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„Bildung auf einen Blick 2024“

Verhängnisvoller Trend

Der neue internationale Bericht „Bildung auf einen Blick 2024“ der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit dem Schwerpunkt „Bildungsgerechtigkeit“ legt erneut alte Wunden offen.

In den OECD-Ländern sinkt der Anteil der jungen Unqualifizierten, in Deutschland ist er gestiegen. Für viele bedeutet dies, dass sie beruflich auf dem Abstellgleis landen. (Foto: IMAGO/ HEN-FOTO)

Ein zentraler Befund: In Deutschland öffnet sich die Schere zwischen unqualifizierten jungen Menschen und jenen mit Bachelor-, Master- oder beruflichem Meisterabschluss immer weiter. Deutschland zählt damit zu den ganz wenigen der 38 in der OECD weltweit zusammengeschlossenen Industrienationen, in denen der Anteil der 25- bis 34-jährigen Menschen ohne Berufsabschluss und ohne Abitur zwischen 2016 und 2023 kontinuierlich gestiegen ist, aktuell auf 16 Prozent.

Die Autoren sprechen von einem verhängnisvollen Trend. In der OECD sinkt der Anteil dieser jungen Unqualifizierten, er liegt jetzt bei 14 Prozent. Betroffen in Deutschland sind primär junge Männer (18 Prozent), Frauen dagegen nur zu 15 Prozent. 2016 gab es noch keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Insgesamt haben in allen Industrienationen Arbeitskräfte ohne einen Sekundarstufen-II-Abschluss mit einem deutlich höheren Risiko der Arbeitslosigkeit und geringeren Löhnen zu rechnen. In der Bundesrepublik verdienen laut OECD Beschäftigte ohne Sek-II-Abschluss höchstens die Hälfte qualifiziert Ausgebildeter.

Bessere Bildungsabschlüsse, geringeres Einkommen

Im gleichen Zeitraum ist in der Bundesrepublik unter den 25- bis 34-Jährigen der Anteil mit Universitäts-, Fachhochschul- oder Meisterabschluss weiter gestiegen. Besonders fallen dabei die jungen Frauen auf. Bei den 55- bis 64-jährigen Frauen haben nur 22 Prozent einen dieser Abschlüsse, bei den 25- bis 34-Jährigen sind es aktuell 40 Prozent. Obwohl inzwischen in nahezu allen OECD-Staaten junge Frauen deutlich bessere Bildungsergebnisse erreichen als Männer, stellen die Forscher in nahezu allen Industrienationen nach wie vor ein Einkommensgefälle zwischen den Geschlechtern fest. In Deutschland erzielen junge Frauen mit Studienabschluss im Schnitt nur 90 Prozent des Einkommens gleichaltriger Männer, im OECD-Schnitt sind dies sogar nur 83 Prozent.

Die GEW-Vorsitzende Maike Finnern sieht in den steigenden Anteilen junger Erwachsener mit sehr niedrigem und sehr hohem Bildungsniveau die Gefahr einer weiteren Verschärfung der sozialen Ungleichheit. „Die Schere klafft immer weiter auseinander. Während uns die stetig steigende Zahl der Hochschulabschlüsse freut, macht der wachsende Anteil junger Erwachsener ohne Berufsabschluss große Sorgen. Diesen jungen Leuten werden Lebens- und Berufsperspektiven genommen, sie haben wenig Teilhabechancen in der Gesellschaft.“ Finnern forderte für Kitas und Schulen mehr gute Fach- und Lehrkräfte. Sonst verschärfe der dramatische Fachkräftemangel die soziale Spaltung weiter, statt dass Bildung für mehr Chancengleichheit sorge.

Extreme Kopplung zwischen Herkunft und Bildungserfolg

Wie zuvor in zahlreichen anderen Studien verweist auch der neue OECD-Bericht auf die in Deutschland nach wie vor große soziale Schieflage in allen Bildungsbereichen. Diese ist so ausgeprägt wie in keinem anderen Industriestaat. Obwohl vor allem der Bund seine Ausgaben für die frühkindliche Bildung seit 2015 erheblich gesteigert hat, sind Kinder aus sozial benachteiligten Familien wie auch Kinder von Migranten sowohl in Krippen als auch in Kitas deutlich unterrepräsentiert. Die bundesweite Kita-Quote für Mädchen und Jungen, die älter als drei Jahre sind, ist von 96 auf 93 Prozent zurückgegangen.

Die erste PISA-Studie 2001, ebenfalls von der OECD organisiert, legte die extreme Kopplung zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg im Schulsystem in Deutschland radikal offen. Seitdem folgten regelmäßig Berichte auch deutscher Forscher mit den gleichen Ergebnissen. Ebenso regelmäßig beteuerten die Landeskultusministerinnen und -minister gleich welcher Partei fast wortgleich nach jeder neuen Studie, dass es „vorrangige Aufgabe“ ihrer Politik sei, hier Abhilfe zu schaffen. Doch bundesweit ist seit über zwei Jahrzehnten nichts Wesentliches geschehen. Die GEW-Vorsitzende Finnern sieht deshalb in dem Startchancen-Programm, das Bund und Länder jetzt endlich vereinbart haben, einen „ersten Schritt in die richtige Richtung“, forderte aber eine weitergehende Finanzierung.