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Vernachlässigt: der Raum

Burn-Out und Frühpensionierung im pädagogischen Berufsstand haben viele Ursachen. Eine ist, dass in den vergangenen Jahrzehnten eine wichtige Rahmenbedingung für Lehren und Lernen sträflich vernachlässigt wurde: der Raum.

Geht nicht. Geht doch? In einem überhitzten Klassenzimmer zu unterrichten? „Geht doch.“ In einem überakustischen Flur Pausenaufsicht zu führen? „Geht doch.“ In einem – für die Schülerzahl – viel zu kleinen Klassenzimmer binnendifferenzierende und variantenreiche Lernmethoden einzusetzen? „Geht doch.“ Und dabei Ruhe und Humor nicht zu verlieren? „Geht doch.“ ...

Oder doch nicht? Der Preis, den unsere Gesellschaft dafür in Kauf nimmt, ist hoch. Burn-Out und Frühpensionierung im pädagogischen Berufsstand haben viele Ursachen. Eine ist sicher, dass in den vergangenen Jahrzehnten eine wichtige Rahmenbedingung für Lehren und Lernen sträflich vernachlässigt wurde: der Raum (übrigens genauso: die Zeit). Dabei geht es nicht nur um den – mancherorts dramatischen – technischen Sanierungsstau, sondern mindestens genauso um den Bedarf an pädagogischer Funktionalität.

Schüleraktiver und handlungsorientierter Unterricht ist im Schulalltag vielfach nur „gegen“ den Raum möglich. Gewiss: Es ist nicht überall so. Es gibt unterbelegte Schulen mit viel Platz, neue Schulgebäude, deren „intelligente“ Grundrisse eine ausreichend flexible Nutzung gestatten, mit hoher atmosphärischer Qualität, viel Licht, guter Klimasteuerung und Akustik. Aber noch sind das Ausnahmen.

Wieso sieht es in der Regel ganz anders aus? Die naheliegende Erklärung: Kommunale Kassen sind klamm, Schulbau wird notorisch auf die hinteren Plätze der Dringlichkeitsliste verwiesen. Dahinter steckt ein komplexeres Problem: die Steuerung des Schulsystems insgesamt. Zuständig für Programm und Personal ist das Kultusministerium und damit das jeweilige Bundesland, für Gebäude und Ausstattung ist die Kommune (oder der Kreis) verantwortlich. Das Land unterstützt den Schulbau mit Fördergeldern – der Löwenanteil für Bau und Betrieb aber lastet auf kommunalen Schultern. Die Kommune entscheidet: Was wird warum, wo und wie neu oder umgebaut.

In den Schulbau ist Bewegung gekommen

Für pädagogische Fachkräfte (und deren Gesundheit) einer Schule sind die Kommunen hingegen nicht zuständig, außer es geht um Unfallschutz und Gefahrenstoffe. Ändert ein Land sein Schulprogramm (indem z.B. der Lehrplan einen größeren Anteil an schüleraktivem und handlungsorientierem Unterricht vorsieht), heißt das deshalb noch lange nicht, dass die Gebäude entsprechend der neuen pädagogischen Erfordernisse auch räumlich umgestaltet oder besser ausgestattet werden.

Denn in dem Fall müsste das Land für die Kosten auch einstehen („Konnexitätsprinzip“). Am Beispiel des Streits um „Ganztag“ und „Inklusion“ (die beide nicht nur personelle, sondern ebenso erhebliche räumliche Konsequenzen haben) wird das Tauziehen in Sachen Finanzierung zwischen Kommunalverbänden und dem jeweiligen Land auf Kosten von Schülern und Lehrkräften ausgetragen.

Ändern lässt sich dieses Steuerungssystem als Ganzes vorerst nicht. Doch darf das kein Grund zur Resignation sein.  In den Schulbau ist Bewegung gekommen. Manche Schulträger sind jetzt bereit zu einer „Phase Null“, in der die Schulen „auf Augenhöhe“ vor einer Wettbewerbsausschreibung an den Vorplanungen beteiligt werden. Auch die neuen „Leitlinien für Leistungsfähige Schulbauten in Deutschland“ der Montag Stiftung geben verstärkt Anlass, die Schulbaupraxis vor Ort grundlegend zu überprüfen.

Die Chance, sich ernsthaft zu beteiligen, ist an vielen Schulstandorten durchaus vorhanden. Es kommt jetzt darauf an, dass die Schulen sie auch ergreifen. Angesichts der Milliarden, die in den kommenden Jahren in den Schulbau fließen werden, ist es von immenser Bedeutung, dass es hier nicht nur um Quantitäten, also bloß um zusätzliche Räumlichkeiten, und technische Sanierungen, sondern genauso um die pädagogische Qualität und Funktionalität der Architektur geht.

Otto Seydel vom Institut für Schulentwicklung - Foto: privat.