Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs
„Unverändert miserabel“
Wer promoviert, muss sich an deutschen Hochschulen nach wie vor von einem Zeitvertrag zum nächsten hangeln, wie der neue Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs zeigt.
Als Anja Karliczek Ende Februar den neuen Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs, kurz BuWIN, vorstellte, hob die Bundesbildungsministerin vor allem das Positive hervor. Wer promoviere, so die CDU-Politikerin, habe sehr gute Karriereaussichten, besetze Führungspositionen, erziele ein höheres Einkommen. „Die Investition in eine Promotion lohnt sich.“ Also alles bestens am Wissenschaftsstandort Deutschland? Keineswegs.
„Unverändert miserabel“
Tatsächlich zeigt auch der vierte Bundesbericht einmal mehr: Sehr gut sind die Aussichten nur für die Promovierten, die kurz danach in die Privatwirtschaft oder den öffentlichen Dienst wechseln. Zum ersten Mal liegen nun Daten vor, wie hoch ihr Anteil ist. Innerhalb der ersten beiden Jahre nach der Promotion verlassen 70 bis 80 Prozent die Hochschule. Wer bleibt, muss sich jahrelang von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln, oft nur in Teilzeit, bei schlechter Entlohnung, vielen unbezahlten Überstunden und mit dem permanenten Stress einer ungewissen Zukunftsperspektive.
„Unverändert miserabel“ nennt René Krempkow die Situation der Nachwuchsforschenden in der Wissenschaft. Der Soziologe hat 2008 beim ersten BuWIN mitgearbeitet und engagiert sich nun im Netzwerk „Thesis“, einem deutschlandweiten Zusammenschluss von Promovierenden und Promovierten. Dass die Bundesbildungsministerin lediglich von „Verbesserungspotenzial“ spricht, empfindet Krempkow als „geradezu zynisch“.
Hohe Befristungsquote
Die Zahlen, die der BuWIN für das Jahr 2018 auswertet, sind alles andere als positiv. Nur 8 Prozent der Nachwuchsforschenden haben einen unbefristeten Vertrag. Gemeint sind damit nicht etwa nur sehr junge Forschende, die noch mitten in der Orientierungsphase stecken. Als „Nachwuchs“ werden alle wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezeichnet, die jünger als 45 Jahre sind und keine Professur haben. Bei den restlichen 92 Prozent reiht sich ein Zeitvertrag an den anderen. Bei Promovierenden sind es im Schnitt 3,4 befristete Verträge mit jeweils 22 Monaten Laufzeit – obwohl eine Doktorarbeit rund sechs Jahre benötigt. Bei Postdocs sind es 6,3 Verträge mit jeweils 28 Monaten Laufzeit. Forschende, die jünger als 35 Jahre sind, müssen sich sogar zu 98 Prozent mit befristeten Verträgen arrangieren.
Die extrem hohe Befristungsquote verharrt damit auf dem Rekordniveau der letzten beiden Berichte. Wie extrem dies ist, zeigt ein Blick auf andere europäische Länder. In den Niederlanden liegt die Quote nur bei 40 Prozent, in Norwegen und Großbritannien bei rund 50 Prozent. Eine geringere wissenschaftliche Produktivität geht damit nicht einher, wie Befürworter von Befristungen immer wieder argumentieren.
Flaschenhals zur Professur wird enger
In Deutschland hat sich die Situation sogar verschlechtert. 2005 gab es „nur“ 86 Prozent Befristungen. Da die Zahl der Nachwuchsforschenden seitdem von gut 100.000 auf knapp 180.000 um zwei Drittel stieg, sind jetzt auch sehr viel mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betroffen. Gleichzeitig erhöhte sich die Zahl der Professuren aber nur um ein Viertel. Der Flaschenhals zur Professur ist noch enger geworden. Wer zum ersten Mal eine Berufung erhält, ist im Schnitt schon 40 Jahre alt. Vielfach sind auch diese Stellen wieder nur befristet.
Dabei sollte das Wissenschaftszeitvertragsgesetz von 2007 die Lage für den Nachwuchs verbessern. Befristungen wurden an Bedingungen geknüpft, etwa dass sie der Qualifizierung dienen. „Was Qualifizierung bedeutet, ist aber nicht klar definiert“, sagt GEW-Hochschulexperte Andreas Keller. „Das fällt uns jetzt auf die Füße, denn die Hochschulen interpretieren den Begriff so weit, dass sich jemand auch dann qualifiziert, wenn er nur sein Wissen vertieft und verbreitert, was ja immer der Fall ist.“
„Viele Daueraufgaben in der Lehre werden auf die Mitarbeiterebene geschoben.“ (Anke Burkhardt)
Dazu kommt, dass es heute auch sehr viel mehr Studierende gibt. Dadurch hat sich auch die Betreuungsrelation verschlechtert, für Studierende wie für Doktoranden. Ein Drittel der Promovierenden sieht Betreuerinnen und Betreuer nur einmal im Semester. Oft wird ein wesentlicher Teil der Betreuung vom Nachwuchs geleistet, der dann weniger Zeit hat, sich um die eigene Forschung zu kümmern.
„Viele Daueraufgaben in der Lehre werden auf die Mitarbeiterebene geschoben“, sagt die Hochschulforscherin Anke Burkhardt. Für den BuWIN hat sie Personalentwicklungskonzepte der Hochschulen untersucht und sieht durchaus auch Fortschritte. „Die Hochschulen sind sich zunehmend des Problems bewusst“, sagt sie. „Da wächst das institutionelle Verständnis.“ Ergebnisse werde man aber erst in einigen Jahren sehen. Bislang jedenfalls sei die Personalstruktur nicht zufriedenstellend. „Auch unterhalb der Professur sollte es Dauerstellen geben.“
Vor allem Frauen betroffen
Licht und Schatten gibt es auch beim Thema Gleichstellung. Zwar hat sich der Frauenanteil auf allen Ebenen des Wissenschaftsbetriebs in den vergangenen 20 Jahren spürbar erhöht. Doch nach wie vor gibt es die sogenannte Leaky Pipeline, das Leck in der Karriere-Leitung. Das heißt, bei jeder weiteren Karrierestufe sinkt der Anteil der Frauen immer mehr. Unter den Nachwuchskräften haben sie deutlich häufiger als Männer nur Teilzeitstellen. Ein hoher Anteil der Wissenschaftlerinnen bleibt kinderlos.
„Eine nicht so gute Nachricht ist auch das sehr geringe Niveau der Internationalisierung“, sagt Karl Ulrich Mayer, der Vorsitzende des Wissenschaftsbeirats des BuWIN. An den Hochschulen ist der Anteil der Nachwuchsforschenden, die nicht aus Deutschland kommen, seit 2015 nur von 10 auf 12 Prozent gestiegen. An außeruniversitären Forschungseinrichtungen gab es hingegen einen Zuwachs von 16 auf 27 Prozent. „Das hat Folgen in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Mayer.
Probleme durch Coronapandemie
Für die Zukunft erwartet der Soziologe wegen der Corona-Krise „deutliche Probleme“. „Trotz der raschen und erfreulichen Verlängerung der Vertragslaufzeiten durch Bund und Länder werden die Folgen der Pandemie für den Nachwuchs verheerend sein“, sagt Mayer. All das, was wissenschaftliche Karrieren in ihrer Frühphase beflügele, funktioniere ohne Präsenz nicht: Begegnung, Austausch, das Knüpfen von Netzwerken, Auslandsaufenthalte. Gut möglich, dass der nächste BuWIN in vier Jahren ein noch trüberes Bild zeichnet.