Integrationskurse
Sprache als Schlüssel zur Integration
Seit 20 Jahren lernen eingewanderte Menschen Deutsch in Integrationskursen. Fachleute bemängeln, dass nicht alle Teilnehmenden gleich gut von den Kursen profitieren, und fordern ein flexibleres Deutschlernen.
Im Integrationskurs an der Mannheimer Abendakademie schaut Dozentin Lioba Geier auf elf Teilnehmende, die an Tischen in U-Form sitzen. Die Menschen im Kurs lernen seit sechs Monaten Deutsch. 600 Stunden Sprachkurs haben sie schon hinter sich, in weiteren 100 Stunden erfahren sie noch Wichtiges zu Politik, Geschichte und Kultur. An diesem Morgen geht es um das Thema „Familie und Zusammenleben“. „Was bedeutet denn ,alleinerziehend‘“, fragt Geier in die Runde. „Das ist zum Beispiel ,Ich habe nur meine Mutter‘“, antwortet eine junge Frau. Geier nickt bestätigend. „Genau, vielleicht eine Mutter mit einem Kind oder zwei Kindern“, sagt Geier. „Es kann aber auch ein Vater sein.“ Die Atmosphäre im Kurs ist familiär und vertraut. „Das ist wichtig“, sagt Dozentin Geier. „Schließlich verbringen wir einige Monate fünf Tage die Woche von 9 bis 13 Uhr zusammen.“
Nachdem Geier und die Lernenden wichtige Wörter geklärt und Fotos von Familienformen beschrieben haben, hören sie fünf kurze Statements zu verschiedenen familiären Situationen. Die Lernenden sollen notieren, wie die Personen leben. Danach vergleichen sie gemeinsam die Informationen.
Die Integrationskurse gibt es seit 2005. Sie sollen eingewanderte Personen in sechs bis neun Monaten auf ihr Leben in Deutschland vorbereiten. Insgesamt 1,24 Milliarden Euro stellte der Bund 2024 für die Kurse zur Verfügung. Kurzzeitig hieß es im vergangenen Herbst, die Mittel würden 2025 halbiert. Nach heftigen Protesten gab das Bundesinnenministerium im November 2024 Entwarnung: Die Finanzierung bleibe gleich. Allerdings wird es einige Änderungen geben, so gibt es zum Beispiel weniger Fahrtkostenzuschüsse und keine Wiederholungsstunden mehr.
Menschen mit wenig schulischer Vorbildung profitieren kaum
Doch was bringen die Kurse überhaupt? „Auf der einen Seite sind sie ein Erfolg, weil die Menschen durch sie eher in Arbeit kommen“, sagt Christoph Schroeder, Professor für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Universität Potsdam. Er forscht zu Migration und Sprache. „Die Kurse bringen aber vor allem denen etwas, die Vorbildung mitbringen, und von denen ein Großteil vielleicht auch ohne sie erfolgreich wäre.“ Das sei zwar etwas zugespitzt, sagt er, doch hier liege ein großes Problem. Denn Menschen mit wenig schulischer Vorbildung profitieren kaum; sie verlieren schnell den Anschluss oder brechen die Kurse oft ab.
Integrationskurse unterliegen einem straffen Zeitplan. Denn mit relativ wenig finanziellen Mitteln und in kurzer Zeit sollen hohe sprachliche Ziele erreicht werden. Das hat zur Folge, dass Lehrkräfte durch den Stoff rasen müssen und fast keine Zeit haben, Gelerntes zu festigen und auch zu wiederholen. Geier findet das oft frustrierend – für sich und ihren Unterricht, aber vor allem für die Teilnehmenden. „Sie bekommen Input, Input, Input, in fünf Unterrichtsstunden an fünf Tagen in der Woche“, sagt sie. „Die Leute wissen gar nicht, wann sie das alles verarbeiten sollen.“ Hinzu kommt: Sehr viel davon ist Grammatik. „Das führt zu großer Überforderung bei jenen, die in ihren Muttersprachen kaum richtig beschult sind.“
Das rasante Tempo und die viele Grammatik sind für Lernende, die schon eine Fremdsprache sprechen und vielleicht Abitur haben, herausfordernd, jedoch machbar. Aber nicht für die, die nur wenige Jahre in der Schule waren. Mit ihnen müssen die Lehrkräfte erst einmal einüben, wie man formell lernt und wie zum Beispiel ein Lehrbuch aufgebaut ist. Dafür ist aber keine Zeit. Offiziell gibt es spezielle Kurse für langsam Lernende, doch in der Praxis werden sie fast nicht angeboten. Denn die Sprachlehreinrichtungen brauchen eine Mindestteilnehmerzahl, damit ein Kurs sich rechnet. So lange wollen sie meist nicht warten. Denn Kurse müssen so schnell wie möglich beginnen. Und so sitzen alle in einem Kurs: Menschen mit Hochschulabschluss und jene, die in ihren Herkunftsländern nur wenige Jahre in der Schule waren.
Bezahlung und Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte sind prekär
Das ist auch im Kurs von Geier so. Gerade betrachten alle Fotos zu verschiedenen Familienkonstellationen und sollen diese beschreiben. Das ist wichtig für die mündliche Prüfung, deshalb wird es immer wieder geübt. An diesem Tag sind drei Männer und acht Frauen im Kurs. Sie kommen aus der Türkei, aus Kuba, Indien, der Ukraine, Griechenland und Rumänien. Ein paar Teilnehmende fehlen. Eine türkische Frau beschreibt das Foto einer Großfamilie und erzählt, dass sie auch so aufgewachsen sei. „Ich liebe meine Großfamilie sehr“, sagt sie und schaut dabei wehmütig.
Die Integrationskurse haben vielen Menschen geholfen, sich in Deutschland besser zurechtzufinden und in Arbeit zu kommen. Gleichzeitig sind sie immer wieder in der Kritik: zu viel Bürokratie, zu akademisch und die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte prekär. Zwar betont die Bundesregierung immer wieder, wie wichtig die Lehrkräfte für das Gelingen der Integration seien und dass sie dafür hoch qualifiziert sein müssten, in der Bezahlung und den Arbeitsbedingungen spiegelt sich das aber nicht wider.
„Um von meinem Einkommen leben zu können, habe ich letztlich ein Wochenkontingent von 50 bis 60 Stunden.“ (Lioba Geier)
Rund 70 Prozent von ihnen sind Honorarkräfte. So auch Geier. Zwar ist das Honorar in den vergangenen Jahren gestiegen, auf zuletzt 42 Euro pro Unterrichtsstunde, aber: „Ich zahle davon meine kompletten Sozialabgaben allein“, sagt Geier. „Ich bekomme kein Urlaubsentgelt und keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Ich werde nur für die Unterrichtszeit bezahlt.“ Findet kein Kurs statt, verdient sie kein Geld. Auch die Tätigkeiten außerhalb des Unterrichts werden nicht bezahlt, wie etwa die Vorbereitungszeit und Korrekturen. „Es wird immer argumentiert, diese Arbeiten seien im Honorar mit inbegriffen“, sagt sie. „Um von meinem Einkommen leben zu können, habe ich letztlich ein Wochenkontingent von 50 bis 60 Stunden.“
„Die Integrationskurse brauchen professionelles Personal mit guten Arbeitsbedingungen, fester Anstellung und tariflicher Bezahlung.“ (Ralf Becker)
Geier ist Mitglied des Lehrkräfte-Bündnisses „Deutsch als Fremdsprache/Deutsch als Zweitsprache“ (DaF-DaZ) und setzt sich dort für bessere Arbeitsbedingungen ein. Die Initiative und die GEW arbeiten oft zusammen – auf lokaler und auf Bundesebene. „Die Integrationskurse brauchen professionelles Personal mit guten Arbeitsbedingungen, fester Anstellung und tariflicher Bezahlung“, sagt Ralf Becker, GEW-Vorstandsmitglied für den Bereich Berufliche Bildung und Weiterbildung. „Sie müssen daher gut finanziert werden und die Träger der Maßnahmen tarifgebunden sein.“
Fachleute kritisieren an Integrationskursen auch, dass in ihnen zu sehr auf die Prüfung hin gelernt werde. So auch Christoph Schroeder von der Universität Potsdam. Er wünscht sich mehr Flexibilität und mehr Praxis. Zum Beispiel, dass Menschen schon mit geringen Sprachkenntnissen arbeiten und während der Ausbildung oder am Arbeitsplatz weiter Deutsch lernen. „Wenn man Sprache verwenden muss, um in einer kommunikativen Situation zu funktionieren oder ein Problem zu lösen, lernen viele die Sprache sicherlich besser, als wenn sie Sprache verwenden, um im Kurs für einen Test zu funktionieren“, sagt er. Das Projekt „Job-Turbo“ der Bundesanstalt für Arbeit setzt zum Beispiel diese Idee seit Ende 2023 in einigen Fällen um. Gerade mit Blick auf den Arbeitskräftemangel sollte die Bundesregierung diesen Weg ausbauen, so Schroeder.