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American Federation of Teachers (AFT)

Unternehmen in die Pflicht nehmen

Eine Delegation der American Federation of Teachers (AFT) hat sich bei einer Studienreise über die berufliche Bildung in Deutschland informiert. E&W traf die Vizepräsidentin Jan Hochadel, zugleich Präsidentin der AFT in Connecticut, in Berlin.

„In den USA ist es die Wirtschaft nicht gewöhnt, in Bildung zu investieren.“ (Jan Hochadel, Vizepräsidentin der American Federation of Teachers (AFT) / Foto: Nadine Emmerich)
  • E&W: Mit welchen Erwartungen sind Sie nach Deutschland gekommen?

Jan Hochadel: Ich spreche vor allem für Connecticut, das System der beruflichen Bildung ist in den USA von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich. Ich bin hier, um unser System mit dem deutschen zu vergleichen. Bei uns gibt es eine akademische und eine berufsbildende Schiene. Was fehlt, ist ein Weg in der Mitte, wie das duale System in Deutschland.

  • E&W: Sie haben in Berlin unter anderem ein Oberstufenzentrum Kraftfahrzeugtechnik und ein Ausbildungszentrum von Siemens Energy besucht – welche Eindrücke nehmen Sie mit in die USA?

Hochadel: Die Zentren, die ich gesehen habe, ähneln den Technical High Schools, an denen ich selbst in Connecticut unterrichtet habe. Es ist die Struktur der Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie, die wir so nicht kennen – und die mich beeindruckt hat.

  • E&W: Würden Sie dieses System auf die USA übertragen wollen?

Hochadel: Wir überlegen, wie wir ein duales System auf Ebene der einzelnen Bundesstaaten einführen könnten, aber auch, wie ein Bundesgesetz Unternehmen in die Pflicht nehmen kann, ihren Teil zur Ausbildung junger Menschen beizutragen. Das wird jedoch schwierig: In den USA ist es die Wirtschaft nicht gewohnt, in Bildung zu investieren.

  • E&W: Warum steht die berufliche Bildung in den USA hinten an?

Hochadel: Bei uns sind alle extrem auf die Hochschulbildung fokussiert, alle jungen Menschen sollen aufs College gehen. Es gibt kein Bewusstsein dafür, dass man nicht für jeden Beruf zwingend studieren muss. Das war schon immer so, aber das Problem ist größer geworden, weil so viele Absolventinnen und Absolventen nach dem College keinen gut bezahlten Job bekommen, aber ihre Studienkredite zurückzahlen müssen.

  • E&W: Ein duales Berufsbildungssystem zu etablieren, wäre eine gewaltige Aufgabe.

Hochadel. Ja, aber wir haben überall Fachkräftemangel. Sie finden keinen Klempner, weil es ihn schlicht nicht gibt. Die Politik weiß um dieses Problem und wird daher hoffentlich offen für Lösungen sein.

  • E&W: Gibt es entsprechende Pläne der Biden-Regierung?

Hochadel: Ich glaube, diese prüft gerade, welche Möglichkeiten es geben könnte. Wenn es gemacht wird, dann unter Präsident Joe Biden. Er steht auf der Seite der Gewerkschaften und Lehrkräfte.

  • E&W: Was sind weitere Herausforderungen für das US-Bildungssystem?

Hochadel: Es geht immer um die Finanzierung. Unsere Schulsysteme werden von den Städten und Gemeinden finanziert, die dafür auf Steuereinnahmen angewiesen sind. Damit verbunden gibt es eine große Ungleichheit: In New York City etwa leben viele Menschen, die viel Geld verdienen und viele Steuern zahlen. Dort sind die Schulen am besten und auf dem neuesten Stand der Technik. Fahren Sie nur 20 Meilen weiter nach Bridgeport in Connecticut, finden Sie schlechte Schulen vor: Dort gibt es keine Computer, kein WiFi, nichts.

  • E&W: Was fordert die AFT?

Hochadel: Wir müssen das Steuersystem ändern. Die Industrie muss endlich anfangen, mehr für Bildung zu zahlen, statt nur mehr Profit zu machen.

  • E&W: Um ihre Ziele durchzusetzen, brauchen Sie eine starke Gewerkschaft. Wie sieht es in den USA mit den Mitgliederzahlen aus?

Hochadel: Im Nordosten sind die Gewerkschaften stark. Aber es gibt Staaten wie Texas, in denen Tarifverhandlungen verboten sind. In Florida wird versucht, Gewerkschaften zu zerschlagen. Beides sind republikanische Staaten. Die Republikaner würden die öffentliche Bildung gern abschaffen und das Bildungssystem privatisieren.

  • E&W: Was haben die großen Lehrkräftestreiks der vergangenen Jahre gebracht?

Hochadel: Die Arbeitsbedingungen haben sich verbessert. Wir haben jetzt in jeder Schule Psychologinnen und Psychologen und mehr pädagogisches Personal zur Unterstützung der Lehrkräfte. In einigen Städten verdienten Lehrkräfte nicht genug, um sich eine Wohnung leisten zu können, dort wurden Gebäude mit günstigeren Mieten gebaut. Aber wir haben noch viel zu tun, was Inklusion und Chancengleichheit angeht. 

Das Schulsystem in den USA ist seit Jahrzehnten unterfinanziert. Das führt zu großen sozialen Ungleichheiten. (Foto: IMAGO/Manfred Segerer)