Duisburg, Stadtteil Marxloh. Mohamed Ali brütet über Mathe-Aufgaben. Alex sucht auf der Nordamerika-Karte den Erie-See. Adele liest einen Text über „Virtuelles Wasser“. „Freies Lernen“ in Klasse 7b. Marlis Tepe ist mit den Schülerinnen und Schülern der Herbert-Grillo-Gesamtschule schnell im Gespräch. Fast alle haben Migrationshintergrund. Welche Sprache sie außer Deutsch spreche, will Marlis Tepe von Adele wissen. „Ich kann Englisch, bisschen Französisch, bisschen Türkisch und ein klein wenig Arabisch“, zählt die 13-Jährige auf. Dorothea Schäfer, NRW-Landesvorsitzende der GEW, lobt das Miteinander der Klasse. Ihr habe gefallen, „wie selbstständig ihr arbeitet und euch gegenseitig helft“.
„Wenn alle Laptops gleichzeitig in Betrieb sind, bricht unser Internet zusammen.“ (Thomas Zander)
Schulleiter Thomas Zander hält mit den Problemen der Grillo-Gesamtschule nicht hinterm Berg. So stünden zwar 60 Laptops und Tablets für die Schüler bereit. „Aber wenn die gleichzeitig in Betrieb sind, bricht unser Internet zusammen.“ Es fehle an Räumen und pädagogischen Fachkräften. Zander nutzt den GEW-Schulbesuch, um einen Lösungsvorschlag zu präsentieren. Ziel sei, einen gemeinsamen Bildungsstandort Marxloh aufzubauen. Einen Vorzeigestandort, „ähnlich wie in Berlin-Neukölln am Campus Rütli“. Mit einer solchen Strahlkraft, „dass sowohl Lehrpersonal als auch Eltern für ihre Kinder diesen Standort wählen“. Hinter dem Projekt stehen die Schulleitungen von sechs Marxloher Schulen, inclusive Gymnasium und Berufsbildender Schule.
„Wir setzten uns dafür ein, dass Schulen in einem schwierigen sozialen Umfeld zusätzliche personelle und materielle Ressourcen erhalten.“ (Marlis Tepe)
Das gemeinsame Positionspapier enthält Klartext: An Grundschulen in Marxloh gebe es Klassen, deren Schüler bis zu 75 Prozent in Zuwandererfamilien leben. In manchen Klassen seien bis zu 60 Prozent der Eltern Analphabeten. „Wir benötigen multiprofessionelles Personal“, fordern die sechs Schulleitungen. Und zwar Dolmetscherinnen, Interkulturelle Berater, Schulsozialarbeiterinnen, Integrationshelfer, Künstlerinnen und Logopäden. Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD), der Marlis Tepe und Dorothea Schäfer beim Schulbesuch begleitet, unterstützt das Projekt. Die Stadt unternehme vieles, erklärt Link. „Doch unsere Möglichkeiten sind begrenzt.“ Deshalb brauche Duisburg mehr Unterstützung des Landes. Marlis Tepe sieht dringenden Handlungsbedarf: „Wir setzten uns dafür ein, dass Schulen in einem schwierigen sozialen Umfeld zusätzliche personelle und materielle Ressourcen erhalten.“ Gemeinsam mit Oberbürgermeister Link fordert sie: „Ungleiches ungleich behandeln!“.
„3.400 Unterrichtsstunden gehen den Grundschulkindern in Duisburg pro Woche verloren.“ (Rüdiger Wüllner)
Duisburg, Innenstadt. Ein Hotel-Konferenzraum gegen 13 Uhr. Für Schnittchen, Kaffee und Saft bleibt wenig Zeit – Marlis Tepe will sich über Personalmangel an Grundschulen informieren. Rüdiger Wüllner, Personalratsvorsitzender in Duisburg, hat Zahlen mitgebracht: An den Grundschulen der Ruhrgebietsstadt waren 166 Stellen ausgeschrieben. Davon konnten bis zum 24. August 2018 lediglich 43 Stellen besetzt werden. Wüllner rechnet vor, „dass 3.400 Unterrichtsstunden pro Woche den Grundschulkindern in Duisburg verloren gehen“. In Besoldung und Entgelte umgerechnet bedeute dies: „Wir bewegen uns auf eine halbe Million Euro zu, die das Land NRW in Duisburg monatlich spart, auf Kosten der Kinder und zu Lasten der Lehrkräfte.“
Martin Fey, Sprecher der Schulleitungen von Duisburgs Grundschulen, ergänzt: Beim Besetzen von Stellen gebe es „an den Brennpunktschulen die größten Probleme“. Gleichzeitig unterrichteten dort „die meisten Seiteneinsteiger“. Mit Frauen und Männer, die lediglich Kunst, Sport, Musik oder Englisch studiert hätten, sei den Grundschulen aber nicht geholfen. „Wir brauchen Leute, die Klassen leiten können“, sagt Fey. Was also tun, um die Personalnot von benachteiligten Schulen zu stoppen? Marlis Tepe berichtet vom Vorstoß der Bremer Schulsenatorin: „Dort unterrichten Lehrkräfte an Brennpunktschulen jetzt zwei Stunden pro Woche weniger, bei gleichem Gehalt.“
Würde das Duisburg weiterbringen? Rüdiger Wüllner ist skeptisch. „Die Kolleginnen und Kollegen, die bereits da sind, hätten mehr Luft“, räumt der Personalratsvorsitzende ein. Er sehe aber die Gefahr, dass eine solche Maßnahme ins Leere laufe – und dann lediglich „das Stundenangebot reduziert“. Martin Fey will den Staat in die Pflicht nehmen: „Zentrale Zuweisung“, und zwar mit „klarer Reihenfolge“. Brennpunktschulen müssten „die besten Lehrkräfte“ bekommen. Damit sich die Qualifizierten nicht weiterhin die Schulen „rauspicken, wo es am Schönsten ist“. Zusätzlich könnte eine bessere Bezahlung dafür sorgen, „dass Brennpunktschulen attraktiver werden“.