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Tätigkeiten neu bewerten − denn: Grundschullehrerinnen verdienen mehr!

Hohe Anforderungen, Professionalität und eine akademische Ausbildung: Warum Tätigkeiten an Grundschulen gleichwertig sind und entsprechend entlohnt werden müssen, erläutert Arbeitswissenschaftlerin Andrea Jochmann-Döll.

Hartnäckig hält sich die Einschätzung, dass die Leistungen von Lehrkräften an Grundschulen nicht so gut bezahlt werden müssen wie die Leistungen von Gymniasiallehrer_innen – woran liegt das?

Andrea Jochmann-Döll: Tatsache ist, dass in der Bewertung der Tätigkeiten von Lehrkräften viele Anforderungen und Aufgaben nicht vorkommen, die von Grundschullehrer_innen tagtäglich geleistet werden. Dazu gehören pädagogische und didaktische Kompetenzen. Insbesondere bei kleinen Kindern steht der Erziehungsauftrag im Vordergrund, dieser wird bislang jedoch nicht als Anforderung bewertet und ist somit für die Vergütung nicht relevant.

Hinzu kommt, dass die psycho-sozialen Belastungen an Grundschulen besonders groß sind. Grundschullehrer_innen müssen sich zum Beispiel intensiv mit den Problemen der Kinder und ihrer Familien auseinandersetzen. Leider werden diese Anforderungen und Belastungen immer noch unterbewertet. Erziehungsarbeit scheint weniger wert als Wissensvermittlung. Das kann nicht sein! Die Verantwortung für die Entwicklung eines Menschen ist in der Grundschule besonders groß, hier wird der Grundstein für Leben und Lernen gelegt. Es wird Zeit, dass diese enorme Verantwortung als berufliche Anforderung anerkannt und entsprechend vergütet wird.

An Grundschulen arbeiten überwiegend Frauen als Lehrerinnen. Was sagt das aus über Rollenvorstellungen und Bewertungen von männlich und weiblich konnotierten Tätigkeiten?

Andrea Jochmann-Döll: Das sagt sehr viel über geschlechtsbezogene Rollen aus. Reproduktions- und Carearbeit wird in einer patriarchalen Gesellschaftsordnung Frauen zugeschrieben. Anders gesagt: Die Erziehung von Kindern ist in der traditionellen Arbeitsteilung immer noch Frauensache. Sie leisten „kostenlose“ Familienarbeit und das setzt sich im Beruf fort. Die vorhandene Professionalität wird außer Acht gelassen, die Tätigkeit niedrig bezahlt. Das gilt nicht nur für den Grundschulbereich, sondern betrifft alle so genannten frauentypischen Berufe insbesondere im Bereich Pflege und Erziehung.

Bei den Lehrkräften an Grundschulen äußert sich die Abwertung der weiblich dominierten Tätigkeit jedoch besonders deutlich: In der Besoldungsordnung wird in erster Linie der Abschluss bewertet. Somit müssten Grundschullehrkräfte mit ihrem akademischen Abschluss und mit gleichwertigen Studienanforderungen wie ihre Kolleg_innen in der Sekunderastufe II eingruppiert werden. Absurderweise führt die ungleiche Bewertung der Tätigkeiten dazu, dass die Universitätsausbildung der Grundschullehrer_innen im Nachhinein abgewertet wird. Damit sind Lehrkräfte an Grundschulen die einzige akademische Profession, die nur im gehobenen und nicht im höheren Dienst eingruppiert ist.

Was kann die Arbeitswissenschaft zu einer gerechteren Arbeitsbewertung beitragen?

Andrea Jochmann-Döll: Es gibt vielfältige arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zur diskriminierungsfreien Arbeitsbewertung und Eingruppierung. Bislang entsprechen die Regelungen im öffentlichen Dienst diesen Anforderungen leider nicht. Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht ist es wichtig, die Palette der Anforderungsmerkmale zu erweitern und alle Anforderungen mit in die Bewertung einzubeziehen, die die Tätigkeiten stellen.

Zurzeit begünstigen Bewertungsverfahren eher männlich dominierte Tätigkeiten und die Besoldung bzw. Vergütung richtet sich überwiegend nach dem Qualifikationsabschluss.

Ein geschlechtsneutrales Verfahren der Arbeitsbewertung würde alle Anforderungen und Belastungen berücksichtigen und dadurch diskriminierungsfrei bewerten. Dies würde auch zu einer höheren und geschlechtergerechteren Wertschätzung der Lehrtätigkeit an Grundschulen führen.

Welche Schritte sind der Praxis wichtig?

Andrea Jochmann-Döll: Es ist wichtig, die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. Eine wichtige Forderung ist „A13 für alle“, denn Wertschätzung muss sich in der Bezahlung niederschlagen.

Ein nächster Schritt ist die Anwendung diskriminierungsfreier Arbeitsbewertungsverfahren, um mit ihnen zu belegen, dass die jetzige Eingruppierung bzw. Besoldung nicht haltbar ist und Frauen mittelbar diskriminiert – wie es auch schon rechtliche Gutachten zeigen.

Eine breit aufgestellte Studie, die die genauen Leistungen von Grundschullehrkräften untersucht, kann dazu eine gute Argumentationsgrundlage bieten. Analysen in der Vergangenheit haben bereits gezeigt: Es gibt keinen nennenswerten Unterschiede bei den intellektuellen Anforderungen an Lehrkräfte in der Grundschule und der Sekundarstufe II.

Ich möchte den Lehrer_innen an den Grundschulen Mut machen, ihre eigenen Leistungen wahrzunehmen und wertzuschätzen. Sie leisten professionelle Arbeit, in der Fachwissen gefragt ist. Das muss endlich entsprechend vergütet und der Grundsatz gleiches Geld für gleichwertige Arbeit umgesetzt werden.

Das Interview führte Britta Jagusch.

 

Zur Person: Dr. Andrea Jochmann-Döll ist Arbeitswissenschaftlerin und Gründerin des Instituts GEFA Forschung + Beratung (Gender-Entgelt-Führung-Arbeit). http://www.gefa-forschung-beratung.com/