Zum Inhalt springen

Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit

„Solidarität mit Volker, Sophia und Stan“

Mitarbeitende eines Karlsruher Fanprojekts hatten bei Ermittlungen gegen Fußballfans, denen vorgeworfen wurde, Pyrotechnik gezündet zu haben, die Aussage verweigert. Jetzt wird der Fall vor dem Amtsgericht Karlsruhe verhandelt.

Volker Körenzig, Sophia Gerschel und Sebastian Staneker, Mitarbeiter beim Fanprojekt Karlsruhe (Foto: Christoph Ruf)

Auf eindrucksvolle Demo-Bilder mussten die Fotografen am Dienstagmorgen verzichten. Die Kundgebung „Für ein Recht auf Schweigen“, die die Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechts (ZVR) auf die Soziale Arbeit fordert, war von der Versammlungsbehörde am Vortag verlegt worden: vom zentralen Marktplatz hin zu einer abgelegenen Stelle am südwestlichen Rand der Karlsruher City – weit weg also vom Amtsgericht, in dem ab neun Uhr das Verfahren gegen drei Mitarbeitende des Fanprojekts verhandelt wurde. Die Demo fiel dementsprechend klein aus, die meisten Unterstützerinnen und Unterstützter machten sich direkt zum Gericht auf, um dort ihre „Solidarität für Volker, Sophia und Stan“ zu dokumentieren.

Ermittlungen wegen „Strafvereitelung“

Die Mitarbeitenden des Karlsruher Fanprojekts stehen seit Monaten nur deshalb vor Gericht, weil ihnen kein ZVR zusteht. Zuletzt hatten sie Einspruch gegen Strafbefehle in Höhe von 120 Tagessätzen à 60 Euro eingelegt, denn damit gälten sie als vorbestraft. Hintergrund ist eine Pyrotechnik-Aktion der Ultra-Gruppe „Rheinfire“, nach der im November 2022 elf Menschen über Atembeschwerden klagten. Sie verzichteten allerdings auf eine Anzeige – die Staatsanwaltschaft ermittelte dennoch, ordnete Razzien bei den Fans an und nahm die Mitarbeitenden des Fanprojekts ins Visier, gegen die seither wegen „Strafvereitelung“ ermittelt wird. 

„Es geht nicht darum, Straftäter zu schützen, sondern unsere Arbeit.“ (Sophia Gerschel)

Dabei ist das Vertrauensverhältnis zur Ultra-Szene die Basis, um überhaupt auf sie einwirken zu können. Kein Fußballfan werde sich je wieder an ein Fanprojekt wenden, wenn er befürchten müsse, dass von dort aus Infos an die Polizei weitergegeben würden, sagt Sophia Gerschel, eine der drei Angeklagten: „Es geht nicht darum, Straftäter zu schützen, sondern unsere Arbeit.“ Der Schwarze Peter gebühre in der Causa allerdings der Politik: „Die Gesetzeslage kann nur sie verändern.“ 

Katastrophale Folgen

Tatsächlich haben auch Fan-Sozialarbeiterinnen und -Sozialarbeiter im Gegensatz zu Juristinnen und Juristen, Pfarrern oder Journalistinnen und Journalisten kein ZVR. Umso wichtiger sei es, die Gesetzeslage zu reformieren, findet Lissy Hohnerlein von „Sozpädal“ („Sozialpädagogische Alternative“), die sich in Karlsruhe um obdach- und wohnungslose Menschen kümmert: „Wir betreuen Menschen, die niemandem mehr Vertrauen, nicht den Behörden, nicht der Politik und nicht der Polizei. Wenn wir dieses Vertrauensverhältnis nicht aufrechterhalten können, ist das katastrophal.“ 

„Wer will noch in die Soziale Arbeit, wenn er damit rechnen muss, sich bei seiner Arbeit strafbar zu machen?“ (Christiane Bollig) 

So sieht es auch die stellvertretende Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Streetwork/Mobile Jugendarbeit e.V., Christiane Bollig: „Handlungsfelder wie Straßensozialarbeit, Ausstiegsprojekte oder Migrationsberatungen oder die Beratung von Opfern sexueller Gewalt brauchen dringend das ZVR“. Die Ignoranz der Politik, die die Gesetzeslücke seit 50 Jahren vor sich herschiebe, habe mittlerweile massive Auswirkungen auf das Berufsfeld: „Wer will noch in die Soziale Arbeit, wenn er damit rechnen muss, sich bei seiner Arbeit strafbar zu machen?“

Immenser gesamtgesellschaftlicher Schaden

Diesen Punkt betonte vor dem Amtsgericht Karlsruhe auch die Verteidigung der drei Fan-Sozialarbeitenden. „Das Feld der Sozialen Arbeit kommt offensichtlich nicht in der Gedankenwelt der Staatsanwaltschaft“ vor, konstatierte Anwalt Marco Noli, derweil sein Kollege Alexander Schork infrage stellte, dass das vermeintliche Wissen des Fanprojekts für die Aufklärung überhaupt relevant gewesen wäre: „Sie hatten doch schon alle Namen der Verdächtigen, welche Strafen sollen sie denn vereitelt haben?“ Der gesamtgesellschaftliche Schaden, den der Karlsruher Prozess anrichte, sei hingegen immens: „Diejenigen, die das Gesetz schützen sollen, sind erbost. Sie empfinden das als Angriff auf unsere Grundwerte.“ Vor allem aber empfinden sie es als Angriff auf den Kernbereich ihrer Arbeit. 

Die Diskussion ums Karlsruher Fanprojekt sei auch bei ihrer Klientel angekommen, berichtet Sozialarbeiterin Hohnerlein: „Ich sage den Menschen einleitend immer, dass ich der Schweigepflicht unterliege und sie mir vertrauen können.“ In den vergangenen Monaten werde sie aber oft gefragt, ob auch sie die Aussage verweigern würde, wenn es hart auf hart kommt. Ihre Antwort sei dann immer die gleiche: „Ja. Ich würde es so machen wie die drei. Ich würde für Sie auch in den Knast gehen.“ 

Nach sieben Stunden Verhandlung wurde der Prozess vertagt. Er soll am 28. Oktober fortgesetzt werden.