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Bildung für nachhaltige Entwicklung

Viel guter Wille, wenig Fortschritt

Der Nationale Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) verspricht, das Thema stärker in den Lehrplänen und im schulischen Unterricht zu verankern. Doch kann er dieses Versprechen auch einlösen?

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Foto: mauritius images/Urban Zone/Alamy

Eine Studie der Leuphana Universität Lüneburg kam 2015 zu einem zwiespältigen Ergebnis. Die Umfrage hatte seinerzeit gezeigt, dass zwar 71 Prozent der Schülerinnen und Schüler im Unterricht von Nachhaltigkeit gehört hatten – deutlich mehr als noch drei Jahre zuvor –, dies aber vor allem dem Engagement einzelner Menschen und Institutionen zu verdanken war und nicht aus einem Bildungskonzept resultierte. Seitdem hat Deutschland einen wichtigen Schritt bei der Integration des Themas gemacht: Mit dem Nationalen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung, urteilt Thomas Hohn von Greenpeace, liege nun erstmals ein bundesweites Handlungskonzept vor. 2017 beschlossen umreißt der Aktionsplan die Ziele und Aufgaben in allen Bereichen der Bildung.

Zum Erfolg beigetragen hat das „Bündnis ZukunftsBildung“. Ihm gehört auch die GEW an. Zu einem Selbstläufer wurde BNE mit dem Aktionsplan nicht. „Wir befinden uns auf halber Strecke“, bilanziert Hohn. Immerhin: Im Februar vergangenen Jahres verabredeten Vertreterinnen und Vertreter des Fachforums Schule, der Plattform und der Ministerien, sich regelmäßig im Schulausschuss der Kultusministerkonferenz (KMK) über den Stand der Umsetzung auszutauschen. ZukunftsBildung beziffert die Investitionen zur Umsetzung des Aktionsplans bis 2030 auf knapp 14 Milliarden Euro.

„BNE muss runtergebrochen werden auf die Inhalte der einzelnen Fächer. Wo das Thema zu kompliziert erscheint, müssen wir es aufdröseln.“ (Ilka Hoffmann)

Bildungs- und Lehrpläne sind das entscheidende Element, um den neuen Ansatz strukturell in den einzelnen Fächern sowie fächerübergreifend zu verankern. „BNE muss runtergebrochen werden auf die Inhalte der einzelnen Fächer. Wo das Thema zu kompliziert erscheint, müssen wir es aufdröseln“, betont Ilka Hoffmann, bei der GEW verantwortlich für den Organisationsbereich Schule. Sie konstatiert viel guten Willen, aber wenig sichtbare Fortschritte: BNE werde zu häufig in AGs und Projektwochen abgeschoben. Qualität und Quantität hingen nach wie vor von einzelnen engagierten Lehrkräften ab.

In erster Linie müsse es bei BNE darum gehen, Kinder und Jugendliche dabei zu unterstützen, sich selbst Antworten auf die wichtigen Zukunftsfragen zu erarbeiten, gibt Ute Stoltenberg von der Universität Lüneburg zu bedenken. Das gelinge nur mit qualifizierten Lehrkräften. Ein Engagement wie für Fridays for Future sei genau das, was es im Unterricht zu erreichen gelte.

Von einem „vielfältigen Bild“ bei der Umsetzung von BNE in konkrete Lehrpläne spricht der Leiter des Fachgebiets „Didaktik der politischen Bildung“ an der Universität Kassel, Bernd Overwien. „Es ist sehr schwierig, über alle Bundesländer hinweg eine Aussage zu machen.“ Die Kultusbürokratie versuche hier und da zu lenken, es gebe aber keinen strukturierten Ansatz. In der Grundschule sei BNE relativ leicht umzusetzen. Hier kämen Aspekte aus verschiedenen Fachperspektiven im Sach-unterricht quasi automatisch zusammen. Komplizierter werde es in den höheren Klassen. Overwien: „Wir müssen das Ganze als einen Prozess betrachten, dessen Umsetzung Zeit braucht.“

Eine Bestandsaufnahme zur Verankerung von BNE in den Bildungs- und Lehrplänen für Elementar- und Primarstufe der einzelnen Bundesländer von 2016 bezeichnete die Situation als „ausbaufähig“: Nur wenige Bundesländer hätten explizit Nachhaltigkeit als Leitgedanken und/oder BNE als leitendes Bildungskonzept verankert. Nur die Bildungspläne von acht Ländern verwiesen explizit auf nachhaltige Entwicklung. Oft sei BNE zudem auf ökologische Nachhaltigkeit konzentriert. Auffällig findet die Studie, dass manche Themen durchgängig kaum vertreten seien: Armut, Frieden, soziale Verantwortung von Unternehmen.

„Während Digitalisierung gepuscht wird, fristet BNE ein Kümmerdasein.“ (Ute Stoltenberg)

Kaum eine Rolle spielen der Studie zufolge die Schulen als Lernorte. Stoltenberg sieht hier zudem die Kommunen gefordert: „Wir müssen Nachhaltigkeit erfahrbar machen: ganzheitlich, partizipativ, inklusiv.“ Auch Overwien plädiert für diesen sogenannten Whole School Approach. „Es gibt viele Schulen, die sich auf den Weg gemacht haben. Es bleibt aber dem Zufall überlassen, ob sich ein Kollegium zusammenfindet, das hier an einem Strang zieht.“

Kritik gibt es auch an den Schulbüchern: Viele behandeln BNE immer noch eher zufällig. „Lehrerinnen und Lehrer greifen dann auf Publikationen zurück, die Vereine und Verbände ihnen zur Verfügung stellen“, sagt GEW-Expertin Hoffmann. Sie sieht darin einen zusätzlichen Aufwand, der vielleicht die eine oder andere Lehrkraft zurückschrecken lässt. Verbesserungen hält auch Overwien bei Schulbüchern für dringend geboten: „Oft gehen hier dieselben Bundesländer voran, die ihre Pädagogen bei der Arbeit bereits mit entsprechenden Unterrichtsmaterialien unterstützen.“

Als bisher einziges Land hat Nordrhein-Westfalen konkrete BNE-Leitlinien für den Bereich Schule vorgelegt: Diese sollen die Schulen „anregen und unterstützen, anhand geeigneter Themen und Fragestellungen das Wissen zu vermitteln und die Fähigkeiten zu fördern, um in einer komplexen globalen Welt zukunftsfähige Lösungen zu finden“. Die Leitlinien betonen ein kompetenzorientiertes Verständnis von BNE (unter anderem mit einer Checkliste für Lernprozesse im Unterricht), zeigen Bezüge der Lernbereiche und Fächer auf und vergessen auch eine mögliche Orientierung bei der Schulentwicklung nicht. „Bemerkenswert und nachahmenswert“, lobt Greenpeace-Bildungsexperte Hohn.

„Um ihre Kompetenzen zu entwickeln, muss BNE strukturell in der Aus-, Fort- und Weiterbildung verankert werden.“ (Bernd Overwien)

Die Achillesferse bei der Umsetzung von BNE sieht Overwien bei Lehrkräften und Schulleitungen. „Um ihre Kompetenzen zu entwickeln, muss BNE strukturell in der Aus-, Fort- und Weiterbildung verankert werden.“ Zu den Universitäten, die sich für die Integration von BNE in die Ausbildung des Lehrernachwuchses engagieren, gehört die Leuphana in Lüneburg. „Alle Studierenden, ob BWL oder Lehramt, absolvieren im ersten Semester ein gemeinsames Modul zu BNE“, sagt Stoltenberg.

Kritik hat sie an der Politik: „Während Digitalisierung gepuscht wird, fristet BNE ein Kümmerdasein.“ Ähnlich argumentiert Hoffmann. Aus ihrer Sicht engagieren sich in den Fachforen viele Kolleginnen und Kollegen aus den Ministerien für das Thema. „Es gibt aber nur wenige Verbindungen zur KMK und zur Bildungspolitik.“ Auch Greenpeace-Experte Hohn meint: „BNE, Inklusion, Digitalisierung, Infrastruktur müssen zusammen gelöst werden. BNE ist kein nice to have.“