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Lernen im Netz

Stift, Kleber, Schere, Tablet

Ob Raupen fotografieren oder Legofiguren in Szene setzen: Grundschulkinder können mit digitalen Medien tolle Erfahrungen sammeln. Aber für die Jüngsten braucht es eigene Konzepte.

Die GEW hat noch keine Rückmeldungen dazu, ob die Zehn-Euro-Flatrate für Schülerinnen und Schüler schon irgendwo angekommen sei. (Foto: Pixabay / CC0)

Wenn die Kinder in der 1. Klasse einen neuen Buchstaben lernen, drückt ihnen Grundschullehrerin Anke Leucht-Dobler ein Tablet in die Hand und schickt sie raus auf den Schulhof. A wie Ameise. Klick. Ast, Apfel, Auto: Je zu zweit fotografieren die Schülerinnen und Schüler alles, was sie mit dem Anfangsbuchstaben A finden können. Zurück im Klassenzimmer erstellen sie gemeinsam ein digitales Buch. „Das ist eine tolle Übung“, sagt die Lehrerin, die beim Landesmedienzentrum Baden-Württemberg für die Medienbildung in der Grundschule zuständig ist und an der Schillerschule in dem knapp zehn Kilometer südlich von Heidelberg gelegenen Walldorf unterrichtet. Natürlich, fügt sie hinzu, würden die Kinder neue Buchstaben auch weiterhin malen, ausschneiden, fühlen, kneten. „Digitale Medien sollen eine sinnvolle Ergänzung sein, kein Ersatz“, betont die Pädagogin. Wenn es um Tablets & Co. an Grundschulen geht, gibt es immer noch Skepsis. Viele Lehrkräfte und Eltern wehren erst einmal ab: „Digitale Medien an Grundschulen. Muss das sein?“

Ja, sagt Lehrerin Katja Kaden von der Rosa-Luxemburg-Schule in Potsdam. „Wir können die Kinder nicht alleine lassen in der medialen Welt.“ Schließlich gehören neue Medien längst zum Alltag der Mädchen und Jungen dazu, auch wenn in der Primarstufe die Mehrheit noch kein eigenes Handy besitzt. Allerdings macht die Pädagogin deutlich, dass an Grundschulen andere Regeln gelten. Ganz wichtig, betont Kaden, sei die Verknüpfung der realen mit der medialen Welt. Außerdem legt sie Wert darauf, dass die Kinder im Team arbeiten. Gut eignet sich ihrer Erfahrung nach, Schülerinnen und Schüler eigene Videos produzieren zu lassen. „Das fördert kooperatives Arbeiten.“

Die Kinder flitzen zum Beispiel mit einer Kamera durch die Schule und interviewen die Schulleiterin. Das Bild wackelt leicht, der Ton hallt. Klar ist: Bei den Videos zählt nicht der professionelle Anspruch, sondern die gemeinsame Aktivität. Negativ bei digitalen Medien sei die „passive Nutzerzeit“, erklärt Kaden. Davon kann in ihrer Schule keine Rede sein. Die Kinder filmen sich gegenseitig beim Plätzchenbacken, drehen Erklärvideos: Was ist ein Präteritum? Oder spielen mit Legofiguren die Geschichte von „Arthur und die Freunde der Tafelrunde“ nach, machen von jeder Szene ein Foto und fügen sie zu einem Stop-Motion-Film zusammen.

„Digitale Medien bieten eine neue Möglichkeit, die Gedanken festzuhalten.“ (Thomas Irion)

Der Erziehungswissenschaftler Thomas Irion betont ebenfalls, dass sich der Einsatz digitaler Medien an Grundschulen von der Sekundarstufe unterscheiden muss. So sei es zum Beispiel wenig sinnvoll, die Kinder eine Stunde lang im Computerraum vor den Bildschirm zu setzen. „Sie sollen gar nicht zu stark ins Medium abtauchen.“ Aktuell setze sich der Trend durch, an Grundschulen mit Tablets zu arbeiten. Die Geräte ermöglichten einen „nahtlosen Übergang“ von Realerfahrungen zur Nutzung digitaler Medien, berichtet der Direktor des Zentrums für Medienbildung an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Wichtig sei, dass sich Tablets direkt in den Unterricht einfügten, analog zu Stift, Kleber und Schere.

Digitale Medien sollten keine realen Erlebnisse ersetzen, betont Irion. So sollten Klassen weiterhin Ausflüge in den Wald unternehmen, Kastanien und Blätter sammeln, Tablets im Gepäck. Damit könnten sie Bäume fotografieren und später die Arten recherchieren. Eine besondere Möglichkeit sei, multimediale Bücher selbst zu erstellen, so der Professor. Schon in der 1. Klasse könnten Kinder kurze Texte schreiben und Videos, Tonsequenzen oder Fotos hinzufügen. Davon profitierten besonders Schülerinnen und Schüler, die sich mit der Sprache etwas schwertäten. „Digitale Medien bieten eine neue Möglichkeit, die Gedanken festzuhalten“ – und förderten Inklusion.

„Die Kinder finden es großartig und sind total motiviert.“ (Anke Leucht-Dobler)

Ob Kinder mit Tablets die Entwicklung der Raupe zum Schmetterling dokumentieren oder in Kostümen selbst ein Video zu einem Gedicht drehen, es gibt viele tolle Beispiele. „Ziel ist, dass digitale Medien in jeder Klassenstufe und in jedem Fach genutzt werden“, sagt Lehrerin Leucht-Dobler. Leider fehle vielerorts noch die technische Ausstattung. Schulen könnten Tablets ausleihen, aber dadurch werde die Hürde höher. Und viele Lehrkräfte seien ohnehin zögerlich, was den Einsatz digitaler Medien angehe. „Wir versuchen, ihnen die Schwellenangst zu nehmen“, sagt Leucht-Dobler. Zum Beispiel mit Minifortbildungen. An der Schillerschule ist mittwochs Medientag. Die Lehrkräfte können ohne Anmeldung im Mehrzweckraum vorbeischauen und in Kleingruppen den Umgang mit Tablets üben. Eine Einheit dauert 30 Minuten.

Damit hat auch die Rosa-Luxemburg-Schule gute Erfahrungen gemacht. Noch bis vor ein paar Jahren habe es an ihrer Schule das übliche Computerkabinett gegeben, berichtet Kaden, mit Schutzfolie auf der Tastatur. Die Mehrheit des Kollegiums habe der Nutzung digitaler Medien kritisch bis ablehnend gegenübergestanden. Bis die Schule gemeinsam mit der Uni Potsdam ein Konzept zur Mediennutzung entwickelte – und sich mit Geldern einer Stiftung eine Grundausstattung zulegte. „Wir haben drei Koffer bekommen“, so die Lehrerin. „Zwei Koffer voller i-Pads und einen Koffer voller Probleme.“ Ein „kleines Team von Enthusiasten“ habe sich fortgebildet – und in Minifortbildungen die Kolleginnen und Kollegen geschult. Wichtig sei dabei vor allem die Freiwilligkeit gewesen, betont Kaden. Inzwischen seien die Tablets fest im Unterricht verankert.

Wer sich darauf einlasse, meint auch Leucht-Dobler, entdecke schnell die Vorteile. So müssten Kolleginnen und Kollegen nicht mehr zum Kopierer laufen, eine Schwarz-Weiß-Folie erstellen und auf den Overheadprojektor legen, sondern brauchten nur den Visualizer anzuklicken. „Klar können sie auch im Stuhlkreis etwas der Klasse zeigen“, sagt die Lehrerin, „aber nicht mit so einer guten Sicht und nicht so smart.“ Hinzu kommt: „Die Kinder finden es großartig und sind total motiviert.“ Damit sich der Effekt nicht abnutzt, gilt es jedoch, digitale Medien mit Bedacht einzusetzen. „Nur, wenn es wirklich passt.“