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Musisch-kreative Bildung

Stille im Klassenzimmer

Lehrkräfte für kreative und musische Fächer werden überall händeringend gesucht – und der Missstand wird immer gravierender. Das zeigen beispielhaft Sachsen und Nordrhein-Westfalen (NRW).

Nicht nur der Musikunterricht fällt in vielen Schulen mangels Lehrkräften immer häufiger aus. Auch Fächer wie Kunst oder Werken werden kaum angeboten. (Foto: IMAGO/Shotshop)

Zwei Tage vor der Landtagswahl in Sachsen legte Kultusminister Christian Piwarz (CDU) eine 16-seitige Aufstellung vor, die es in sich hat. Die alten Dresdner Koalitionsfraktionen von CDU, SPD und Grünen hatten sich mit einer Landtagsanfrage nach der Lehrkräfteversorgung in den Fächern Musik und Kunst erkundigt. Die Antwort ist ein Requiem in Moll. Laut Piwarz hat sich der durchschnittliche Unterrichtsausfall in Kunst und Musik in den Grund- und Oberschulen sowie an Gymnasien seit 2019 von gut 5 auf 10 Prozent fast verdoppelt – vor allem an Oberschulen ist die Situation schwierig. Dort fällt etwa jede achte Musikstunde aus, Vertretungsstunden nicht mitgerechnet.

Und auch die Aussichten klingen nicht besser, denn jede zweite Lehrkraft in Sachsen ist älter als 50 Jahre. Allein in den nächsten fünf Jahren, so besagt es die Bedarfsprognose des amtierenden Kultusministers, würden in den drei Schularten jährlich durchschnittlich 280 neue Lehrkräfte für Musik und Kunst benötigt. Der Bedarf ist damit deutlich größer als Absolventinnen und Absolventen von den Hochschulen des Landes zu erwarten sind – obwohl der Freistaat mehr Studienplätze in Musik und Kunst sowie im Vorbereitungsdienst geschaffen hat. Die wachsenden Lücken werden längst mit immer mehr Seiteneinsteigenden gefüllt: 114 sind es laut Statistik aktuell.

„Die Personaldecke ist an allen Ecken zu kurz – dabei sind die Stundentafeln in diesen Fächern schon vor fünf Jahren gekürzt worden.“ (Claudia Maaß)

Claudia Maaß, stellvertretende GEW-Landesvorsitzende und Lehrerin für Englisch und Geschichte, kennt das Dilemma aus ihrer dreizügigen Oberschule in Leipzig. Dort bestreite ein Seiteneinsteiger das Fach Musik seit mehr als zwei Jahren komplett allein. „Bis zu seinem Lehramtsabschluss im Sommer musste der Kollege neben der Unterrichtung aller Klassenstufen seine Ausbildung berufsbegleitend absolvieren“, erzählt sie. „Das war eine riesige Herausforderung.“ An manchen Schulen etwa im Landkreis Bautzen oder in der Region Chemnitz und Zwickau gebe es derzeit gar keine Lehrkräfte für Musik oder Kunst mehr. „Die Personaldecke ist an allen Ecken zu kurz – dabei sind die Stundentafeln in diesen Fächern schon vor fünf Jahren gekürzt worden.“ Zudem nutzen Schulen Stundentafelkürzungen als probates Mittel, um Personalmangel abzufedern.

Für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen seien aber nicht nur die viel beschworenen MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), sondern auch die Kreativität in den künstlerisch-musischen Bereichen elementar. Dennoch würden die Fächer angesichts des grassierenden Lehrkräftemangels sträflich vernachlässigt. „Der Freistaat muss die Ausbildung des Nachwuchses auch in den musischen und kreativen Fächern weiter ausbauen“, fordert Maaß. „Kunst und Musik dürfen nicht zu kurz kommen.“ Exakte Aufstellungen und belastbare Zahlen über den konkreten Mangel gebe es aber nicht.

Bundesweit sind die Probleme ähnlich

Für NRW hat der Bildungsforscher Klaus Klemm in diesem Sommer im Auftrag der Telekom-Stiftung eine Analyse erstellt, die ähnlich düster klingt. Sein Befund: In den kommenden zehn Jahren scheiden in NRW Tausende Kunst- und Musiklehrkräfte altersbedingt aus dem Schuldienst aus, ohne dass es ausreichend Ersatz gibt. Derzeit seien knapp 44 Prozent derer, die Musik unterrichten, älter als 50 Jahre. Im Fach Kunst seien es fast 47 Prozent. Zugleich erwartet die Landesregierung in Düsseldorf, dass sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler bis 2030 deutlich erhöhen wird. Der Personalbedarf wird also sogar weiter steigen, lasse sich aber, so Klemm – gemessen an der Zahl der Lehramtsabsolventinnen und -absolventen der vergangenen Jahre –, nur zu 30 bis 40 Prozent decken.

In den anderen Bundesländern sind die Nachwuchsprobleme ähnlich. Bis 2035 scheide bundesweit mindestens jede dritte Lehrkraft altersbedingt aus dem Schuldienst aus, das werde auch die musischen Fächer betreffen, erwartet Klemm. Seine Forderungen an die Länder: Mehr Lehramtskandidatinnen und -kandidaten für Kunst und Musik gewinnen, eine bessere Betreuung der Studierenden sichern, um Studienabbrüche zu vermeiden, mehr qualifizierte Vorbereitungs- und Begleitprogramme für Quer- und Seiteneinsteigende entwickeln.

Bayern entschied sich indessen für einen für die Politik bequemen Weg im Kampf gegen ausfallende Stunden und Lehrkräftemangel in den kreativen und musischen Fächern: Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) hat es den Grundschulen freigestellt, den Ansatz von fünf Stunden in Kunst, Musik und Werken um eine Stunde zu kürzen. „Die Schulen entscheiden hier in Zukunft eigenverantwortlich“, so Stolz. „Je nach Schulprofil sowie Bedürfnissen und Gegebenheiten.“