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Aktiv gegen Rechts

„Sonst ist niemand mehr in diesem Land sicher“

Die AfD wird immer radikaler – und immer erfolgreicher. Der Buchautor Hendrik Cremer sagt im E&W-Interview, das liege auch an einer zu vorsichtigen Thematisierung der Partei in der Bildung und in den Medien.

„Die AfD orientiert sich in Zielen und Methoden am Nationalsozialismus.“ (Hendrik Cremer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Menschenrechte in Berlin. / Foto: DIMR/A. Illing)
  • E&W: Herr Cremer, nach der Brandenburg-Wahl herrschte bei manchen Menschen fast schon Erleichterung, weil die SPD stärkste Partei wurde. Mit 30-Prozent-Ergebnissen für die AfD scheint man sich allmählich zu arrangieren ...?

Hendrik Cremer: Es wäre fatal, wenn wir uns daran gewöhnen, dass die Ergebnisse dieser Partei immer besser werden, obwohl sie sich stetig radikalisiert hat.

  • E&W: In Brandenburg, Thüringen und Sachsen war die AfD bei den Menschen, die jünger als 25 Jahre sind, die mit Abstand stärkste Partei. Was tun?

Cremer: Die AfD muss in den Schulen stärker als rechtsextreme Partei thematisiert werden. Ich habe aber den Eindruck, dass bei den Lehrkräften wegen des Neutralitätsgebots, mit dem die AfD argumentiert, eine große Unsicherheit herrscht. Dabei müssen Lehrerinnen und Lehrer nicht neutral sein. Das Grundgesetz und die Landesschulgesetze verpflichten sie, sich aktiv für die freiheitliche rechtsstaatliche Demokratie einzusetzen. Sie sollen sich sachlich und fundiert mit Parteien beschäftigen. Aus dem Bildungsauftrag ergibt sich, dass verfassungsfeindliche Parteien als solche zu thematisieren sind. Das geht in vielen Fächern. Über die AfD aufzuklären, ist keine Aufgabe, die allein einzelnen Lehrkräften obliegt, sondern eine Herausforderung für das ganze System Schule. Schulleitungen, Schulämter und Bildungsministerien müssen Lehrkräfte zudem schützen, wenn diese von der AfD und deren Umfeld bedroht werden.

  • E&W: Social Media und mangelndes Wissen treiben die Jugendlichen also nach rechts?

Cremer: Klar ist: Die AfD agiert massiv auf Social Media. Insbesondere auf TikTok zielt sie darauf ab, junge Menschen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Dies untermauert die Dringlichkeit, dass Schulen reagieren und thematisieren, welche Absichten und Ziele die AfD tatsächlich verfolgt.

  • E&W: Sie sagen, die AfD verfolge unter Führung des Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke „das Ziel einer Gewaltherrschaft, die sich am Nationalsozialismus orientiert“ und prognostizieren, dass „niemand mehr in diesem Land sicher“ wäre, wenn die AfD an die Macht käme. Mit Verlaub: Das klingt sehr dramatisch.

Cremer: So wie Sie reagieren viele Menschen. Das ist kaum verwunderlich, zumal auch in den Medien häufig nicht abgebildet wird, wie stark sich die Partei radikalisiert hat. Die AfD orientiert sich in Zielen und Methoden am Nationalsozialismus. Gegen Höcke hat es noch 2017 ein Partei-Ausschlussverfahren gegeben, bei dem er dezidiert als Nationalsozialist eingeordnet wurde. Dennoch wurde er nicht ausgeschlossen. Heute wird sein Kurs nicht mehr ernsthaft infrage gestellt. Er erhält vielmehr die volle Unterstützung des Bundesvorstandes.

  • E&W: Nach außen geriert sich die AfD allerdings als rechts-bürgerliche Alternative. Das sei, sagen Sie, auch deshalb erfolgreich, weil diese Selbstzuschreibung zu oft unwidersprochen bleibe.

Cremer: Ein wesentliches Element in der Strategie der AfD ist, dass sie sich selbst verharmlost. Hierzu gehört ein freundliches, bürgerliches Auftreten; sie stellt sich, insbesondere auf der lokalen Ebene, als Kümmerer-Partei dar. Es wird zu selten herausgearbeitet, welche Ziele die Partei wirklich verfolgt; ihre Gewaltbereitschaft wird nicht hinreichend thematisiert. Dabei ist längst zu erkennen, dass der eingeschlagene Kurs der AfD auf Willkür und Gewalt hinausläuft.

  • E&W: Viele Journalistinnen und Journalisten bezeichnen die Partei als „in Teilen rechtsextrem“ oder verweisen auf die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Doch diese Qualifizierung hat bei den jüngsten drei Landtagswahlen jeden dritten Wähler nicht davon abgehalten, die AfD zu wählen. Ist damit der Ansatz gescheitert, auf-zuklären, damit den Menschen bewusst wird, wen sie da wählen?

Cremer: Im Gegenteil. Die Aufklärungsarbeit ist zu intensivieren. Das gilt für die Schule, die außerschulische Bildung und letztlich für sämtliche Bildungsinstitutionen, etwa auch der Polizei und Bundeswehr, damit die Menschen wissen, was sie tun, wenn sie diese Partei wählen.

  • E&W: Derzeit hat die Deutungsweise Konjunktur, die behauptet, die AfD sei vor allem deshalb so stark geworden, weil sowohl die Ampel als auch die Vorgängerregierungen reale Probleme ignoriert und tabuisiert hätten.

Cremer: Es ist besorgniserregend, dass es unter demokratischen Parteien zu solchen gegenseitigen Schuldzuweisungen kommt. Denn damit wird die Selbststilisierung der AfD als Protestpartei befördert. Auch das trägt zur Verharmlosung der Partei bei. 

1. Überwältigungsverbot

Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der „Gewinnung eines selbständigen Urteils“ zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der – rundum akzeptierten – Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.

2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.

Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten. Zu fragen ist, ob der Lehrer nicht sogar eine Korrekturfunktion haben sollte, d. h. ob er nicht solche Standpunkte und Alternativen besonders herausarbeiten muss, die den Schülern (und anderen Teilnehmern politischer Bildungsveranstaltungen) von ihrer jeweiligen politischen und sozialen Herkunft her fremd sind.

Bei der Konstatierung dieses zweiten Grundprinzips wird deutlich, warum der persönliche Standpunkt des Lehrers, seine wissenschaftstheoretische Herkunft und seine politische Meinung verhältnismäßig uninteressant werden. Um ein bereits genanntes Beispiel erneut aufzugreifen: Sein Demokratieverständnis stellt kein Problem dar, denn auch dem entgegenstehende andere Ansichten kommen ja zum Zuge.

3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren,

sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen. Eine solche Zielsetzung schließt in sehr starkem Maße die Betonung operationaler Fähigkeiten ein, was eine logische Konsequenz aus den beiden vorgenannten Prinzipien ist. Der in diesem Zusammenhang gelegentlich erhobene Vorwurf einer „Rückkehr zur Formalität“, um die eigenen Inhalte nicht korrigieren zu müssen, trifft insofern nicht, als es hier nicht um die Suche nach einem Maximal-, sondern nach einem Minimalkonsens geht.

Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

Das hat der Beutelsbacher Konsens damit zu tun

Demokratiebildung ist zentraler Bestandteil des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule. Die Landesschulgesetze beschreiben die Ziele. Lehrkräfte sollen demokratische Werte wie Würde und Gleichheit aller Menschen, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität vermitteln.

Wenn es in der Schule um politische Bildung geht, müssen sich Lehrkräfte nicht neutral verhalten. Es ist wichtig, verschiedene Blickwinkel zu beleuchten. Lehrkräfte sollen auf Basis des Grundgesetzes eine klare Haltung gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Gewaltverherrlichung und menschenverachtende Aussagen zeigen.

Oft fällt das Stichwort ’Beutelsbacher Konsens’. Er ist ein in den 1970er-Jahren formulierter Minimalkonsens für den Politikunterricht in Deutschland. Er darf nicht mit dem parteipolitischen Neutralitätsgebot des Staates verwechselt werden. Der Konsens formuliert drei zentrale didaktische Prinzipien politischer Bildung: das Überwältigungs- bzw. Indoktrinationsverbot, das Kontroversitätsgebot sowie das Ziel, dass Schüler*innen zur politischen Teilhabe befähigt werden sollen. Lehrkräfte dürfen ihre eigene politische Meinung ausdrücken, diese aber nicht als allgemeingültig darstellen. Kontroverse Themen müssen multiperspektivisch behandelt werden.