Zum Inhalt springen

Beispiele aus der Praxis

Teamstärke durch Beteiligung

Beispiele aus zwei Kitas zeigen: Partizipation der Beschäftigten ist wichtig. Wenn alle ihre Ideen einbringen und mitbestimmen können, verbessert das nicht nur die Atmosphäre. Und: Stress schadet der Zusammenarbeit.

In der Kita Hanau-Steinheim / Foto: Christoph Boeckheler

Im Büro der Evangelischen Kita in Hanau-Steinheim pinnt neben dem Dienstplan ein Foto mit einem knallroten Stoppschild. Daneben, feinsäuberlich in Folie laminiert, zwei weiße Zettel mit der Aufschrift „Was tut mir gut?“ und einem großen „N E I N“ mit Ausrufezeichen. „Ein Ergebnis unserer Fortbildung im vergangenen Herbst“, sagt Kita-Leiterin Ulrike Felbinger. In dem Workshop hat das Team geübt, mit Stress umzugehen. Atemübungen wurden trainiert, es sei im Turnraum auf dem Bauch herumgerollt „und sehr viel gelacht“ worden. Die Pädagogin ist überzeugt: „Das hat uns als Team richtig gut getan. So einen Tag haben wir uns mal verdient.“ Doch Felbinger weiß auch, dass es damit allein nicht getan ist. Es gilt, im Alltag die Voraussetzungen für gute Teamarbeit zu schaffen. Aber wie gelingt so etwas? Wichtig sei Wertschätzung, sagt die Kita-Leiterin. Und Partizipation.

Felbinger geht die Probleme professionell an. Sie hat Fortbildungen dazu belegt, sich in der Supervision damit beschäftigt – und immer wieder ihre Kolleginnen gefragt: „Was brauchen nicht nur die Kinder, sondern was braucht auch ihr?“ Ein wichtiges Fazit: „Genug Personal.“ Stress schade der Zusammenarbeit, sagt die Leiterin. In stressigen Situationen nehme man Kritik leichter persönlich oder reagiere ungerecht, etwa wenn sich eine Kollegin schon wieder krank meldet. Und: Die Arbeit dürfe nicht nur eng getaktet sein. Es brauche auch Zeit, um am Nachmittag zwischendurch mal einen Espresso zusammen zu trinken.

„So viel Eigenverantwortung wie möglich, so viel Führung wie nötig.“ (Ulrike Felbinger)

In der AWO-Kita Hanna Lucas in Wedel bei Hamburg kann sich in der Kernzeit von acht bis 16 Uhr kaum jemand „einen Schnack zwischendurch“ erlauben. „Das ist bitter“, sagt Kita-Leiterin Andrea Rump. In der Einrichtung ist eine Fachkraft rechnerisch für fünf Krippenkinder zuständig, im Kindergarten für 8,6 Mädchen und Jungen, unter ihnen sogenannte Integrationskinder. Der Personalschlüssel ist allerdings nur ein theoretischer Wert; er berücksichtigt weder Ausfälle durch Krankheit oder Urlaub noch Zeit für Teamsitzungen, Elterngespräche oder Vorbereitungen. Fest steht: Das gesamte Jahr über gebe es keine Ruhephasen mehr, berichtet Rump, nicht mal in den Sommerferien. Umso wichtiger sei Transparenz bei der Arbeit. Und ein guter Informationsfluss. „Wir müssen immer wieder miteinander sprechen.“ Allerdings stellte sich heraus, dass sich so etwas in einem großen Team von bis zu 28 Menschen mitunter schwierig gestaltet: „Potenziale blieben unentdeckt. Probleme wurden zu spät erkannt.“ In Diskussionen meldeten sich nicht alle zu Wort.

Deshalb teilt die Kita ihr Team jetzt in drei Gruppen, zu je acht oder neun Kolleginnen und Kollegen. Ziel ist, näher an die Menschen heranzukommen. „Aber wir wollten auch nicht drei kleine Einrichtungen unter einem Dach“, sagt Rump, „deshalb haben wir ein verzwicktes System entwickelt.“ Jede Woche gibt es Dienstbesprechungen in großer oder kleiner Runde im Wechsel, zusätzlich Arbeitsgruppen, in denen Erzieherinnen und Erzieher aus allen Teams zusammenkommen. So soll sichergestellt werden, dass alle Kolleginnen und Kollegen ihre Ideen einbringen können. Partizipation sei im Haus zentrales Thema, betont die Leiterin und fügt hinzu: „Das erfordert aber auch die Bereitschaft von allen, sich immer wieder neu auf Prozesse einzulassen.“ Als zum Beispiel innerhalb kurzer Zeit fünf Kolleginnen schwanger wurden, kamen auf einen Schlag viele neue hinzu, mit ihren eigenen Vorstellungen – und wirbelten alles durcheinander.

Auch in der Hanauer Kita legt die Leiterin großen Wert darauf, dass sich alle Erzieherinnen einbringen. Ihr Motto: „So viel Eigenverantwortung wie möglich, so viel Führung wie nötig.“ Als Felbinger die Leitung vor rund zehn Jahren übernahm, habe in der Einrichtung eine andere Atmosphäre geherrscht. Damals waren fünf Erzieherinnen für 50 Kinder zuständig. „Alles war viel autoritärer.“ Die neue Leiterin hat die Strukturen gelockert und aus der Kita einen Ausbildungsbetrieb gemacht. Jetzt gehören zum Team zwölf Pädagoginnen, die meisten in Teilzeit, plus eine Kollegin im Freiwilligen Sozialen Jahr sowie eine Praktikantin und eine Sozialassistentin. Rechnerisch kommen auf eine Vollzeitkraft im Schnitt 3,8 Kinder in der Krippe und 7,3 Mädchen und Jungen im Kindergarten.

Die Erzieherinnen bestimmen selbst, ob sie mit den Kindern durch den Wald stapfen oder an einer Trickfilmbox tüfteln und besuchen entsprechende Fortbildungen. „Jede kann ihre Talente einbringen“, erklärt Felbinger, „das tut dem Team gut.“ Sind Aufgaben zu verteilen, etwa für die Adventsfeier, hängen zwei Erzieherinnen eine To-do-Liste aus: Lieder einüben, Plakate malen, Plätzchen backen oder Kostüme aussuchen? Jede Kollegin trägt sich für das ein, was ihr am meisten Spaß macht.

„Ich halte mich aus der Dienstplangestaltung völlig raus. Das machen die Teams ganz alleine.“ (Andrea Rump)

Auch Konflikte lassen sich durch Partizipation reduzieren. Oder werden zumindest sichtbar. Die Wedeler Kita-Leiterin Rump sagt: „Ich halte mich aus der Dienstplangestaltung völlig raus. Das machen die Teams ganz alleine.“ Beim Geld setzt die Einrichtung ebenfalls auf Mitbestimmung. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen zu einem fixen Datum schriftlich beantragen, welchen Jahresbetrag sie benötigen, etwa fürs Kunstatelier, das Außengelände oder die Busfahrkarten für einen Ausflug. Ein Finanzausschuss entscheidet, wie der Etat verteilt wird. Jede und jeder kann teilnehmen. „So wird transparent, wer wie viel Geld bekommt“, sagt die Leiterin. „Keiner fühlt sich benachteiligt.“ Manchmal gibt es einen Kompromiss. Eine Erzieherin bekam zum Beispiel kein Geld für Literatur bewilligt, dafür aber das Versprechen, dass sich die Kita zum Jubiläum Büchergutscheine wünscht. Für die Kollegin ein guter Deal. „Wir streben eher einen Konsens als eine Mehrheitsentscheidung an“, sagt Rump.

In Hanau fühlt sich Erzieherin Katharina Oster rundum wohl. In der Kita werde sehr darauf geachtet, was allen guttue, sagt die 23-Jährige. Als Beispiel zeigt sie auf einen silbernen Metallwagen. Die alten Holzwagen seien so schwer zu schieben gewesen, berichtet Oster. Als sie das Problem auf einer Teamsitzung angesprochen habe, seien prompt neue Wagen bestellt worden. Kita-Leiterin Felbinger betont: „So etwas ist auch ein Zeichen der Wertschätzung.“ Deshalb ist ihr auch wichtig, dass es in jedem Raum einen ordentlichen Stuhl für die Erzieherinnen gibt. Und die Decken im Gebäude mit Schallschutzplatten verkleidet sind. „Auch Lärm ist ein Stressfaktor“, erklärt Felbinger. Als nächstes ist geplant, für die Gruppenräume sogenannte Lärmampeln anzuschaffen, die ab einer bestimmten Lautstärke rot aufleuchten.

Zur guten Atmosphäre im Team tragen auch gemeinsame Restaurantbesuche, Weihnachtsfeiern und Ausflüge bei. Und sicher auch die Portfolios. Ähnlich wie für die Kinder heften die Erzieherinnen für ihre Kolleginnen kleine Texte und Fotos ab. Felbinger blättert durch die Seiten, Bilder zeigen sie mit buntem Blumenstrauß am Geburtstag oder mit Kindern bei der Theateraufführung von „Hänsel und Gretel“. An einer Stelle schreibt eine Kollegin: „Ich bin froh, dass du da bist.“ Die Leiterin lächelt: „Wenn ich das lese, wird mir immer ganz warm im Bauch.“