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Nationaler Bildungsbericht

Unterbesetzt, unterfinanziert und ungerecht

Der neue nationale Bildungsbericht ist ein eindringlicher Weckruf für eine Trendwende in der deutschen Bildungspolitik.

Foto: Kay Herschelmann

Unzureichende Finanzierung, Fachkräftemangel in Schulen, Kitas und Weiterbildung, hoher Transformationsbedarf durch Zuwanderung und Digitalisierung, sinkende Schulleistungen im Kernfach Lesen/Textverständnis, anhaltende soziale Ungleichheiten, mehr Schulabbrecher und wieder mehr junge Menschen im Übergangssystem – der Bildungsforscher Professor Kai Maaz sieht das deutsche Bildungssystem vielerorts „am Anschlag“. Maaz ist Sprecher der Autorengruppe, die den Bericht „Bildung in Deutschland 2024“ im Auftrag von Bund und Ländern erstellt hat.

Bildungssystem unterfinanziert

Zwar sind laut Bericht die Gesamtausgaben für Bildung in der Bundesrepublik in den vergangenen zehn Jahren um 46 Prozent gestiegen, auf 264 Milliarden Euro (2022). Gemessen an der Wirtschaftskraft Deutschlands ist der Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIB) jedoch nur um 0,2 Prozentpunkte angewachsen, und zwar von 6,6 Prozent (2012) auf 6,8 Prozent (2022). „Um über alle Lebensphasen hinweg ein hochwertiges Bildungsangebot zu sichern, muss das Bildungssystem flexibel und bedarfsorientiert ausfinanziert werden“, forderte Maaz.

Die Nachfrage nach Bildung steigt weiter an. 17,9 Millionen Kinder, Jugendliche und Erwachsene befanden sich 2022 in Bildungseinrichtungen. Das sind sieben Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. Insbesondere bei Kitas und bei der Ganztagsbetreuung übersteigt die Nachfrage oftmals das Angebot.

Großer Personalmangel

Der Personalmangel belastet vor allem Schulen und Kitas. Aber auch Weiterbildungseinrichtungen klagen über Probleme bei der Personalfindung. Im vergangenen Jahr waren zwölf Prozent aller neu eingestellten Lehrkräfte Seiteneinsteigende. Viele ausländische Lehrerinnen und Lehrer, die in Deutschland arbeiten möchten, hätten nach wie vor große Probleme bei der Anerkennung ihrer Abschlüsse, kritisiert der Bericht; nur in 14 Prozent der Fälle würden diese ohne Weiteres als gleichwertig anerkannt.

An den Berufsschulen dürften sich in den nächsten Jahren die Personalprobleme noch weiter verschärfen. Mehr als die Hälfte der dort tätigen Lehrkräfte sei älter als 50 Jahre. Maaz forderte „kreative Ansätze“ bei der Personalgewinnung, mahnte aber zugleich „eine ausreichende Professionalisierung des Bildungspersonals nicht aus dem Blick zu verlieren“.

Verschärfte soziale Ungleichheit

Der Bericht beklagt erneut die nach wie vor in Deutschland existierende extreme Abhängigkeit von Bildungserfolg und sozialer Herkunft. Während Kinder aus Familien mit einem hohen sozioökonomischen Status zu 79 Prozent nach der Grundschule eine Gymnasialempfehlung erhalten, sind dies bei Kindern aus armen oder bildungsfernen Familien nur 32 Prozent. Diese sozialen Disparitäten schreiben sich beim Zugang zu Ausbildung, beim Prüfungserfolg wie auch bei der späteren Beteiligung an Weiterbildung fort. Von 100 jungen Menschen aus akademisch gebildeten Elternhäusern nehmen 78 ein Hochschulstudium auf. Von 100 jungen Menschen ohne studierte Eltern sind dies nur 25.

„Das ist nicht nur ein bildungspolitischer, sondern ein gesellschaftspolitischer Skandal.“  (Maike Finnern)

Die GEW-Vorsitzende Maike Finnen kommentierte, diese starke Abhängigkeit von Bildungserfolg und sozialer Herkunft „ist und bleibt die Achillesferse des deutschen Schulsystems“. Es sei erschreckend, dass diese Koppelung seit dem PISA-Schock von 2001 trotz zahlreicher Maßnahmen und Beschwörungen von Politikern in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht aufgelöst worden sei. Finnen: „Das ist nicht nur ein bildungspolitischer, sondern ein gesellschaftspolitischer Skandal.“  Der Anspruch ‚Aufstieg durch Bildung‘ und ‚gesellschaftlicher Durchlässigkeit‘ werde ad absurdum geführt. Bildung müsse endlich gut ausfinanziert werden. „Und das Geld muss da ankommen, wo es am dringendsten benötigt wird: in den Schulen in schwierigen sozialen Lagen, bei den armen Kindern und deren Familien,“ forderte die GEW-Vorsitzende.

Schlechte Schulleistungen

Der Bildungsbericht verweist auf die jüngsten internationalen wie nationalen Schulstudien, nach denen in Deutschland die Schulleistungen stagnieren oder gar zurückgehen. So steige im Primar- wie im Sekundar-I-Bereich der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die die Mindeststandards im Lesen nicht erreichen. Dies sei aber der wichtigste Kompetenzbereich, ja die Voraussetzung für anschlussfähiges Lernen in anderen Fächern und höheren Klassenstufen. Zugleich steigt laut Bericht wieder die Zahl der Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss verlassen. 2022 waren dies rund 52.300, beziehungsweise 6,9 Prozent – gegenüber 5,7 Prozent im Jahr 2013. Maaz geht davon aus, dass die Gesamtzahl der Schulabbrecherinnen und -abbrecher noch höher liegen dürfte, weil Jugendliche, die während eines laufenden Schuljahres die Schule verlassen, statistisch nicht erfasst würden.  

Mängel in der beruflichen Bildung

Ein Teil dieser Jugendlichen landet in Maßnahmen des Übergangssystems. Auch hier steigt die Zahl der Teilnehmenden wieder an. Waren es 2021 noch 225.000 so wurden im vergangenen Jahr 250.000 gezählt. Nicht all diesen Jugendlichen gelingt nach einer Übergangsmaßnahme die Einmündung in die berufliche Bildung. Die Forschenden sprachen von einer „alarmierenden Entwicklung“. Aufgrund der verschiedenen Zuständigkeiten in der beruflichen Bildung bleibe besonders hier die Frage von Governance und Steuerung ungelöst. Man wisse noch viel zu wenig über den Verbleib der 25- bis 34-Jährigen ohne formalen Berufsabschluss. Laut Bericht landet ein Teil von ihnen häufig in Berufen mit „geringem Prestige“, wie Reinigung, Gastronomie, Speisezubereitung, Post- und Zustellungsgewerbe. Der Anteil formal gering qualifizierter Erwachsener, die nicht über einen beruflichen Abschluss oder die Hochschulreife verfügen, liegt laut Bericht mit 17 Prozent unverändert hoch. Fast jeder zweite aus dieser Gruppe entstammt selbst einem bildungsfernen Elternhaus.