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Tarifrunde TVöD 2020

Die Ungeheuerlichkeit von Dresden

Hunderte Kolleginnen und Kollegen der Kitas in Dresden haben mit einem Warnstreik für 4,8 Prozent mehr Lohn und die 39-Stunden-Woche gekämpft. Der Unmut ist groß: Das Rathaus hatte kurz zuvor die Sockelarbeitszeit auf 32 Stunden gesenkt.

Nieselregen, Mundschutz und dunkle Wolken konnten der Kampflust der Kolleginnen und Kollegen in Dresden nichts anhaben: Am Freitagmorgen versammelten sich mehr als 900 Erzieherinnen und Erzieher, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen mit reichlich Abstand auf dem Neumarkt vor der Dresdner Frauenkirche.

Insgesamt beteiligten sich an dem ganztägigen Warnstreik sogar mehr als 1200 der etwa 3700 Beschäftigten des städtischen Kita-Eigenbetriebs. 64 der rund 180 kommunalen Kitas und Horte blieben komplett geschlossen, in mehr als 80 Einrichtungen gab es nur eine Notbetreuung.

„Klatschen allein reicht nicht: Jetzt muss gehandelt werden.“ (Uschi Kruse)

Aufgerufen zum Warnstreik hatte die GEW Sachsen, um der bundesweiten Tarifforderung nach einem Lohnplus von 4,8 Prozent mehr Nachdruck zu verleihen. Zudem erwartet die Bildungsgewerkschaft die Angleichung der Wochenarbeitszeit im Osten von 40 auf 39 Stunden, wie im Tarifgebiet West. „Klatschen allein reicht nicht: Jetzt muss gehandelt werden“, rief GEW-Landeschefin Uschi Kruse vor der Frauenkirche. „Die Arbeitgeber wollten in diesem Jahr verhandeln – nun müssen sie auch ein angemessenes Angebot vorlegen.“ Gerade unter Corona-Bedingungen sei die Verantwortung und die Belastung deutlich gestiegen. „Jetzt ist es an der Zeit, dass die Arbeitgeber dies honorieren“, so Kruse.

Lohneinbußen von mehreren hundert Euro

Für die hohe Streikbeteiligung hatte nicht zuletzt die Ankündigung der Stadt Dresden gesorgt, den flexiblen Beschäftigungsumfang der Erzieherinnen und Erzieher kurzfristig zum 19. Oktober auf einen Sockelbetrag von 32 Stunden herabzusetzen. „Die Art und Weise, wie die Kürzung umgesetzt werden soll, ist sehr, sehr bitter“, sagt Olaf Bogdan, GEW-Personalrat beim städtischen Eigenbetrieb. „Angesichts der laufenden Tarifrunde, des schwierigen Corona-Schutzes und des Mangels an Erzieherinnen und Erziehern ist dieses Vorgehen eine Ungeheuerlichkeit“, betonte Uschi Kruse. Das Vorgehen führe bei vielen Beschäftigten des Dresdner Eigenbetriebes jeden Monat zu Lohneinbußen von mehreren hundert Euro.

Sorgen wegen abgesenkter Stunden

Betroffen davon ist zum Beispiel Andreas Grüner vom Kinderhaus am Jägerpark in Dresden-Neustadt. Der Heilerziehungspfleger kümmert sich in der Integrationseinrichtung mit einem 36-Stunden-Vertrag um Kinder in erschwerten Lebenslagen, seine Frau ist stellvertretende Kita-Leiterin. „Als Familie würde uns künftig ein erheblicher Teil des Einkommens fehlen, wenn wir beide auf nur noch 32 Stunden abgesenkt würden“, sagt Andreas Grüner. Unter den Beschäftigten und in der Elternschaft herrsche zudem große Verunsicherung, wie die Kinderbetreuung künftig weiterlaufen solle.

Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes fordern 4,8 Prozent, mindestens jedoch 150 Euro mehr Gehalt. Zudem erwarten sie, dass die wöchentliche Arbeitszeit für die Angestellten in den östlichen Bundesländern auf 39 Stunden gesenkt und damit an das Westniveau angeglichen wird. Die Forderung bezieht sich auf eine Laufzeit des Tarifvertrags von einem Jahr.

Die dritte Verhandlungsrunde ist für den 22./23. Oktober in Potsdam geplant.

In der Tarifrunde 2020 für den öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen geht es um Gehaltserhöhungen für rund 2,3 Millionen Beschäftigte. Ver.di hat gegenüber den Arbeitgebern von Bund und Kommunen die Verhandlungsführerschaft für die DGB-Gewerkschaften GEW, GdP und IG BAU.

„Das Engagement wird jetzt mit Füßen getreten.“ (Andreas Grüner)

Andreas Grüner hat mit vier Kollegen an der Kundgebung am Neumarkt teilgenommen. Nur eine Handvoll hielt in der Integrations-Kita, die sonst 80 Kinder betreut, einen Notbetrieb aufrecht. „Wir haben uns gerade in der schweren Corona-Zeit mit Betreuungsideen für betroffenen Familie regelrecht überschlagen – aber das Engagement wird jetzt mit Füßen getreten“, sagt er. Gerade die elementare Bildung von Kindern brauche nachhaltige, stabile Bedingungen für das Personal. „Dazu zählen ordentliche und verlässliche Tarifbedingungen“, sagt Grüner.

Arbeitsvertrag stammt noch aus DDR-Zeiten

Anette Krieg stand am Freitagvormittag mit fast 20 Kolleginnen und Kollegen auf dem Neumarkt – der Großteil der Belegschaft eines Kindergartens in der Dresdner Hauptstraße. Die 63-Jährige kämpft zurzeit besonders für die Reduzierung der Arbeitszeit auf eine 39-Stunden-Woche. Sie arbeitet seit 1977 in ihrem Beruf und hat noch einen Arbeitsvertrag aus DDR-Zeiten. Seit 30 Jahren aber wartet sie vergeblich auf die Ost-West-Angleichung. „Durch diese Tarif-Ungerechtigkeiten habe ich in meinem Leben viele Wochen mehr gearbeitet als die Kollegen im Westen Deutschlands“, sagt Anette Krieg. „Es ist überfällig, dass die Einheit auch bei der Arbeitszeit endlich ankommt.“ Sie liebe ihren Beruf und würde gern über das Renteneintrittsalter hinaus weiterarbeiten. „Aber die besonderen Leistungen gerade in der Corona-Zeit müssen mit dieser Tarifrunde auch honoriert werden“, sagt Anette Krieg.

Das eigentliche Ziel der Tarifforderungen sei eine generelle Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe, damit diese auch in Zukunft für junge Leute attraktiv sind. Von der Absenkung der Arbeitszeit auf 32 Stunden ist die Erzieherin dank ihres älteren Arbeitsvertrags zwar nicht direkt betroffen. „Aber es ist wichtig“, sagt sie, „dass wir Solidarität zu zeigen!“