Gleichstellung
Steuerpolitik heißt: steuern
Die Steuerpolitik beeinflusst maßgeblich die Lebensmodelle von Paaren und Familien und ist ein wichtiger Hebel für mehr Gleichstellung.
Es ist kein Geheimnis: Viele Paare heiraten, weil sie in der Ehe viel Steuern sparen. Kommen dann Kinder dazu, arbeiten Frauen in der Regel oft nur noch Teilzeit und verzichten auf ihre Karriere. Warum sich dieses traditionelle Familienmodell so hartnäckig hält, hat viel mit der Steuerpolitik zu tun. „Sie hat große Auswirkungen auf die Lebensrealität von Frauen“, sagt die Chefökonomin des österreichischen Momentum-Instituts, Katharina Mader. Die Wirtschaftswissenschaftlerin erklärt, warum sie den Begriff so gerne mag: Steuerpolitik. „Weil das wesentliche Verb drinsteckt: steuern.“
Mit dem Ehegattensplitting zum Beispiel gebe es einen großen finanziellen Anreiz, nicht nur zu heiraten, sondern auch dafür, dass eine der beiden Personen weniger erwerbstätig ist. „Und in aller Regel sind es die Frauen, die ihre Arbeitszeit reduzieren und die Care-Arbeit übernehmen.“ Beim Ehegattensplitting wird das zu versteuernde Einkommen der beiden Partner zusammengerechnet und anschließend halbiert (gesplittet). Darauf wird die Einkommensteuer berechnet und die Steuerschuld anschließend wieder verdoppelt. Wegen des progressiven Einkommensteuertarifs muss das Paar insgesamt weniger Steuern zahlen als wenn beide einzeln veranlagt würden. Am kräftigsten sparen Paare, bei denen eine Person deutlich mehr verdient als die andere.
„Jede Krise wirft uns gleichstellungspolitisch massiv zurück.“ (Katharina Mader)
Paare mit ungleicher Einkommenshöhe wählen meist die Steuerklassen 3 und 5. Wer nach Steuerklasse 5 veranlagt wird, überträgt seinen Grundfreibetrag auf den Partner mit Steuerklasse 3. Dadurch werden mehr Steuern abgezogen, beim Partner hingegen weniger. Entsprechend niedriger fällt der monatliche Nettolohn aus, auf dessen Basis Einkommensersatzleistungen wie Arbeitslosengeld I, Kranken- und Elterngeld berechnet werden. Der Anteil von Frauen in der Steuerklasse 5 liegt bei gemeinsamer Veranlagung bei über 90 Prozent.
Das Ehegattensplitting sei eine deutsche Besonderheit, sagt die Sozialwissenschaftlerin und Expertin für feministische Ökonomie, Hanna Völkle. Seit Jahren werde in der Politik eine Reform des Modells diskutiert. „Doch politisch traut sich niemand ran.“ SPD, Grüne und FDP wollten die Steuerklassen 3 und 5 abschaffen, das Splitting-Verfahren aber beibehalten. Durch das Aus der Ampel-Regierung Ende vergangenen Jahres wurde aus diesem Vorhaben jedoch nichts mehr. Die Angst der Parteien sei groß, Stimmen von Wählerinnen und Wählern zu verlieren, sagt Völkle. Dazu trage das aktuelle gesellschaftliche Klima bei. „In Krisenzeiten gelten traditionelle Familienmodelle als sichere Rückzugsorte.“ Auch Mader sagt: „Jede Krise wirft uns gleichstellungspolitisch massiv zurück.“
Traditionelle Geschlechterrollen halten sich hartnäckig
Anders als noch vor zehn Jahren gehofft, lösten sich traditionelle Geschlechterrollen nicht auf, berichtet Völkle weiter. „Im Gegenteil.“ Die Wissenschaftlerin verweist auf Trends wie „Tradwives“ oder „Stay-at-home-girlfriends“, die bei jungen Leuten angesagt sind. Auf TikTok finden sich massenhaft Videos, in denen junge Frauen backen, kochen, aufräumen und sich hübsch machen. Gut gelaunt erklären sie in die Kamera, warum sie zu Hause bleiben und sich um den Haushalt kümmern. „Stellt sich die Frage: Wer kann sich dafür entscheiden, so zu leben?“
Frauen im Zuverdienermodell zu halten, so Mader, heiße, „ihnen nicht die Möglichkeit zu bieten, finanziell auf eigenen Füßen zu stehen“. Sie könnten sich in heterosexuellen Partnerschaften schwerer von ihrem Mann trennen. Viele Frauen merkten erst mit der Zeit, wie ungerecht dieses Modell ist, sagt die Ökonomin. Die Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt summiere sich mit den Jahren. Nach alleinerziehenden Müttern sind ältere Frauen am stärksten von Armut bedroht.
„Steuerpolitik ist eine Verteilungsfrage.“
Wie könnte eine feministische Steuerpolitik aussehen? Die Antwort ist simpel: Alle Einnahmen gleichberechtigt besteuern. „Das ist keine große Hexerei“, sagt Mader. Zudem müsse die Erbschaft- und Vermögensteuer in den Blick genommen werden. „Steuerpolitik ist eine Verteilungsfrage“, stellt sie klar. Arbeit werde sehr viel höher besteuert als Unternehmen oder Kapital. „Und Männer haben im Schnitt deutlich mehr Vermögen und erben mehr.“ Deshalb wären höhere Steuern auf große Vermögen und Erbschaften ein wichtiger Beitrag zu mehr Gleichstellung. Dadurch könnte auch mehr Geld in die öffentliche Infrastruktur gesteckt werden, zum Beispiel in Kinderbetreuung. Mit einer Steuerreform allein sei es deshalb nicht getan.
Gewerkschaften spielen wichtige Rolle
Zudem stelle sich die Frage: Ist Vollzeit überhaupt noch zeitgemäß? Oder braucht es kürzere Arbeitszeiten für alle? Und was ist mit all der unbezahlten Arbeit Wie wird Sorgearbeit berücksichtigt? So arbeiten erwerbstätige Frauen pro Woche im Schnitt 54 Stunden und damit fast eine Stunde länger als Männer – allerdings mehr als die Hälfte davon unbezahlt, acht Stunden mehr als Männer. „Da hängt so viel dran, was gleichstellungspolitisch notwendig wäre.“
Gewerkschaften spielten bei diesem Thema eine wichtige Rolle, betont Völkle. Zum Beispiel ganz konkret bei der Forderung: gleiches Geld für gleiche Arbeit. Statistisch gesehen könnten Männer am 25. Oktober aufhören zu arbeiten – und hätten genauso viel Geld im Portemonnaie wie erwerbstätige Frauen am Jahresende. „Das ist frappierend.“ Wo Tarifverträge gelten, fällt der Unterschied sehr viel geringer aus. „Das ist ein sehr großer Hebel“, sagt die Sozialwissenschaftlerin.
Erfolg der JA13-Kampagne
Das sieht auch die GEW-Vorsitzende Maike Finnern so. In den sozialen Berufen und in der frühkindlichen Bildung sei der Frauenanteil besonders hoch. Der gemeinsame Tarifkampf mit ver.di habe in den vergangenen Jahren hier zur deutlichen Verbesserung bei der Entlohnung der Beschäftigten geführt. Finnern verweist zudem auf die JA-13-Kampagne der GEW. Grundschullehrkräfte und teilweise auch Lehrerinnen und Lehrer in der Sekundarstufe I seien lange Zeit schlechter eingruppiert gewesen als Kolleginnen und Kollegen anderer Schulformen; vor allem an den Grundschulen sei der Anteil der Lehrerinnen hoch. Vor mehr als zehn Jahren habe die GEW ihre Kampagne gestartet – mit Erfolg: Mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Baden-Württemberg haben mittlerweile alle Bundesländer die Bezahlung ihrer Lehrkräfte auf A13 (Beamte) beziehungsweise EG13 (Angestellte) angehoben.