Flüchtlinge und Rechtsextremismus
Solidarität ist Christenpflicht
Der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, erklärt, warum die Themen Flüchtlinge und Rechtsextremismus in der Coronakrise nicht an den Rand gedrängt werden dürften.
- E&W: Die evangelische und die katholische Kirche unterstützen Geflüchtete. Sie waren selbst immer wieder in Flüchtlingslagern. Besteht die Gefahr, dass das Thema Geflüchtete in der Öffentlichkeit an den Rand gedrängt wird?
Prof. Heinrich Bedford-Strohm: Ja, diese Gefahr besteht. Wir sind in einer Ausnahmesituation, die viele Kräfte bindet. Für uns als Christen ist es wichtig, dass jeder Mensch geschaffen ist zum Bilde Gottes, der Mensch ist nicht zuerst bestimmt durch seine Nationalität. Jeder Mensch hat eine Würde, jedes Menschenleben ist kostbar, und daher ist es wichtig, dass wir auch in dieser schwierigen Zeit den Blick über unsere Grenzen hinaus weiten. Wir haben in Europa eine Situation, die in eine humanitäre Katastrophe münden könnte. Wir dürfen die Kinder, die im Lager in Lesbos leben, nicht vergessen, wir sollten sie möglichst schnell in europäische Länder bringen, in denen ihre Gesundheit geschützt werden kann, auch nach Deutschland. Wir müssen Antworten auf die Frage finden, wie wir bei den Menschen in Deutschland das Mitgefühl für die Kinder in den Lagern wecken können, die weinen, weil ihre Eltern gestorben sind. Sehr viele Menschen bei uns sind in Kurzarbeit oder arbeitslos und machen sich große Sorgen um ihre Zukunft. Und trotzdem brauchen die Kinder in Lesbos unser aktives Mitgefühl.
- E&W: Das Flüchtlingsthema verbindet sich mit Antisemitismus und Rechtspopulismus. Reicht da das Engagement der Christen aus, gibt es auch Christen, die rechtspopulistisch angehaucht sind?
Bedford-Strohm: Beim Thema Antisemitismus und Rechtspopulismus müssen wir immer sehen, dass wir nur Teil der Lösung sein können, wenn wir sehen, wo wir Teil des Problems sind. Der Blick auf unsere eigene Situation und die dort wahrnehmbaren Einstellungen ist wichtig. Eine neue Studie der Universitäten Leipzig und Bern zeigt, dass insbesondere im Osten Deutschlands die Anbindung an eine Kirche gegen rechtsextreme Einstellungen „immunisiert“. Es gibt aber auch solche Einstellungen in der Kirche. Wir haben uns deshalb in aller Klarheit immer wieder zu diesen Themen geäußert: Antisemitismus ist Gotteslästerung, und Rassismus als pauschale Abwertung von Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder anderer Merkmale steht in tiefem Widerspruch zu allem, wofür das Christentum steht.
- E&W: Stichwort: Rechtsextremismus. Die Aufklärung der Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) war ja nicht gerade ein Ruhmesblatt der zuständigen Behörden. Was schlägt die EKD vor, wie man besser gegen den Rechtsextremismus vorgehen kann?
Bedford-Strohm: Natürlich muss es die polizeiliche Verfolgung solcher Parolen und Taten, die dem Gesetz widersprechen, geben. Der Verfassungsschutz muss unsere Demokratie schützen und deswegen verfassungsfeindliche Aktivitäten von rechts verfolgen. Mein Eindruck ist, dass man dazugelernt hat und deutlicher Position bezieht. Ich habe als Sprecher des Bündnisses für Toleranz in Bayern an einem Podium in Berchtesgaden teilgenommen, bei dem wir die Nähe zur früheren Wohnung von Hitler am Obersalzberg zum Anlass genommen haben, über Rechtsextremismus zu reden. Hier hat der Präsident des bayerischen Verfassungsschutzes deutlich gemacht, an welchen Stellen der Verfassungsschutz aktiv ist. Man muss viel früher ansetzen, dafür sorgen, dass die demokratische Einstellung, die Verwurzelung der Menschenwürde, in die Herzen kommt. Hier spielt das Bündnis für Toleranz, eine Organisation von 76 Organisationen aus der Mitte der bayerischen Gesellschaft, eine ganz wichtige Rolle. Wir haben jedes Jahr ein Thema und versuchen, die Einstellungen gegen Rassismus zu stärken. Wir stärken die Prävention und fördern die aktive Verteidigung der Demokratie in der Zivilgesellschaft.
- E&W: Wünschen Sie sich noch mehr Klarheit von der Politik?
Bedford-Strohm: Man kann nie klar genug sein, aber ich glaube, dass durch die Anschläge von Halle und Hanau deutlich geworden ist, wie gefährlich der Rechtsextremismus ist. Die Verbindung zwischen dem Nährboden und solchen Gewalttaten ist offensichtlich geworden, vor allem auch, wenn man die Biografien der Täter ansieht. Es ist noch deutlicher geworden, wie ernst man die Aktivitäten von Rechtsextremen im Internet nehmen muss. Wir müssen ganz klar zum Ausdruck bringen, dass keine rechtsextremen Positionen in einer demokratischen Partei zu dulden sind. Ich habe immer betont, dass die AfD für uns kein Gesprächspartner sein kann, wenn in ihren Reihen Rechtsextreme geduldet werden.
- E&W: Sie haben kürzlich gesagt, nach Corona muss es Solidarität geben. Ist das ein wichtiges Signal nach der Krise auch in der Position gegen Rechtsextremismus und -populismus?
Bedford-Strohm: Von der AfD wurde ich für meinen Aufruf zur Solidarität kritisiert. Das demaskiert all diejenigen in der AfD, die sich gerne als Schutzmacht der kleinen Leute aufspielen. Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit. Mich hat auch die Kritik des Wirtschaftsrates der Union an meinen Äußerungen sehr gewundert – vor allem, wenn man die Gedanken und Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft und die christlichen Grundorientierungen ernst nimmt. Dass die Wohlhabenderen, die Bessergestellten wie ich zum Beispiel, die starken Schultern – so habe ich das ausgedrückt –, mehr tragen und Solidarität leisten müssen, ist für mich eine Selbstverständlichkeit in einer sozialen Marktwirtschaft. Gerade in einer Situation, in der kleine Unternehmer, Geschäftsinhaber, viele Arbeitnehmer unverschuldet in große finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. Als Bischof ist es nicht meine Aufgabe, ein bestimmtes Konzept zu unterstützen, aber dass wir zur Solidarität aufrufen müssen, das ist für mich untrennbar mit dem christlichen Glauben verbunden.