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Lehrkräftefortbildung

Stiefkind der Bildungspolitik

Der ehemalige Hamburger Landesschulrat Peter Daschner hat den Stand der Lehrkräftefortbildung untersucht. Das Ergebnis: Zwischen ihrer Bedeutung und der tatsächlichen Umsetzung in den Ländern klafft eine große Lücke.

  • E&W: Herr Daschner, in allen Bundesländern sind Lehrkräfte qua Gesetz verpflichtet, sich fortzubilden. Ihre Recherche zeigt aber, dass der Stellenwert der Fortbildung in der Praxis gering ist. Wie kommt es zu diesem Widerspruch?

Peter Daschner: Das müsste man die Kultusminister fragen. Wir haben zwar festgestellt, dass die Fortbildungspflicht nicht nur in allen Schulgesetzen verankert ist, sondern die Qualifizierung im Beruf in vielen Erlassen als bedeutsam hervorgehoben wird. Dennoch wissen wir nicht, ob es passiert, denn es wird weder quantifiziert noch kontrolliert.

  • E&W: Warum sind Fortbildungen so wichtig?

Daschner: Sie sind essenziell für die Verbesserung von Unterricht und Schule. Es gibt Belege dafür, dass der Unterrichtserfolg bei gut qualifizierten Lehrkräften drei- bis viermal höher ist als bei schlechter qualifizierten. Und eine lernende Schule gibt es nur, wenn auch das Kollegium lernt. Deshalb war es richtig, die Fortbildungsverpflichtung in den Schulgesetzen zu verankern. Allerdings bleibt weiterhin meist Privatsache, ob und wie Lehrkräfte diese Pflicht wahrnehmen.

  • E&W: Man kann ja auch sagen: Schön, dass die Länder den Lehrerinnen und Lehrern vertrauen. Die werden sich schon weiterbilden.

Daschner: Es gibt sogar eine hohe Fortbildungsbereitschaft. Wir wissen aus mehreren Untersuchungen, dass diese größer ist als das Angebot in manchen Bereichen. Die GEW hat kürzlich eine Mitgliederbefragung veröffentlicht, laut der zum Beispiel 85 Prozent der Befragten eine umfassende Fortbildung für die digitale Schule fordern (s. E&W 11/2018).

  • E&W: Also?

Daschner: Einer unserer Befunde ist, dass Fortbildung häufig keine effektive Form hat: Einzelne Kollegen aus unterschiedlichen Schulen gehen aus Interesse zu einem Kurs oder einer Tagung. Sicherlich gewinnen sie dabei etwas für sich. Doch für die Schule ist nichts gewonnen. Es finden kein Transfer und keine Wirkungsanalyse statt.

  • E&W: Es ist nicht nachhaltig.

Daschner: Genau. Ein Problem ist auch, dass keine systematische Erfassung des Fortbildungsbedarfs stattfindet. Es wäre wichtig, dass nicht der eine dies und der andere das macht, sondern dass die Kolleginnen und Kollegen gemeinsam die großen Themen bearbeiten, etwa: Wie gehen wir mit Zuwandererkindern um? Wie packen wir die Inklusion und die Digitalisierung an? Wie verhindern wir, dass 20 Prozent der Kinder am Ende der Grundschule nicht sinnentnehmend lesen können?

  • E&W: Laut Ihrer Studie haben nur drei Länder eine Fortbildungsverpflichtung konkretisiert: Bayern, Bremen und Hamburg. Was gab in Hamburg, wo Sie als Landesschulrat Verantwortung trugen, den Ausschlag für die Verpflichtung?

Daschner: Wir haben gesehen, dass das professionelle Weiterwachsen im Beruf sehr unterschiedlich praktiziert wird. Bei der Fortbildung gab es die Faustregel: Ein Drittel der Kolleginnen und Kollegen macht gut mit, ein Drittel hin und wieder, ein Drittel entzieht sich. Uns war klar, dass das so nicht bleiben kann, wenn man Schulentwicklung ernst nimmt. Deswegen wurden Fortbildungen verpflichtend gemacht – aber auch im Arbeitszeitmodell berücksichtigt. Dadurch wird Fortbildung nicht mehr als etwas Zusätzliches wahrgenommen, sondern gemeinsam geplant und ist Teil der Profession. Wenn man bei den Routinen und Haltungen der Einzelnen und des Kollegiums etwas bewirken will, muss man mehr in die Zeit und in die Formate investieren.

  • E&W: Welche Fortbildungen sind am wirksamsten?

Daschner: Wenn es um Kompetenzzuwachs geht, sind nicht Einzelveranstaltungen am wirkungsvollsten, sondern längerfristige Angebote mit Input-, Praxis- und Reflexionsphasen. Wichtig ist dabei auch der Austausch der Kollegen an einer Schule untereinander, und die Bereitschaft, sich gegenseitig Feedback zu geben.

  • E&W: Muss in Zeiten des Lehrkräftemangels die Qualifizierung der Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger Vorrang haben?

Daschner: Weil man versäumt hat, rechtzeitig für Lehrernachwuchs zu sorgen, soll man etwas, was erwiesenermaßen wichtig ist, hintenanstellen? Das ist keine gute Idee. Die Absenkung der Finanzierung ist ja jetzt schon ein Problem. In der Zeit von 2002 bis 2015 sind die Ausgaben für Schulen im Bundesdurchschnitt insgesamt um 36 Prozent gestiegen, die für Fortbildungen um 10 Prozent gesunken.

  • E&W: Das bedeutet für die Weiterbildung in den Ländern?

Daschner: Die Länder – außer Bayern – geben keine Zahlen heraus. Aber aus Angaben des Statistischen Bundesamtes schließen wir, dass die Länder – und zwar in großer Streuung – pro Kopf etwa 174 Euro jährlich für die Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern ausgeben. Zum Vergleich: Die Betriebe investieren zwischen 400 und 700 Euro pro Kopf in Weiterbildung.

  • E&W: 2019 soll der Digitalpakt starten. Aufgabe der Länder wird sein, die Lehrkräfte entsprechend fortzubilden. Sind die Länder darauf vorbereitet?

Daschner: Ich glaube, sie fangen gerade an. Es gibt Fortbildung im Digitalen, aber nicht in dem Maße, wie man es braucht. Wir haben alle Studien durchforstet: Es gibt häufig keine Passung zwischen dem, was die Lehrerinnen und Lehrer wollen, und dem, was sie geboten bekommen, weil der Bedarf nicht systematisch erhoben wird. Es geht ja nicht nur um technische Fragen, sondern vor allem um Pädagogik. Es fehlt auch hier an passenden Angeboten in effektiven Formaten mit Wirkung in die einzelnen Schulen hinein.

  • E&W: Die GEW und der Verband Bildung und Erziehung (VBE) haben im September ja unter anderem mehr Geld für Fortbildung sowie Transparenz und gemeinsame Standards gefordert. Fühlen Sie sich bestätigt?

Daschner: Es freut mich, dass die Gewerkschaften sich unsere Forderungen zu eigen machen. Jetzt wünsche ich mir, dass sich die GEW künftig bei der Lehrkräftebildung auch für die Fortbildung stark macht und klare Ansprüche bei der Kultusministerkonferenz und den Ländern anmeldet.

 

Peter Daschner war Landesschulrat in Hamburg und Direktor des dortigen Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung.