fair childhood - Bildung statt Kinderarbeit
Treiber und Bremser
Adventsgenüsse wie Schokolade, Tee oder Orangen mit dem Fairtrade-Siegel gibt es auch im Discounter. Echt fair und ohne Kinderarbeit – oder ist das Augenwischerei?
Kinderarbeit nein, Schule ja – dafür setzt sich Lidl mit der Organisation Save the children in der Türkei ein. Dort, an der Schwarzmeerküste, werden zwei Drittel der weltweit konsumierten Haselnüsse geerntet – auch von Minderjährigen. Mit dem Hilfsprojekt will Lidl „neue Maßstäbe zur Prävention von Kinderarbeit in der Haselnussproduktion setzen, die im nächsten Schritt auf andere Lieferketten in der Landwirtschaft übertragen werden“, sagt Unternehmenssprecherin Melanie Pöter.
Das ist auch nötig: Nicht nur bei der Ernte von Haselnüssen* werden Kinder ausgebeutet, sondern vielerorts auch beim Pflücken von Kakao, Kaffee, Tee, Orangen oder in der Produktion von Elektronik und Textilien. Laut einer Studie im Auftrag der Grünen-Fraktion im Europaparlament gibt jeder EU-Bürger im Jahr 100 Euro für Produkte aus, in -denen Kinderarbeit steckt. Produkte, die auch in den Regalen der Lebensmittel-Discounter liegen, darunter beliebte Marken.
„Ihr soziales Engagement hat sich in den zurückliegenden Jahren zwar deutlich qualitativ verbessert, aber das reicht noch lange nicht aus.“ (Franziska Humbert)
Allein Ferrero (Nutella und Hanuta) ist mit einem Drittel Hauptabnehmer der Haselnüsse aus der Türkei. Diese Nüsse landen jedoch auch in den Eigenmarken der Discounter. In welchen Mengen oder in welchen Keksen, erfährt der Kunde nicht. Auf die Frage, wie Lidl sicherstellt, dass diese Nüsse nicht aus Kinderarbeit stammen, verweist die Pressestelle lediglich auf den „Code of Conduct“ des Unternehmens: Das Verbot von Kinderarbeit sei damit „fester Vertragsbestandteil mit Geschäftspartnern“.
Wie ernst also ist es Lidl, Aldi, Netto & Co. mit fair und kinderarbeitsfrei? „Ihr soziales Engagement hat sich in den zurückliegenden Jahren zwar deutlich qualitativ verbessert, aber das reicht noch lange nicht aus“, kritisiert Franziska Humbert von der Organisation Oxfam. Ein paar Beispiele dieses Engagements: Lidl hat 2006 zusammen mit der deutschen Siegelorganisation TransFair e. V. – heute Fairtrade Deutschland – eine faire Eigenmarke unter dem Namen „Fairglobe“ entwickelt. Inzwischen tragen in den Lidl-Filialen rund 30 Lebensmittel das konzerneigene Fairglobe- und das blau-grün-schwarze Fairtrade-Zeichen, auch zwei von drei verkauften Bananen. Lidl hat 2020 zudem die Eigenmarke Way to Go eingeführt: eine Fairtrade-zertifizierte Schokolade mit Zusatzprämien für Bauern in Ghana.
Oder Aldi-Nord: Der Discounter bietet laut Homepage sieben Produkte mit dem Logo „Fair“ und rund 160 -Fairtrade-zertifizierte Eigenmarkenartikel an. Mit der Tafel Choco Changer will Aldi dazu beitragen, „Armut, illegale Kinderarbeit und Entwaldung zu beenden und damit eine neue Norm für die Kakaoindustrie in Westafrika zu schaffen“. Auch Aldi-Süd verkauft Aktionsprodukte wie Yogahosen, Wein oder Rosen mit dem Fairtrade-Siegel.
Ein Nischengeschäft
So gekennzeichnete Lebensmittel und Textilien sind fair und ohne Kinderarbeit – auch wenn sie beim Discounter im Regal liegen. Die Produkte von großen multinationalen Konzernen müssen denselben Zertifikationsprozess durchlaufen wie alle anderen Firmen, die Fairtrade-Produkte vermarkten. Das heißt: Die Erzeugerfamilien bekommen einen stabilen Mindestpreis, der oft über dem Weltmarktpreis liegt, Plantagenarbeitende einen gerechteren Lohn – und beide Gruppen zusätzlich eine faire Prämie. Für diese Prämie kamen 2020 allein aus den Verkäufen in Deutschland 38 Millionen Euro zusammen. Kinder- und Zwangsarbeit ist bei Fairtrade verboten, und bei der Kleidung hat die Siegelorganisation inzwischen die gesamte Lieferkette im Blick.
Doch Zweifel an einem weitreichenden sozialen Engagement von Lidl & Co. sind durchaus berechtigt. Gemessen am Gesamtsortiment der Discounter mit ihren bis zu 4.000 Produkten ist die Palette an Fairem sehr klein. Wer die Handelsketten fragt, welchen Anteil der Umsatz mit fair erzeugter Ware am Gesamtumsatz ausmacht, erntet Schweigen. Deutlicher wird Stefan Genth, Chef des Handelsverbandes Deutschland: „Noch macht Fair Trade nicht einmal 1 Prozent des gesamten Umsatzes mit -Lebensmitteln aus.“ Selbst beim Aushängeschild Kaffee liegt der faire Marktanteil bei nur 5 Prozent.
Treiber des fairen Handels
Solange Discounter das Gros der Waren konventionell herstellen und einkaufen, seien die wenigen fair zertifizierten Produkte reine Alibi-Sortimentsanteile, monieren Kritiker: Dieselben Konzerne, die vordergründig den fairen Handel umarmen – und damit auch offensiv werben – „sind mit ihrer Marktmacht für einen Teil der Probleme verantwortlich, die der faire Handel zu beheben versucht“, sagt Steffen Weber vom Weltladen-Dachverband.
Um ihren Kunden in Deutschland Schokolade, Bananen, Ananas oder Kaffee zu Schleuderpreisen anbieten zu können, „nutzen Supermärkte und Discounter ihre Einkaufsmacht massiv aus und drücken die Lieferanten im Preis“, kritisiert auch Oxfam-Vertreterin Humbert die Einkaufspolitik der „Big Four“: Edeka (mit Netto), die Schwarz-Gruppe (mit Lidl), Rewe (mit Penny) und Aldi beherrschen zusammen fast 90 Prozent des deutschen Lebensmittelmarktes. „Sich zu wehren, traut sich kaum ein Hersteller oder Erzeuger: Wer aufmuckt, hat es schwer“, so Humbert. Mancher wird dann gar nicht mehr gelistet.
„Durch die Discounter wurde der faire Handel massenkompatibel – das hat viele Leute erst dazu gebracht, sich mit ausbeuterischen Verhältnissen in den Produktionsländern zu beschäftigen.“
Dennoch sind die Discounter ein wichtiger Treiber des fairen Handels. Fast zwei Milliarden Euro gaben Verbraucherinnen und Verbraucher hierzulande 2020 für faire Produkte aus, doppelt so viel wie noch 2014. Die Hälfte dieses Umsatzes wird über die Discounterschiene erzielt – der Rest in Weltläden, (Bio)Supermärkten oder Naturkostläden. „Durch die Discounter wurde der faire Handel massenkompatibel – das hat viele Leute erst dazu gebracht, sich mit ausbeuterischen Verhältnissen in den Produktionsländern zu beschäftigen“, sagt Humbert. Hinzu kommt, dass Handelskonzerne den Erzeugerinnen und Erzeugern in Afrika, Asien oder Lateinamerika größere Mengen abkaufen; Lidl etwa ist europaweit der größte -Abnehmer von Fairtrade-zertifiziertem Kakao. „Letztendlich“, sagt Claudia Brück von Fairtrade Deutschland, „ist es den Produzenten egal, wo ihre Ware in Europa verkauft wird – Hauptsache, sie wird verkauft.“