Für viele Erwachsene ist die Netzwelt, in der sich Mädchen und Jungen bewegen, vielleicht etwas Unheimliches, zumindest etwas Beunruhigendes. Anstatt sich mit Freunden vor Ort zu treffen, Bücher zu lesen oder sich sozial zu engagieren, tummeln sie sich lieber in virtuellen Welten, bekämpfen sich in Computerspielen, "befreunden" sich auf Facebook mit unzähligen Menschen, verabreden sich fast nur über WhatsApp - mit Beginn der Pubertät meist etwas Alltägliches. Wer aktuelle Forschungen darüber liest, wie Zwölf- bis 19-Jährige neue Medien nutzen, stellt fest, dass digitale Kommunikationsformen deren soziales Leben bestimmen: Zirka 90 Prozent der Heranwachsenden besitzen Smartphones und teilen sich Gleichaltrigen vor allem über WhatsApp, Instagram und Twitter mit.
Die Plattformen sozialer Netzwerke nehmen also viel Raum und Zeit im Alltag Pubertierender ein. Sie wollen immer aktuell wissen, was die anderen aus der Peergroup gerade machen, welche Themen "in" sind, wo es "hip" ist, sich abends zu treffen - und wer mit wem im Moment gerade befreundet ist. Besonders mit der beginnenden Pubertät spielen Cliquen und Szenen eine große Rolle, da sie helfen, sich zu orientieren und neue Lebenswelten zu entdecken. Klar: "Wer bin ich" bzw. "wer möchte ich sein?", haben sich Jugendliche auch früher in der Pubertät gefragt. Ältere Generationen haben das möglicherweise in ihrer Jugend traditionell durch Initiationsriten (z.B. Konfirmation), durch Integration in politische oder soziale Gruppen, durch Engagement in Sportvereinen oder der freiwilligen Feuerwehr beantwortet.
"Digitale Medien befriedigen das Bedürfnis nach Kommunikation und Aktualität."
Mit dem Aufkommen der Massenmedien, vor allem dem Fernsehen, haben sich die Kreise, in denen Jugendliche nach Werten und Orientierungen suchen, erweitert. Vor allem digitale Medien bieten dafür auf ihren Kanälen vielfältiges und sehr unterschiedliches "Material" sozusagen symbolisch an, aus dem sich die jugendliche Identitätssuche "bedienen" kann - egal, ob es dabei um Geschlechterrollen oder moralische Normen geht. In dem Drang, auf YouTube oder anderen Plattformen zu "surfen" drückt sich nichts anderes aus, als das Bedürfnis eines jungen Menschen, sich mit dem, was ihn im Augenblick stark beschäftigt, auseinanderzusetzen. Oft werden dabei entweder die eigenen Probleme in Medienfiguren oder -geschichten projiziert, gleichzeitig ist es möglich, sich von den eigenen Problemen zu distanzieren. Oder aber sich mit fiktiven Charakteren zu identifizieren, um die eigene Persönlichkeit besser zu verstehen. Das alles läuft größtenteils unbewusst ab. Der "Ritt" durch mediale Welten geschieht aber deswegen nicht "zufällig", sondern wird von Themen und Problemen des Nutzers gesteuert.
Digitale Medien befriedigen das Bedürfnis nach Kommunikation und Aktualität. Zu wissen, was andere machen und denken, was "in" und was "out" ist, bedeutet, "dabei" zu sein. Denn die Identitätsaufgabe der Pubertät ist unter anderem, sich in soziale Gruppen zu integrieren und den eigenen Weg zu finden. WhatsApp - oder derzeit Snapchat - bieten die Chance, beides gleichzeitig zu tun. Zum anderen erfüllen neue Medien noch ein anderes Verlangen, nämlich das der Selbstpräsentation. Sich einer Außenwelt mitzuteilen, sich in bestimmter Art und Weise "zu zeigen" und damit auszutesten, wie komme ich an, erhält bei dem riesigen Youtube- und Instagram-Publikum eine neue Dimension. Pubertierende Mädchen und Jungen erzählen online aus ihrem meist realen Alltag, zugleich versuchen sie mit einer Selbstpräsentation - wie sie sich sehen oder wie sie sein möchten -, aus diesem auszubrechen.