulnähe zu suchen, obwohl dieser Stadtteil als nicht sehr sicher galt. Darüber hinaus erwiesen sich die Mieten in den „sicheren“ Stadtteilen für mich als BPLK schlicht zu hoch. Abgesehen von der monatlichen Bezahlung wurde hier und hinsichtlich der Größe und Ausstattung der Wohnungen deutlich, wie benachteiligt BPLK trotz gleichen Abschlusses gegenüber ADLK sind.
Die Deutsche Schule Caracas
Das Colegio Humboldt Caracas ist eine bikulturelle Schule vom Kindergarten bis zur 12. Klasse, die das deutsche und venezolanische Abitur anbietet. Der Träger ist ein Schulverein. Ca. 1200 Schüler besuchen die Schule, rund 110 Lehrer, davon etwa 25 Deutsche, und Mitarbeiter arbeiten hier. Die Schülerschaft kommt größtenteils aus der oberen Mittel- und Oberklasse. Die Eltern wählen diese Schule für ihre Kinder aus, weil sie einen sehr guten Ruf in der Stadt genießt. Allerdings konnte oft beobachtet werden, dass insbesondere jüngere venezolanische Lehrerinnen und Lehrer von den Eltern eher arrogant und herablassend behandelt wurden, da sie als Dienstleister oder Angestellte angesehen wurden. Die meisten Familien haben nur sehr wenig oder keinen Bezug zu Deutschland, was auch dazu führt, dass DaF von vielen nicht so sehr ernst genommen wird und die Leistungen in diesem Fach zum Teil sehr schlecht sind. Die massiven politischen Umwälzungen im Land machten natürlich an der Schulmauer nicht Halt. Am offensichtlichsten wurde dies durch Einflussnahme in die Lehrpläne, wo ein stärkerer venezolanischer Bezug gefordert wurde. Immer wieder wurde auch der Ruf nach einer vormilitärischen Ausbildung im Unterricht laut, der aber von der damaligen Schulleitung permanent zurückgewiesen wurde.