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Türkei: Politische Konflikte können nicht durch Gerichte gelöst werden

Begleitet von starker internationaler Solidarität fand am 4. Oktober 2012 vor dem Strafgerichtshof in Ankara die erste Anhörung von 15 angeklagten Frauen der Bildungsgewerkschaft EGITIM-SEN und des Gewerkschaftsdachverbands KESK statt. Sabine Skubsch und Süleyman Ates waren für die GEW dabei.

Fotos: Sabine Skubsch / Florian Lascroux

Mehr als 60 Kolleginnen und Kollegen des Dachverbands der Gewerkschaften im Öffentlichen Dienst KESK und der Bildungsgewerkschaftsgewerkschaft EGITIM-SEN befinden sich derzeit in der Türkei in Haft. Am 4. Oktober 2012 fand in Ankara die erste Anhörung von 15 angeklagten Kolleginnen statt, von denen neun seit ihrer Festnahme im Februar in Haft sind. Am Ende der Anhörung gibt es gute und schlechte Nachrichten: Sechs Kolleginnen kommen frei - der Haftbefehl gegen drei Kolleginnen bleibt bestehen. In der 130 seitigen Anklageschrift wird den Frauen ihre Gewerkschaftstätigkeit wie Vorbereitung des Internationalen Frauentags, die Teilnahme an einer Gewerkschaftskonferenz in der Kurdenmetropole Diyarbakir, der Besitz von oppositionellen Büchern u.ä. vorgeworfen. Dies alles - so der Staatsanwalt - hätten sie auf Befehl der KCK, des „legalen Arms der PKK“ getan. Die kurdische Arbeiterpartei PKK gilt in der Türkei als Terrororganisation und wird vom Staat bekämpft. In der Diktion der Anklage sind die Frauen somit Mitglieder einer terroristischen Vereinigung.

“Eigentlich muss die Türkei auf diese Frauen stolz sein.”
Während der Anhörung äußern sich die verhafteten Frauen zu den Anklagepunkten. Sie bekennen, dass sie gewerkschaftliche Aktivistinnen sind und für Demokratie sowie Gewerkschafts- und Frauenrechte eintreten, bestreiten aber auf irgendeinen Befehl hin gehandelt oder an illegalen Treffen teilgenommen zu haben. „Würde man die Begriffe PKK und KCK aus der Anklageschrift streichen, so bliebe nichts mehr übrig, was eine Verurteilung rechtfertigen könne, “ so fasst einer der Anwälte die Kritik an der konstruierten Anklage zusammen. Die in der Türkei bestehenden Probleme wie der Kurdenkonflikt müssen auf politischem Wege angegangen werden, so ein anderer Rechtsanwalt. „Politische Konflikte können nicht durch Gerichte gelöst werden.“ Die Angeklagten haben Zivilcourage und Einsatz für Demokratie, Frauenrechte und Frieden gezeigt. “Eigentlich muss die Türkei auf diese Frauen stolz sein.”

Internationale Prozessbeobachtung und Gewerkschaftssolidarität
An die Tausend KESK-Mitglieder aus allen Teilen der Türkei versammelten sich am Morgen des 4. Oktober vor dem Justizgebäude in Ankara. Sie blieben bis zum Ende der Verhandlung gegen 21 Uhr, um ihre Solidarität mit den verhafteten KESK-Frauen zu demonstrieren. Unterstützt wurden sie von einer 22-köpfigen internationalen Gewerkschaftsdelegation aus Frankreich, Großbritannien, Dänemark, Deutschland, Belgien, Schweden, Zypern und Griechenland. Unter den Prozessbeobachtern befanden sich auch Stephen Benedict, Leiter der Abteilung für Menschen- und Gewerkschaftsrechte beim Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) in Brüssel sowie Jan Willem Goudriaan, stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Dachverbands der Gewerkschaften im Öffentlichen Dienst (EPSU). Die GEW wurde in Ankara von Süleyman Ates und Sabine Skubsch vertreten. Von den KESK-Gewerkschaftskollegen wurde vielfach die Ansicht vertreten, dass die starke Präsenz ausländischer Prozessbeobachter mit zur Freilassung der Kolleginnen beigetragen habe. Das Verfahren wird am 13. Dezember 2012 fortgesetzt.