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Coronapandemie und Gleichstellung

Unterschiedliche Folgen für Lohnlücke, Arbeitszeit und Sorgearbeit

Eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung macht in der Coronapandemie ambivalente Trends bei den Folgen für Männer und Frauen aus. Unterm Strich bleibt jedoch die Erkenntnis, dass sich Ungleichheitsstrukturen wohl verschärfen.

Die Coronakrise stellt erwerbstätige Frauen und Männer zum Teil vor die gleichen Herausforderungen, teilweise sind sie aber auch unterschiedlich von den Folgen der Pandemie betroffen. (Foto: Pixabay / CC0)

Die unterschiedlichen Folgen der Coronapandemie für Frauen und Männer sind laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung möglicherweise etwas weniger eindeutig als angenommen. Die WSI-Expertinnen bilanzierten unter anderem: „Scheinbare kurzfristige Fortschritte beim Gender Pay Gap treffen auf möglicherweise dauerhafte Verschlechterungen der Arbeitszeit-Situation von erwerbstätigen Frauen. In einigen Familien verfestigt sich die traditionelle Verteilung der unbezahlten Kinderbetreuung, in anderen eröffnen sich aber auch neue Chancen für eine fairere Aufteilung.“

So gibt es der repräsentativen Studie zufolge erste Indizien dafür, dass der Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen durch die Krise etwas kleiner geworden sein könnte. Grund dafür seien jedoch nicht steigende Fraueneinkommen. Vielmehr seien in der ersten Welle der Pandemie mehr Männer als Frauen arbeitslos geworden oder in Kurzarbeit gerutscht, so dass deren Einkommen sich verringert hätten. 

Vor allem Frauen reduzierten Arbeitszeit

Zudem stellten die WSI-Expertinnen fest, dass der Rückstand von Frauen bei der durchschnittlichen Erwerbsarbeitszeit pandemiebedingt zugenommen habe, weil vor allem Mütter ihre Arbeitszeit im Job reduziert hätten, um bei geschlossenen Schulen und Kitas Kinder zu betreuen. Ein Teil dieser Arbeitszeitreduzierungen könne nach Ende der Krise möglicherweise nicht zurückgenommen werden, warnten sie. 

Während sich bei rund 75 Prozent der Familien an der Übernahme der Kinderbetreuung durch die Mütter nichts veränderte oder sich diese traditionelle Arbeitsteilung zeitweise vertiefte, gab es aber auch Potenzial in die andere Richtung: Zahlreiche Väter verbrachten im vergangenen Jahr durch kürzere Arbeitszeiten oder Homeoffice auch mehr Zeit mit Sorgearbeit.

„In der Gesamtschau spricht vieles dafür, dass sich die bereits vor der Pandemie existierenden Ungleichheitsstrukturen in der Krise verschärfen.“ (Bettina Kohlrausch)

Trotz dieser Differenzierungen betonte die wissenschaftliche Direktorin des WSI, Bettina Kohlrausch: „In der Gesamtschau spricht vieles dafür, dass sich die bereits vor der Pandemie existierenden Ungleichheitsstrukturen in der Krise verschärfen und damit auch langfristig zu einer wachsenden Ungleichheit zwischen den Geschlechtern führen könnten, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird.“

Das schlagen die Expertinnen vor

Um negative gleichstellungspolitische Folgen der Krise aufzuhalten beziehungsweise abzufedern, empfehlen die Wissenschaftlerinnen einige kurzfristige Reformen sowie langfristige Schritte, um den Gender Pay Gap, Gender Time Gap und Gender Care Gap dauerhaft zu reduzieren.

Zu den kurzfristigen Maßnahmen zählen:

  • der Ausbau und die bessere Ausstattung der institutionellen Kinderbetreuung
  • die Förderung betrieblicher Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf 
  • das Loslösen des Kurzarbeitergelds und des Arbeitslosengelds von der Steuerklasse III/V (da Frauen meist in Steuerklasse V und Männer in Steuerklasse III sind, haben Frauen oft ein geringeres Nettoeinkommen – und bekommen weniger Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld)
  • eine Aufwertung der sozialen Dienstleistungsberufe

Langfristig empfehlen die WSI-Expertinnen:

  • eine Reform des Ehegattensplittings
  • den Ausbau der Partnermonate des Elterngeldes
  • den Ausbau der 30-Stunden-Woche

GEW auch für 30-Stunden-Woche

Die GEW-Frauenpolitikexpertin Frauke Gützkow sagt: „Die Studie zeigt, dass die unbezahlte Sorgearbeit ein zentraler Aspekt der gewerkschaftlichen Zeitpolitik ist: Wenn es um Erwerbsarbeitszeit geht, muss die Lebenssituation der Beschäftigten mitgedacht werden. Auch deshalb ist die 30-Stunden-Woche für alle attraktiv statt der Aufteilung 40:20 Stunden bei Paaren, eine Person in Vollzeit, eine in Teilzeit.“

Da zu Einkommen oder Arbeitszeiten im Corona-Jahr 2020 derzeit noch keine Daten der amtlichen Statistik vorliegen, werteten die WSI-Gender-Expertinnen neben dem aktuellen internationalen Forschungsstand die Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung intensiv aus. Dafür wurden erstmalig im April 2020 mehr als 7.600 Erwerbstätige und Arbeitsuchende befragt. Weitere Umfragen richteten sich im Juni und November 2020 an dieselben Personen, so dass Trends im Zeitverlauf analysiert werden können.