Gleichstellung
„Teufelskreis aus Gender Pay Gap und Gender Care Gap“
Frauen tragen immer noch die Hauptlast der unbezahlten Sorgearbeit. Warum und welche Rahmenbedingungen eine geschlechtergerechte Verteilung braucht, erklärt Anja Weusthoff vom Bündnis „Sorgearbeit fair teilen“.
- E&W: Warum ist es so, dass Frauen immer noch die Hauptlast bei der unbezahlten Sorgearbeit tragen?
Anja Weusthoff: Es gibt nach wie vor traditionelle Rollenbilder, die Männern und Frauen bestimmte Eigenschaften sowie bestimmte Funktionen und Tätigkeiten zuschreiben – sowohl im Privaten als auch im Arbeitsleben. Die sind zwar in den vergangenen Jahrzehnten etwas aufgebrochen worden: So steigt die Zahl der Frauen, die erwerbstätig sind, weiter an. Aber wir haben einen enorm großen Anteil an Teilzeitbeschäftigung bei Frauen, weil sie eben immer noch den Großteil der unbezahlten Sorgearbeit leisten. Das bedingt einander: Wenn in heterosexuellen Paarbeziehungen Kinder geboren werden, verstärkt sich oft die traditionelle Rollenverteilung wieder, weil die Frauen in der Regel schlechter verdienen als die Männer. Die Paare stehen dann vor der Entscheidung, auf wessen Einkommen sie besser verzichten können. Wir haben also eine Abhängigkeit zwischen Gender Pay Gap und Gender Care Gap, das ist ein Teufelskreis. Um das aufzubrechen, müssen die politisch Verantwortlichen Impulse setzen.
- E&W: Welche Folgen hat das für die beteiligten Frauen, aber auch für die Männer?
Weusthoff: Ich würde es lieber umgekehrt beantworten: Was entgeht ihnen? Wenn sich nämlich beide unbezahlte Sorgearbeit und bezahlte Erwerbsarbeit teilen, dann fördert das die finanzielle Stabilität der Familien. Damit ist die Erwerbsarbeit beider Eltern letztlich auch eine der besten Präventionen gegen Kinderarmut. Frauen, die wirtschaftlich eigenständig sind, können ihr Leben zudem freier gestalten und sich im Zweifel besser aus unguten Beziehungen lösen. Und für Männer ist die gleichberechtigte Aufteilung ebenfalls ein Vorteil, weil sie erstens nicht allein die finanzielle Verantwortung für den Lebensunterhalt der Familie tragen und zweitens das Familienleben mit allen Freuden und allen Pflichten im gleichen Maße wahrnehmen wie ihre Partnerin.
- E&W: Auf der Website Ihres Bündnisses heißt es, dass unbezahlte Sorge- und Hausarbeit „wichtige gesellschaftliche Pfeiler und von volkswirtschaftlicher Relevanz“ seien. Wie kommt es, dass sie dennoch kaum honoriert werden und selten Wertschätzung und Anerkennung erfahren?
Weusthoff: Weil unsere Gesellschaft den Fokus auf die bezahlte Erwerbsarbeit richtet. Die ist ja zweifelsohne auch ein wichtiger Pfeiler, sie wäre aber ohne die dahinterliegende unbezahlte Sorgearbeit nicht möglich. Wir leben in gesellschaftlichen Strukturen, in denen Letztere leider unsichtbar geworden ist. Unser Bündnis hat sich zum Ziel gesetzt, das hervorzuheben und immer wieder deutlich zu machen: Das eine, die bezahlte Erwerbstätigkeit, ist ohne das andere, die unbezahlte Sorgearbeit, unmöglich.
- E&W: Was müsste denn geschehen, damit die Sorgearbeit tatsächlich gleichberechtigt verteilt wäre?
Weusthoff: Aus unserer Sicht muss der Staat die richtigen Anreize setzen. Wir brauchen ausreichend Angebote, die Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen dort, wo es sinnvoll ist, in professionelle Hände zu geben. Darüber hinaus fordern wir staatliche Zuschüsse für haushaltsnahe Dienstleistungen, das würde viele Familien enorm entlasten. Die faire Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit ließe sich außerdem fördern, wenn endlich die Steuerklasse 5 abgeschafft würde. Um Väter so früh wie möglich in die Kinderbetreuung einzubeziehen, fordern wir eine zehntägige bezahlte Freistellung für zweite Elternteile nach der Geburt eines Kindes.
Zusätzlich sprechen wir uns für die paritätische Aufteilung der Elterngeldmonate als neues Leitbild aus. Ebenso brauchen wir bezahlte Freistellungen für die Pflege von Angehörigen, damit Pflegetätigkeiten ohne größere finanzielle Verluste auf mehr Schultern verteilt werden können. Und nicht zuletzt sind natürlich auch die Arbeitgeber in der Pflicht, geschlechtergerechte Arbeitszeitmodelle zu gestalten, die Sorgearbeit ermöglichen.
Das zivilgesellschaftliche Bündnis „Sorgearbeit fair teilen“ setzt sich für die geschlechtergerechte Verteilung unbezahlter Sorgearbeit im Lebensverlauf ein. Seine 32 Mitgliedsverbände haben sich zum Ziel gesetzt, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft für den Gender Care Gap und seine Auswirkungen zu sensibilisieren und sich für die Schließung der Sorgelücke einzusetzen. Der Deutsche Frauenrat ist Trägerorganisation des Bündnisses, der DGB Gründungsmitglied.