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Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit

Urteil macht den Dreien das Leben künftig noch schwerer

Die damals Mitarbeitenden eines Karlsruher Fanprojekts wurden zu je 90 Tagessätzen verurteilt. Die GEW warnt vor gravierenden Auswirkungen auf die gesamte Berufsgruppe.

Volker Körenzig, Sophia Gerschel und Sebastian Staneker - damals alle Mitarbeiter beim Fanprojekt Karlsruhe. (Foto: Christoph Ruf)

Am Dienstag machten sich 2600 Fans des Zweitligisten KSC zum DFB-Pokalspiel nach Offenbach auf – darunter viele hundert, denen die Deutsche Bahn einen Entlastungszug zur Verfügung gestellt hatte. Über Jahre hinweg wurden solche Fahrten von den drei Angestellten des Fanprojekts begleitet. Ob sie das auch am Dienstag tun würden, wussten sie allerdings 18 Stunden bevor sich der Zug am Gleis 5 des Karlsruher Hauptbahnhofes in Bewegung setzte, noch nicht.

Um 19.15 Uhr hatte Richterin Charlotte Scholtes am Montagabend schließlich ein Urteil gesprochen, das den Dreien das Leben künftig noch schwerer macht. Sollten rund ums Spiel in Offenbach in ihrer Nähe strafbare Handlungen geschehen, kommen sie mit dem Gesetz in Konflikt. Wie bei allen darauffolgenden Spielen auch.

„Nicht die Täter schützen, sondern unsere Arbeit“

Zu je 90 Tagessätzen waren die Drei am Ende der zehnstündigen Verhandlung verurteilt worden. Gestaffelt nach Einkommen und Familienstand sind das 4.050 bis 6300 Euro. Ihnen war zur Last gelegt worden, nach einem Pyrotechnik-Vorfall im November 2022 keine Angaben über die möglichen Täter gemacht zu haben. Sie selbst argumentierten, sie hätten ein besonders schützenswertes Vertrauensverhältnis zu ihrer Klientel. Man wolle, so die Sozialarbeiterin Sophia Gerschel in einem früheren Interview, „nicht die Täter schützen, sondern unsere Arbeit.“

Zwischenzeitlich ging es um Beugehaft 

Auch deshalb war ein Raunen durch den Saal gegangen, als der Staatsanwalt Thomas Röber sogar 160 Tagessätze gefordert hatte – 40 mehr als in der Instanz zuvor. Unter den Zuhörer*innen, darunter Fanprojekt-Kolleg*innen aus ganz Deutschland, hatte die strenge Forderung auch deshalb für Erstaunen gesorgt, weil Röber zuvor bekundet hatte, er könne sich „durchaus vorstellen, dass das hier ihre Arbeit beeinträchtigt.“ Er könne auch nachvollziehen, dass es belastend sei, wenn man „auf gepackten Koffern“ sitze, weil zwischenzeitlich sogar Beugehaft im Raum gestanden hatte. Das Recht der elf Verletzten auf Strafverfolgung sei jedoch höher zu bewerten. Den Angeklagten sei zudem bewusst gewesen, dass sie sich nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen dürfen.

Richterin: „Spannungsfeld“ berücksichtigt

Dieser Argumentation folgte die Richterin weitgehend. „Wir reden hier nicht von einer Lappalie“, sagte Scholtes, die es als erwiesen ansah, dass sie durch die Aussage-Verweigerung „wissentlich versucht haben, die Strafverfolgung von an der Pyroaktion Beteiligten zu verzögern oder ganz zu verhindern.“ Sie sei jedoch unter der Forderung der Staatsanwaltschaft geblieben, weil alle drei nicht vorbestraft seien und sie das „Spannungsfeld“ berücksichtigt habe, in dem sie sich aufgrund ihres Berufsethos befunden hätten. Die Verteidigung hatte hingegen wiederholt nach Belegen gefragt, welche Ermittlungen genau denn ihre Mandanten „vereitelt“ haben sollten. „Sie hatten doch schon alle Namen“, so Anwalt Alexander Schork. „Und die Haupttäter kennt niemand, die waren alle vermummt.“

„Hier wird ein Exempel statuiert, das gravierende Auswirkungen auf die gesamte Berufsgruppe hat." (Doreen Siebernik)

„Das Urteil ist eine herbe Enttäuschung und lässt einen sprachlos zurück", sagte Doreen Siebernik, GEW-Vorstandsmitglied für Jugendhilfe und Sozialarbeit. Hier wird ein Exempel statuiert, das gravierende Auswirkungen auf die gesamte Berufsgruppe hat. Wer seine Arbeit verantwortungsvoll ausführt, wird bestraft. Dabei dient professionelle Sozialarbeit der Prävention von Kriminalität, indem sie Menschen erreicht, bevor sie straffällig werden. Dafür ist jedoch ein Vertrauensverhältnis unerlässlich. Nur so kann Soziale Arbeit ihren grundlegenden Auftrag erfüllen. Wir stehen als GEW weiterhin solidarisch an der Seite der Kolleg*innen!“

Fatale Botschaft

Auch Michael Gabriel von der „Koordinierungsstelle der Fanprojekte“ in Frankfurt zeigte sich nach dem Urteil schockiert: „Wenn das Urteil Bestand hat, wird es extrem negative Auswirkungen auf die Arbeit der Fanprojekte, nein, der ganzen sozialen Arbeit in schwierigen Milieus haben.“ Die Botschaft, die von dem Urteil ausgehe, sei fatal: „Es gibt keinen Schutz des unerlässlichen Vertrauensverhältnisses, deswegen werden die Kontakte zu den Jugendlichen leiden. Man kann sich, überspitzt gesagt, von der Gewaltprävention verabschieden." 

Ins gleiche Horn stieß am Dienstagnachmittag auch das bundesweit agierende Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit (BfZ): „Hier ist ein Urteil gefällt worden, welches die grundsätzlichen Errungenschaften der Sozialen Arbeit bundesweit massiv gefährden und zurückwerfen kann“, hieß es in einer Stellungnahme. „Wir fordern die Politik auf, den § 53 der Strafprozessordnung entsprechend zu reformieren, so dass Sozialarbeiter*innen Rechtssicherheit durch ein Zeugnisverweigerungsrecht erhalten.“

Gegen das Urteil wird die Verteidigung erneut Rechtsmittel einlegen.