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Bildungspolitik

Viele hochqualifiziert, zu viele abgehängt

„Bildung auf einen Blick“, der jährliche Bildungsdaten-Vergleich der OECD, braucht mehr als einen Blick. Dann zeigt sich: Erfolgsmeldungen können über so manchen Stillstand nicht hinwegtäuschen.

Foto: Shutterstock / GEW

Seit Andreas Schleicher Deutschland vor über 20 Jahren in PISA-Schock versetzte, bringt er meist schlechte Nachrichten. Dieses Jahr verbreitete der Direktor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), in Berlin Optimismus. „Bildung zahlt sich aus, mehr denn je“, verkündete er bei der Vorstellung der internationalen Vergleichsstudie „Bildung auf einen Blick“.

Erstens stieg die Zahl der jungen Menschen mit einem sogenannten Tertiärabschluss binnen zwei Jahrzehnten von 22 auf 36 Prozent. Zweitens ist der mit einer höheren Ausbildung verknüpfte „Einkommensbonus“ enorm – was aus OECD-Sicht eine günstige Entwicklung ist. Wer einen Bachelor hat, verdient in Deutschland statistisch zwei Drittel mehr als ein „nur“ beruflich Ausgebildeter. Ein Handwerksmeister, der ebenfalls unter die tertiären Abschlüsse fällt, bekommt immerhin ein Drittel mehr.

Deutschland hinkt bei Akademisierung hinterher

International hinkt Deutschland bei der Akademisierungsquote hinterher; im OECD-Durchschnitt liegt diese bei 48 Prozent. Doch das „sehr starke Berufsbildungssystem“ mache einen Teil des Rückstands wett, so Schleicher. Für überfällig hält der OECD-Direktor in Zeiten lebensbegleitenden Lernens indes einen Ausbau der Teilzeitstudiengänge, die nur von 16 Prozent der Studierenden belegt werden – bei kaum steigenden Zahlen.

Auffallend sind zudem große Unterschiede zwischen den Regionen. In Berlin haben 45 Prozent der 25- bis 34-Jährigen einen tertiären Abschluss, in Sachsen-Anhalt nur 24 Prozent. Und: Die OECD macht wieder einmal darauf aufmerksam, dass die Beteiligung sozial Benachteiligter an höherer Bildung weit unterdurchschnittlich sei. Deutschland liege „18 Prozent unter der Quote vergleichbarer Länder“, erklärte Schleicher.

„Andere Länder sind die Grundqualifizierung intensiver angegangen.“ (Andreas Schleicher)

Von guter Bildung für alle Menschen kann also keine Rede sein. Ein Blick auf das andere Ende der Skala macht das noch deutlicher. Fast jeder zehnte 18- bis 24-Jährige in Deutschland geht weder einer Ausbildung noch einer Arbeit nach – bei einer Beschäftigungsquote für geringqualifizierte Erwachsene von 62 Prozent. „Andere Länder sind die Grundqualifizierung intensiver angegangen“, monierte Schleicher.

„Mit den bisher eingesetzten Mitteln schaffen wir es bis heute nicht, für Chancengleichheit zu sorgen.“ (Andreas Keller)

Die GEW erinnerte anlässlich des OECD-Berichts an das schon 2008 von Bund und Ländern gegebene Versprechen, die Bildungsausgaben auf sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts plus drei Prozent für Forschung zu erhöhen. Tatsächlich seien die öffentlichen Investitionen seit damals aber nur um 0,1 Prozentpunkte auf 4,3 Prozent gestiegen, der OECD-Schnitt liege bei 4,9 Prozent. „Mit den bisher eingesetzten Mitteln schaffen wir es bis heute nicht, für Chancengleichheit zu sorgen“, erklärte der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller.

Mehr in Bildung investieren

Handlungsbedarf attestierte auch das Bundesbildungsministerium: „1,5 Millionen Jugendliche stehen uns auf dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung“, sagte Staatssekretärin Kornelia Haugg während der Vorstellung der OECD-Studie. Sie verwies unter anderem auf das Startchancenprogramm, das Schulen in benachteiligten Quartieren unterstützen will.

„Die letzten 2,5 Jahre haben mehr als deutlich gemacht, wie wichtig ein hohes Bildungsniveau ist“, sekundierte Karin Prien (CDU). Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz sah einen Teil der Ursachen in der Zuwanderung: „Insofern sind die Zahlen erklärbar, aber nicht befriedigend.“ Sie verwies auf 180.000 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine, die seit diesem Jahr in deutschen Schulen zusätzlich unterrichtet würden. Prien: „Wenn wir die öffentliche Finanzierung des Bildungssystems beibehalten wollen, müssen Bund, Länder und Kommunen mehr in Bildung investieren.“

Berufsbild „Lehrkraft“ attraktiver machen

Offen blieb, wer all die Menschen unterrichten soll. OECD-Direktor Schleicher brachte aus der internationalen Forschung drei Faktoren mit, die für ein attraktives Berufsbild „Lehrkraft“ wichtig sind. Erstens: mehr Zeit für individuelle Förderung. „Jungen Menschen zu helfen, auf ihrem Lebensweg voranzukommen“, sei das oberste Motiv, den Beruf zu ergreifen.

Zweitens fehle es an Zeit für Teamarbeit; als Einzelkämpfer wollten viele nicht arbeiten. Drittens hinke Deutschland bei den Entwicklungs- und Karrierechancen hinterher. In anderen Ländern, berichtete Schleicher, sei durchaus üblich, Lehrkräfte an ihrem ersten Arbeitstag zu fragen: „Was wollen Sie in Ihrem Leben einmal machen?“