Studie
So ist Ganztag schwierig umzusetzen
Das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) befragt Schulleitungen regelmäßig, wie sie ihren Arbeitsalltag erleben. E&W sprach mit Studienleiterin Sarah Fichtner über Erkenntnisse für die Umsetzung der Ganztagsschule.
- E&W: Allgemein gefragt: Wie viel Lust haben Schulleitungen auf Ganztag?
Sarah Fichtner: Das ist eine gute Frage. Was wir konkret wissen: 40 Prozent sprechen sich für eine flächendeckende Umsetzung des gebundenen Ganztags aus, also für die anspruchsvollste Form der Verzahnung von Bildung, Betreuung und Freizeitangeboten. Nach offenem Ganztag haben wir nicht gefragt. Die Vorstellungen darüber, was das ist, gehen doch sehr weit auseinander.
- E&W: Das bedeutet aber auch: Über die Hälfte der Schulleitungen wünscht sich keine flächendeckende Umsetzung des gebundenen Ganztags.
Fichtner: Sehr knapp: 51 Prozent lehnen diese ab; 9 Prozent haben sich nicht geäußert. Ich interpretiere das nicht so, dass 51 Prozent das Modell „Ganztag“ per se ablehnen. Bisher arbeitet weniger als jede fünfte Schulleitung an einer gebundenen Ganztagsschule, die Mehrheit kennt diese also nicht in der Praxis. Viele denken womöglich: Wer weiß, ob das für alle oder für meine Schülerinnen und Schüler passt – und ob die Rahmenbedingungen passend sein werden.
- E&W: Wie sind die Rahmenbedingungen zurzeit?
Fichtner: Nicht ausreichend. Wir haben die Leitungspersonen gefragt, wie sie sich Schule wünschen und wie sie diese erleben. Die Diskrepanz ist enorm. Drei Beispiele: 89 Prozent sagen, an einer der Zukunft zugewandten Schule arbeiten multiprofessionelle Teams – aber nur ein Drittel hat diese. Vernetzung im Sozialraum halten 91 Prozent für wichtig, aber nur 42 Prozent erleben diese. Bei der Frage nach geeigneten Bauten und Räumen – wir haben das „adaptive Raumstrukturen“ genannt – liegt das Verhältnis sogar bei 88 zu 7 Prozent. Eine Leiterin sagte uns, sie könne doch ihren Schülerinnen und Schülern nicht zumuten, den ganzen Tag in einer Klasse auf einem Stuhl sitzenzubleiben. Unter den Bedingungen ist ein gutes Ganztagskonzept nur schwierig umzusetzen.
- E&W: Wie sieht es mit den Arbeitsbedingungen der Schulleitungen aus?
Fichtner: Ebenfalls nicht ausreichend: Guter Ganztag braucht ein rhythmisiertes Angebot mit Lern-, Erholungs- und Essenszeiten – ein ganzheitliches Bildungskonzept mit guter Steuerung. All das muss entwickelt werden. Zugleich macht die überwiegende Mehrheit deutlich: Es fehlt an Leitungszeit. Ein weiteres Manko: Die meisten sprechen sich für Leitungsteams aus, die immer noch die Ausnahme sind. Ein Mitglied einer Schulleitung gab uns mit auf den Weg: „Ich wäre lieber Beziehungsarbeiter als Verwaltungsroboter.“
- E&W: Haben Sie auch nach dem Qualifizierungsbedarf gefragt?
Fichtner: Ja, rund zwei von drei stimmen eher oder ganz zu, dass mehr offene Stellen mit Schulleiterinnen oder Schulleitern besetzt werden könnten, wenn diese einheitlich qualifiziert wären. Wichtiger noch scheint vielen eine Schulentwicklungsbegleitung – die wünschen sich 82 Prozent für die Schule der Zukunft. Dazu passt, dass wir von Schulen wissen, die mit innovativen Konzepten vorangehen: Sie haben sich sehr oft Unterstützung organisiert. Auch Coaching der Leitungs- wie Lehrpersonen ist ein stärkender Faktor für Schulentwicklung.
- E&W: Hat Sie an den Ergebnissen etwas überrascht?
Fichtner: Im Grunde, wie groß – bei allen Widrigkeiten – die Zustimmung zum gebundenen Ganztag ist. Mehr als acht von zehn Leitungspersonen sagen, dieser helfe Schülerinnen und Schülern bei der Strukturierung des Alltags, ermögliche mehr als nur leistungsbezogenes Lernen, diene der sozialen Integration. Das sagt immer noch nichts darüber aus, wie viel Lust auf Ganztag Schulleitungen aktuell haben. Aber die überwiegende Mehrheit erkennt dessen Potenziale.