Hochschulen am Limit
Studieren am Limit
Steigende Mieten, wenig bezahlbarer Wohnraum, stark gestiegene Lebensmittelpreise, eine nicht ausreichende Studienfinanzierung – viele Studierende stehen massiv unter Druck. Wie ist die Lage, und was muss die neue Regierung tun?
Über 100 Anzeigen für bezahlbare WG-Zimmer hat Ariane durchforstet, unzählige Anfragen verschickt – doch keine einzige Besichtigung. „Die Wohnungslage in Münster ist absolut katastrophal“, sagt die 30-Jährige, die vor kurzem ihren Bachelor in Landschaftsökologie abgeschlossen hat. Gerade einmal fünf Antworten hat sie erhalten – alle verbunden mit der Erklärung, dass die Zimmer an Studierende vergeben würden, die sonst gar keine Unterkunft hätten. „Damit konnte ich leben“, sagt Ariane. „Immerhin hatte ich ja ein Dach über dem Kopf.“ Doch unter diesem Dach gibt es eine kaputte Heizung, feuchte Wände und Schimmel – und das für 411 Euro im Monat.
Sie habe unbedingt ausziehen und keinen dritten Winter ohne Heizung verbringen wollen. Doch die Suche blieb erfolglos. Viele Wohnungen im nordrhein-westfälischen Münster seien für sie unbezahlbar, sagt sie. „Hier gibt es viele reiche Studierende, die auch 700 Euro warm für ein 16-Quadratmeter-Zimmer zahlen.“ Ariane gehört nicht dazu, sondern zu dem Teil der Studierenden, für die es immer schwieriger wird, sich ein Studium überhaupt leisten zu können. Laut Statistischem Bundesamt verfügte 2023 die Hälfte der Studierenden über weniger als 867 Euro pro Monat.
489 Euro für ein WG-Zimmer
Im Schnitt 489 Euro pro Monat kostet in Deutschland ein WG-Zimmer auf dem freien Wohnungsmarkt. Das ergab das „Hochschulstädtescoring 2024“ des Moses Mendelssohn Instituts in Kooperation mit der Vermittlungsplattform wg-gesucht.de. Das Institut untersucht jedes Jahr die Wohnkosten in Hochschulstädten mit mindestens 5.000 Studierenden. Rund 90 Prozent aller Studentinnen und Studenten sind in diesen Städten eingeschrieben. Die Unterschiede sind teils beträchtlich: Der mittlere Preis für ein WG-Zimmer liegt zum Beispiel in München bei 790 und in Jena bei 328 Euro.
Die 21-jährige Türkan studiert in Köln Geografie und Philosophie auf Lehramt und zahlt 450 Euro für ihr Zimmer. Allerdings muss sie dafür vom Umland nach Köln pendeln. „Das war meine Notlösung“, sagt sie. „Ich habe in Köln drei Monate gesucht und nichts gefunden.“ Die dörfliche Ruhe gefalle ihr zwar, „aber wenn man studiert, isoliert das schon sehr“. Keine spontanen Treffen mit anderen Studierenden und nur kurze Verabredungen am Abend. „Wenn man auf die Bahn angewiesen ist, muss man immer früher als die anderen weg“, sagt sie, „und hat die ganze Zeit Angst, dass die Bahn vielleicht nicht fährt.“ Sie probiere immer wieder, ein Zimmer in der Stadt zu finden, doch gebe jedes Mal frustriert auf: „Unter 600 oder 700 Euro findet man nichts Vernünftiges.“
„Gerade bei studentischem Wohnraum liegen die Quadratmeterpreise noch höher als sonst, weil er häufig neu vermietet wird.“ (Jonathan Dreusch)
„Wenn wir auf die sozialen Grundbedürfnisse von Studierenden schauen, dann ist bezahlbarer Wohnraum die Top-Eins-Problematik“, sagt Jonathan Dreusch, politischer Geschäftsführer beim studentischen Dachverband „freier zusammenschluss von student*innenschaften“ (fzs). „In immer mehr Hochschulstädten steigen die Mietpreise rapide an“, sagt er. „Gerade bei studentischem Wohnraum liegen die Quadratmeterpreise noch höher als sonst, weil er häufig neu vermietet wird.“ Außerdem würden WG-Zimmer oft teurer vermietet als vergleichbare ganze Wohnungen. „Günstige Wohnheimplätze fehlen an allen Ecken und Enden.„“
Riesenlücke
Über 30.000 Studierende warten momentan auf einen Wohnheimplatz der Studierendenwerke, rund 11.000 allein in München. Insgesamt 195.000 Plätze gibt es deutschlandweit, im Schnitt kosten sie 305 Euro pro Monat. Doch nur 10 Prozent der Studierenden können von den günstigen Zimmern profitieren. „Es ist eine Riesenlücke entstanden“, sagt Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerkes (DSW). „Seit 2007 sind die öffentlich finanzierten Studienplätze um 50 Prozent angestiegen, die öffentlich finanzierten Wohnheimplätze aber nur um 7 Prozent.“
Deshalb fordert das DSW mehr Unterstützung vom Bund. Erste Schritte macht seit 2023 das Bund-Länder-Programm „Junges Wohnen“. Der Bund finanziert damit jährlich mit 500 Millionen Euro die Sanierung und den Neubau von Wohnheimplätzen für Studierende und Auszubildende. Allerdings nur bis 2026. Das DSW plädiert dafür, das Programm mit mehr Geld zu verstetigen. „Man braucht einen langen Atem, um die Lücke zu schließen“, so Anbuhl. 15.000 Plätze wurden in den letzten zwei Jahren mit Mitteln aus dem Programm bewilligt. „Es dauert eine Zeit, bis so etwas geplant ist und umgesetzt wird: Man muss ein Grundstück finden, dann gibt es eine Ausschreibung und so weiter.“
Um die hohen Mieten für Studierende etwas abzufedern, müsse außerdem die BAföG-Wohnkostenpauschale von gerade mal 380 Euro an die Realität angepasst werden, so Anbuhl. 75 Prozent der Studierenden, stellte das „Hochschulstädtescoring 2024“ fest, leben in einer Stadt, in der sie kein WG-Zimmer unterhalb dieser Pauschale finden.
Entwicklung des BAföG hinkt hinterher
Doch es ist nicht nur die Wohnkostenpauschale des BAföG, die den realen Lebenshaltungskosten hinterherhinkt – trotz der letzten Erhöhung durch die Ampelkoalition. „In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden die Bedarfssätze und Freibeträge nicht automatisch an die Entwicklung der Preise und Einkommen angepasst“, sagt Anbuhl. Bei anderen staatlichen Leistungen wie den Renten oder dem Wohngeld seien regelmäßige Anpassungen aber Standard. „Die für den Elternunterhalt maßgebliche Düsseldorfer Tabelle gibt als Orientierungswert für junge Menschen in Ausbildung 990 Euro im Monat vor, das BAföG hinkt mit 885 Euro Förderung im Monat stark hinterher.“
Weiteres Problem: Lediglich etwas mehr als 12 Prozent der Studierenden erhielten 2023 BAföG. Statistiken zeigen aber, dass ein Drittel der Studierenden von Armut bedroht und eigentlich auf staatliche Studienförderung angewiesen ist. Der Grund dafür, so Anbuhl vom DSW, liege darin, dass die Freibeträge der Eltern nicht mit der Einkommensentwicklung erhöht worden seien. „Viele bekommen kein BAföG, obwohl die Eltern wenig Geld haben.“
„Gerade Leute aus armen Familien möchten keine Schulden aufnehmen. Also beantragen sie die Unterstützung nicht oder studieren erst gar nicht.“
Auch Dreusch hält die BAföG-Sätze für die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten für nicht ausreichend. „Die Wohnkostenpauschale muss ortsangepasst vergeben werden“, sagt er, „und generell brauchen wir eine monatliche Förderung zwischen 1.200 und 1.500 Euro.“ Wobei Personen in teuren Städten wie München den Höchstsatz bekommen müssten. Der fzs findet außerdem problematisch, dass das BAföG nach wie vor zur Hälfte als Darlehen ausgezahlt wird und nach dem Studium zurückgezahlt werden muss.
Das schrecke diejenigen ab, die es am dringendsten bräuchten. „Gerade Leute aus armen Familien möchten keine Schulden aufnehmen“, so Dreusch. „Also beantragen sie die Unterstützung nicht oder studieren erst gar nicht.“ Der fzs plädiert daher für ein BAföG als Vollzuschuss.
„Ich konnte keine Rücklagen bilden.“ (Ariane)
Ariane, die in Münster Landschaftsökologie studiert hat, weiß, wie schwierig es mit dem BAföG ist. Da sie erst spät mit dem Studium begann, beantragte sie elternunabhängiges BAföG. „Das war sehr aufwendig“, sagt sie und erinnert sich an unzählige Schreiben und Belege, die sie habe liefern müssen. „Danach hat es noch lange gedauert, bis das Geld kam. Zum Glück hatte ich einen kleinen Job und Gespartes.“
Trotz des Höchstsatzes habe sie dann dennoch zusätzlich einen Minijob gebraucht. „Und selbst damit war es finanziell oft eng.“ Die hohe Miete, Krankenkassen- und Semesterbeitrag, teure Lebensmittel. „Ich konnte keine Rücklagen bilden“, sagt sie. Mit Problemen wie diesen kämpfen immer mehr Studierende – vor allem diejenigen, die monatlich keine größere Summe von den Eltern bekommen.
Auf Nebenjob angewiesen
Auch Lehramtsstudentin Türkan stammt aus einer solchen Familie. Sie ist in der glücklichen Lage, jetzt ein Stipendium zu bekommen, von dem sie ohne zusätzlichen Job leben kann. „Das gibt mir Sicherheit und nimmt mir die Sorge, wie ich Studium und Nebenjob zusammenkriege“, sagt sie. „Und ich habe auch nicht die Last, dass ich nach dem Studium den BAföG-Kredit abbezahlen muss.“ Doch wie das BAföG ist auch das Stipendium an die Regelstudienzeit gebunden. Das macht Türkan Druck, zum Beispiel wenn wichtige Seminare überfüllt und nicht ausreichend Plätze vorhanden sind. „Dann kann man das Seminar nicht belegen“, sagt sie.
Die finanzielle und soziale Lage vieler Studierender hat sich in letzter Zeit zugespitzt. Es besteht die Gefahr, dass bald noch weniger junge Menschen aus nicht wohlhabenden Familien studieren werden. Was genau fordern Studierende und deren Interessenvertretungen? Was müsste sich schnell ändern? „Mehr und bessere Wohnheimplätze“, sagt Türkan, ohne zu zögern.
„Wir brauchen sofort Maßnahmen, damit Wohnraum nicht nur nicht teurer wird, sondern in sehr kurzer Zeit wieder billiger.“
Auch das DSW und der fzs fordern, das Thema Wohnen in den Vordergrund zu rücken. Neben dem Ausbau von „Junges Wohnen“ und einer höheren BAföG-Wohnkostenpauschale plädieren sie dafür, die Mietpreisbremse zu verlängern – für soziale Preise auf dem freien Markt. Dreusch vom fzs: „Wir brauchen sofort Maßnahmen, damit Wohnraum nicht nur nicht teurer wird, sondern in sehr kurzer Zeit wieder billiger.“
Hochschulfinanzierung überarbeiten
Das DSW und der fzs gehören einem Bündnis an, das Mitte Februar ein Eckpunktepapier für eine Reform des BAföG veröffentlicht hat, und in dem auch die GEW mitarbeitet. Darin fordern die Beteiligten, den Grundbedarf so zu erhöhen, dass es zum Leben reicht, eine höhere Wohnkostenpauschale, die Bedarfssätze und Freibeträge in Zukunft automatisch anzupassen und den Darlehensanteil zu reduzieren. „Die CDU hat in der letzten Legislatur häufig betont, dass das BAföG besser werden müsse“, sagt Dreusch. „Daran werden wir sie jetzt erinnern.“
„Der Bund muss sich wieder am Hochschulbau beteiligen.“ (Matthias Anbuhl)
Hinzu kommt der immense Sanierungsstau an den Hochschulen. Auch dieser müsse schnell angegangen werden. „Der Bund muss sich wieder am Hochschulbau beteiligen“, sagt Anbuhl vom DSW. „Die Mensen und Cafeterien sind in einem schlechten Zustand. Das muss behoben werden.“ Die gesamte Hochschulfinanzierung müsse grundlegend überarbeitet werden, fordert Dreusch vom fzs. „Die Leute studieren teilweise unter erbärmlichen Bedingungen“, sagt er.
Vor ihrem dritten Winter ohne Heizung zog Ariane zu ihrem Partner nach Bielefeld. „Das war eigentlich nicht mein Plan, weil ich wusste, dass es finanziell eine Katastrophe ist“, sagt sie. Zu dieser Zeit hatte sie ein Stipendium. Das wurde gekürzt und auch das Wohngeld fiel weg. Denn nun sollte ihr Partner zahlen. Zum Glück seien sie gut miteinander umgegangen und hätten die Zeit ihrer Abhängigkeit gut überstanden, sagt Ariane, die für diese Zeit noch einen Studienkredit aufgenommen hat – und jetzt nicht nur mit BAföG- sondern auch mit Kreditschulden ins Berufsleben startet.