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Ganztag

So kann guter Ganztag klappen

Vor 20 Jahren besuchten knapp 10 Prozent der Schülerinnen und Schüler Ganztagsschulen. Bis heute wurde diese Quote auf nahezu 50 Prozent erhöht. Allerdings bleibt die Qualität des Angebots vieler Einrichtungen hinter den Erwartungen zurück.

2003 startete der Bund sein vier Milliarden Euro schweres Ganztagsschulprogramm. Die Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen sollten von der sozialen Herkunft entkoppelt werden. (Foto: IMAGO/PEMAX)

Die Erfolgsgeschichte der Ganztagsschule in Deutschland verdankt sich zwei Treibern: Zum einen stand und steht die dominierende Halbtagsschule im Widerspruch zu den Interessen junger Familien und alleinerziehender Mütter und gelegentlich auch Väter, die ihre beruflichen Qualifikationen als Erwerbstätige nutzen wollen und häufig genug aus Gründen des Broterwerbs auch nutzen müssen, daran aber durch die fehlende Ganztagsbetreuung ihrer Kinder gehindert werden. Zum anderen mehren sich insbesondere nach der Veröffentlichung der ersten PISA-Studie 2001 die Klagen darüber, dass in den Schulen zu wenig individuell gefördert werde.

Ganztagsschulen, so die Hoffnung, könnten einen geeigneten Rahmen für ein Mehr an individueller Förderung bieten. In diesem Kontext leitete die Bundesregierung 2003 mit dem vier Milliarden Euro schweren Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB) eine Phase des Ausbaus der Ganztagsschulen ein.

So erfolgreich der damit beschrittene Weg auch war, so wenig vermag dieser Erfolg darüber hinwegtäuschen, dass – unbeschadet zahlreicher exzellenter Ganztagsschulen – die Qualität der Ganztagsschulen oft weit hinter den Erwartungen zurückbleibt. Oft sichern Ganztagsangebote den Familien die Betreuung ihrer Kinder über den Vormittag hinaus, vernachlässigen aber zugleich die Förderung der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen.

Räume und Personal fehlen

Bezogen auf die Frage, welche Schwächen die bisherige Entwicklung geprägt haben und wo Anstrengungen zur qualitativen Verbesserung der Ganztagsschulen ansetzen sollten, geben die folgenden Feststellungen Hinweise (vgl. Radisch u. a. 2017):Den meisten Gesamtschulen fehlen die räumlichen Voraussetzungen für den Ganztagsbetrieb. Die personellen Ressourcen (Lehrkräfte und nichtlehrendes Personal) reichen nicht einmal ansatzweise aus. Die Verzahnung von Unterricht und außerunterrichtlichen Aktivitäten ist unzureichend, findet kaum statt. Schulleitungen, in denen in der Regel das nicht lehrende Personal nicht vertreten ist, arbeiten vielfach in der Tradition der Halbtagsschule. Und: Die konzeptionelle Spaltung zwischen offenen und gebundenen Ganztagsschulen steht einer zukunftsorientierten Entwicklung hin zur Ganztagsschule als Normalfall im Wege.

Offene versus gebundene Ganztagsschule

Für die zeitliche Ausgestaltung der Ganztagsschulen sind zwei Elemente bedeutsam: die Zahl der wöchentlichen Stunden, die sich aus der Addition von Unterricht und außerunterrichtlichen Aktivitäten ergibt, sowie die Verbindlichkeit der Teilnahme am Ganztagsbetrieb für die Kinder und Jugendlichen einer konkreten Ganztagsschule. Zu beiden Aspekten gibt es – bei allen Unterschieden zwischen den Ländern – bundesweite Gemeinsamkeiten: Im Verständnis der Kultusministerkonferenz (KMK) sind Ganztagsschulen Schulen, in denen „mindestens drei Tage in der Woche ein ganztägiges Angebot für Schülerinnen und Schüler bereitgestellt wird“. Mit Blick auf die Teilnahme am Ganztagsangebot gibt es zwei Modalitäten: In der gebundenen Form müssen alle Schülerinnen und Schüler am Ganztag verpflichtend teilnehmen, in der offenen Form nutzt nur ein Teil der Kinder und Jugendlichen den Ganztagsbetrieb.

Der Unterschied zwischen den beiden Formen ist für die pädagogische Gestaltung einer Ganztagsschule hoch bedeutsam: In der offenen Form, an der derzeit 55 Prozent der Ganztagsschülerinnen und -schüler teilnehmen, muss der gesamte Unterricht am Vormittag – wenn alle da sind – stattfinden; nur in der gebundenen Ganztagsschule kann der Nachmittag in das Unterrichtsgeschehen einbezogen werden.

Wöchentliche Mindestöffnungszeit

Wer die Spaltung in diese beiden Varianten aufheben will, muss wissen: Eine Mehrheit der Erziehungsberechtigten bevorzugt die offene Form, in der die Teilnahme am Nachmittagsprogramm freiwillig ist. Vor diesem Hintergrund haben Radisch u. a. eine zeitliche Gestaltung vorgeschlagen, die von der Einteilung in gebundene und offene Ganztagsschulen abweicht: Alle Ganztagsschulen sollen eine wöchentliche Mindestöffnungszeit von acht Zeitstunden an fünf Wochentagen haben. Innerhalb dieser insgesamt 40 Zeitstunden gibt es am Vormittag ebenso wie am Nachmittag verpflichtende Präsenzzeiten für den Unterricht und für außerunterrichtliche Angebote. Darüber hinaus gibt es Angebote, die freiwillig genutzt werden können.

Diese zeitliche Strukturierung böte einerseits bessere Bedingungen für die Verzahnung von Unterricht und außerunterrichtlichen Aktivitäten, eröffnete den Schülerinnen und Schülern andererseits die Möglichkeit, nicht durchgängig an 40 Zeitstunden in der Schule präsent zu sein, sondern auch während der Woche eigene außerschulische Aktivitäten auszuüben.

Feste Kooperationszeiten

Die Aufhebung der strikten Trennung von Vormittag (mit Unterricht) und Nachmittag (mit überwiegend außerunterrichtlichen Aktivitäten) würde Opportunitäten für die Verbesserung der dringend erforderlichen Kooperation zwischen den Lehrkräften und dem nicht lehrenden pädagogischen Personal schaffen. Dadurch, dass beide Gruppen am Vor- und am Nachmittag mit den Schülerinnen und Schülern arbeiten, wird die durch die tradierte Zeitstruktur vorgegebene Barriere zwischen ihnen abgebaut. Damit daraus eine bessere Ganztagsschule wird, müssen in den Schulen fest vereinbarte Kooperationszeiten und überlappende Anwesenheitszeiten für die verschiedenen Personalgruppen eingerichtet werden. Und – nicht zuletzt: In den Schulleitungen der Ganztagsschulen muss das nichtlehrende pädagogische Personal beteiligt sein.