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Graphic Recording

Simultandolmetschen mit Papier und Stift

Graphic Recorder werden oft für Konferenzen gebucht. Ihr Job ist es, Debatten in großformatige Zeichnungen zu übersetzen. Auch GEW-Tagungen werden häufig so dokumentiert und unterstützt – zum Beispiel von Ka Schmitz.

Manchmal sagt Ka Schmitz, die mit bürgerlichem Namen Katharina Schmitz heißt, über einen Arbeitseinsatz auch: „Ich habe einen Gig.“ Ein hoher Adrenalinspiegel und eine Art Bühnensituation gehören in ihrem Job nämlich dazu: Die Illustratorin und Comiczeichnerin aus Darmstadt wird regelmäßig für Graphic Recordings von Konferenzen gebucht. Das bedeutet, sie visualisiert das, was auf dem Podium oder in der Gruppe diskutiert wird, in Echtzeit mit dem Zeichenstift und auf großformatigen Plakaten. „Das ist ein bisschen wie Simultandolmetschen“, erklärt die 46-Jährige.

Dabei muss sie genau zuhören, Inhalte blitzschnell selektieren, im Kopf in ein Bild oder eine ganze Szene übersetzen, dann auf ein Minimum reduzieren und per Hand zeichnen – und parallel weiter dem Vortrag oder der Debatte folgen. Das erfordert höchste Konzentration: „Ich muss in eine Art meditativen Zustand gehen, um es zu schaffen“, sagt sie. Dabei helfen: Wasser, Koffein und Lampenfieber. „Nach eineinhalb Stunden brauche ich aber immer eine Pause.“

Vor jedem Einsatz führt die Illustratorin Vorgespräche, um zu wissen, in welche Richtung die Veranstaltung gehen und welches Ziel am Ende stehen soll. Auf dieser Basis überlegt sie sich ein visuelles Vokabular oder recherchiert passende Bilder. Als sie sich auf einen Kongress mit Vertretern der Automobilindustrie vorbereitete, musste sie sich zum Beispiel erst mal schlau machen, wie verschiedene Fahrzeugtypen aussehen.

Ursprung im Silicon Valley

Ihre visuellen Notizen dokumentieren Ergebnisse aber nicht nur, sondern machen auch den Weg dorthin sichtbar bzw. fördern ihn. „Es freut mich, wenn Leute finden, dass meine Zeichnungen schön aussehen, aber in erster Linie geht es um das Verstehen“, sagt Schmitz. Dabei muss die Illustratorin, die ihren Stil als comichaft und verspielt sowie mit Fokus auf Menschen und Gefühlen beschreibt, zwar objektiv bleiben, aber „meine Werte und Perspektiven fließen natürlich mit ein“. So bekam ein Umweltschützer auf dem Plakat der Autobranche auffällig viel Platz. Auch Zwischentöne hält sie fest: „Wenn jemand inhaltlich nicht wirklich was beisteuert, wird das Bild unscharf. Und wenn sich etwas endlos wiederholt, höre ich auf zu zeichnen.“

Als die Kommunikationsdesignerin vor rund zehn Jahren begann, Graphic Recording anzubieten, war diese Art der Dokumentation hierzulande noch nicht verbreitet. „Der Trend kam aus den USA, dort setzen es die Kreativkonzerne im Silicon Valley ein. Diese Legende wurde mir zumindest erzählt.“ Einer ihrer ersten Jobs war die Moderation eines Konfliktes in der Kita ihrer Kinder. Damals bot Schmitz ihre Dienste an, um sich mal auszuprobieren. „Es hat mich beeindruckt, wie gut das geklappt hat.“ Denn bei dem Tempo, in dem gearbeitet wird, kann schnell was schiefgehen oder missverstanden werden. „Jeder Strich muss sitzen – oder so bleiben.“

„Die Bilder müssen einfach sein, wenige Striche, die schnell gezeichnet werden können – aber oft ist es viel Entwicklungsarbeit, bis man dahin kommt.“ (Ka Schmitz)

Viele Bilder oder Symbole gehören derweil zu ihrem Standardrepertoire. „Ich arbeite viel im sozialen Bereich, meine Schwerpunkte sind Diversity, Inklusion, Pädagogik und Rassismus. Da taucht der Begriff Augenhöhe fast immer auf.“ Diesen stellt sie meist als zwei sich anschauende Gesichter dar und zieht zwischen den Augen eine gestrichelte Linie. „Die Bilder müssen einfach sein, wenige Striche, die schnell gezeichnet werden können – aber oft ist es viel Entwicklungsarbeit, bis man dahin kommt.“ Dabei versucht sie grundsätzlich immer auch, Vielfalt mit Blick auf Geschlecht, Kultur, Hautfarbe oder Behinderung abzubilden.

Wenn Schmitz live zeichnet, trägt sie eine Gürteltasche, in der 15 bis 20 Stifte stecken, drei bis vier davon hat sie immer gleichzeitig in der Hand. Ihre favorisierten Farben wechseln dabei: Aktuell sind es Petrol und Hellrot. Rückblickend scheint es fast klar, dass die Kommunikationsdesignerin beim Graphic Recording landete. „Ich habe schon in der Schule in der 1. Klasse meine Mitschriften als Mischung aus Bild und Text gemacht – intuitiv und lange, bevor es Begriffe wie Mindmap dafür gab.“

Graphic Recording zur Veranstaltung #mutzurpromotion – Gelebte Diversität? Chancen(un)gleichheiten auf dem Weg zur Promotion (Digitales GEW-Seminar im März 2021) (Foto od. Illu: Angela Graf)

Umzug ins Netz

Mit Beginn der Corona-Pandemie wusste sie sofort: „Ich muss ins Netz umziehen.“ Erst befürchtete sie technische Hürden, weil sie vorher nie live auf dem iPad gezeichnet hatte. Dafür fand sich jedoch eine Lösung: Sie arbeitet weiter auf Papier, kaufte sich aber eine Dokumentenkamera, die von oben abfilmt, wie sie händisch auf dem Plakat zeichnet.

Das digitale Arbeiten hat für sie Vor- und Nachteile: Einerseits fallen Reisen quer durch die Republik weg, außerdem kann Digital Graphic Recording anstrengende Videokonferenzen auflockern und helfen, die Konzentration zu halten. Darüber hinaus kann das Ergebnis unmittelbar weiterverwendet werden, etwa als Post in sozialen Medien. Andererseits fehlt es der Illustratorin, nah an den Teilnehmenden zu sein, die Atmosphäre zu spüren und Blickkontakt zu haben. Zudem droht Reizüberflutung, wenn neben ihren Zeichnungen noch eine Powerpoint-Präsentation gezeigt wird.

Aufträge hat sie durch die Pandemie nicht verloren. Bei sozialen Trägern und Gewerkschaften, für die Schmitz wegen ihrer thematischen Schwerpunkte meist arbeitet, gibt es für einen Arbeitstag in der Regel ein Honorar im unteren vierstelligen Bereich. Für viele klinge das viel, sagt sie, aber: Fünf Stunden reine Zeichenzeit bedeuten inklusive Vorbereitung schnell mehrere Tage Arbeit.