Für die GEW war von Anfang an klar: Wer im Zusammenhang mit dem Aufbau von Toleranz gegenüber sexueller Vielfalt und im Abbau ihrer Diskriminierung von einer "kompletten sexualpädagogischen Umerziehung" spricht, hat nichts begriffen und lebt in einem früheren Jahrhundert. Der Initiator der Petition, die sich gegen die Aufwertung des Themas Homosexualität im Schulunterricht wendet, hatte sich selbst das Ziel gesetzt, 100 000 Unterzeichner für seine Petition zu gewinnen. Die beiden Gegenpetitionen hatten allerdings noch mehr Zulauf und kamen bis zum Dienstagmorgen auf gut 221 000 Stimmen.
Konkret wendete sich die Online-Petition „Kein Bildungsplan unter der Ideologie des Regenbogens“, gespickt mit homophoben Formulierungen, dagegen, dass in den neuen Bildungsplänen des Landes für 4 000 Schulen die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ zur Selbstverständlichkeit wird.
Womit die Initiatoren nicht gerechnet hatten: Auch die Befürworter der Reform können Web. Zwei Gegenpetitionen sind mittlerweile online geschaltet. Die im Januar gestartete Petition „Vielfalt gewinnt“ für mehr Offenheit und Toleranz hatte nach zwei Wochen schon mehr als 130 000 Unterstützerinnen und Unterstützer.
Eine repräsentative Umfrage des Instituts Emnid im Auftrag von Campact hat zudem ergeben, dass der Aufruhr gegen die Akzeptanz verschiedener sexueller Orientierungen in Schulen nicht die Meinung der Mehrheit in Baden-Württemberg ausdrückt. 79 Prozent finden es gut, wenn sich homosexuelle Menschen nicht verstecken müssen. Und eine deutliche Mehrheit der Baden-Württemberger steht zum Ziel der Toleranz für Vielfalt, wie es der Bildungsplan des Landes vorsieht (mehr zur Umfrage siehe Kasten rechts).
GEW steht eindeutig hinter Aktionsplan der Landesregierung
Die GEW Baden-Württemberg, die an der Seite der Gegenbewegung steht, reagierte empört auf die Petition „Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“. „Toleranz, die Akzeptanz von Vielfalt und der Abbau von Diskriminierung müssen auch in der Schule gelehrt und gelebt werden. Die GEW steht im Gegensatz zum Initiator und den Unterzeichnenden der Online-Petition eindeutig hinter der Umsetzung des Aktionsplans der grün-roten Landesregierung im Schulbereich. Damit sollen zum Beispiel Konzepte für die Akzeptanz und gleiche Rechte von lesbischen, schwulen Menschen entwickelt und damit deren Diskriminierung abgebaut werden“, sagte Landesvorsitzende Doro Moritz in Stuttgart.
Die Petition war in der ersten veröffentlichten Fassung so diskriminierend, dass sie wegen Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen gelöscht wurde. Diese Grundhaltung ist in der jetzt publizierten Fassung weiterhin zu erkennen. Die Petition wendet sich gegen die Absicht des Kultusministeriums, im Rahmen der Bildungsplanreform in den vorgesehenen fünf Leitprinzipien (Prävention und Gesundheitsförderung, berufliche Orientierung, nachhaltige Entwicklung, Verbraucherbildung und Medienbildung) das Thema „Sexuelle Vielfalt“ zu verankern.
Jedes Kind hat das Recht, bei der Identitätsfindung unterstützt zu werden
„Wer im Zusammenhang mit dem Aufbau von Toleranz gegenüber sexueller Vielfalt und im Abbau ihrer Diskriminierung von einer ‚kompletten sexualpädagogischen Umerziehung‘ spricht, hat nichts begriffen und lebt in einem früheren Jahrhundert“, betonte Holger Henzler-Hübner vom Netzwerk der lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgenen, intersexuellen und queeren Menschen (LSBTTIQ) Baden-Württemberg in einer gemeinsamen Erklärung mit der GEW Baden-Württemberg.
Fast in jeder Klasse gibt es Schülerinnen bzw. Schüler, die lesbisch oder schwul sind. Jedes Kind hat das Recht, in der Schule bei der Identitätsfindung unterstützt zu werden. Das Wissen um verschiedene sexuelle Orientierungen und Identitäten ermöglicht allen Schülerinnen und Schülern Selbstbestimmung und sich mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen.
„Nur wenn unsere Gesellschaft einer fundierten und frühen Sensibilisierung für die Vielfalt unserer Gesellschaft zentrale Bedeutung beimisst, kommt sie ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag nach“, unterstrich Moritz.
Hintergrund:
Derzeit laufen online zwei Pro-Petitionen: „Gegenpetition zu: Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ mit über 80 000 Unterschriften und die Campact-Petition: „Vielfalt gewinnt“ mit über 130 000 Unterzeichnern (Links im Kasten rechts). Die Campact-Petition ist mit Unterstützung der GEW entstanden und richtet sich an Kultusminister Andreas Stoch, sich nicht einschüchtern zu lassen und an den Plänen festuzuhalten.