Zwischen tarifvertraglich vereinbarter und tatsächlich geleisteter Wochenarbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten klafft weiter eine große Lücke. Zwar liegt die durchschnittliche tarifvertragliche Arbeitszeit in Deutschland bei 37,7 Stunden pro Woche, wie aus einer aktuellen Auswertung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hervorgeht. Die tatsächlich geleistete Wochenarbeitszeit summierte sich nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) im Jahr 2016 jedoch auf 43,5 Stunden.
Diese große Diskrepanz hat nach Ansicht des WSI-Tarifexperten Thorsten Schulten mehrere Gründe: "Zum einen haben nicht-tarifgebundene Arbeitnehmer in vielen Fällen längere Arbeitszeiten als Beschäftigte mit Tarifvertrag." Darüber hinaus bieten auch die Tarifverträge viele Flexibilisierungs- und Ausnahmeregelungen. Außerdem wurden laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im vergangenen Jahr 820 Millionen bezahlte und weitere 941 Millionen unbezahlte Überstunden geleistet.
GEW fordert kurze Vollzeit für alle
Der WSI-Auswertung zufolge sind die tariflichen Wochenarbeitszeiten in Ostdeutschland mit 38,7 Stunden im Durchschnitt noch etwa eine Stunde länger als in Westdeutschland (37,6 Stunden). Etwas mehr als ein Fünftel aller Tarifbeschäftigten (21,2 Prozent) hat eine vereinbarte Wochenarbeitszeit von 35 Stunden und weniger. Nach wie vor 40 Stunden und mehr sind bei 13,5 Prozent aller Tarifbeschäftigten vereinbart. Während dies in Westdeutschland nur noch für 8,3 Prozent gilt, haben in Ostdeutschland noch 40,2 Prozent aller Tarifbeschäftigten eine 40-Stunden-Woche.
Die Frauen in der GEW fordern unterdessen eine kurze Vollzeit für alle. "30 bis 32 Stunden pro Woche sollten ausreichen, um den Lebensunterhalt zu sichern", sagt GEW-Vorstandsmitglied Frauke Gützkow. Auf dieser Basis könnten Arbeitszeiten je nach Lebenslage und persönlichen Bedürfnissen phasenweise kürzer oder länger ausfallen. "Wir fordern eine Zeitpolitik, die sich am Lebensverlauf orientiert und die Zeitsouveränität der Beschäftigten ins Zentrum rückt." Die Arbeitszeitkultur in den Betrieben müsse sich ändern und kollektivrechtlich abgesichert werden.