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fair childhood

Simbabwe: Schule statt Plantage

In einer ländlichen Gegend im Süden Afrikas wollen zwei Lehrkräftegewerkschaften eine kinderarbeitsfreie Zone schaffen. Die GEW-Stiftung fair childhood unterstützt das Projekt, dessen Erfolg sich auch an wieder steigenden Schülerzahlen messen lässt.

In Simbabwe unterstützt die GEW-Stiftung Fair Childhood Schulprojekte der beiden größten Bildungsgewerkschaften des Landes. Foto: Samuel Grumiau

Unterricht als Arbeitslohn – eine haar­sträubende Idee? Für Kinder in Chipinge, einem Verwaltungsbezirk der Provinz Manicaland im Osten Simbabwes, war das bis vor wenigen Jahren Alltag. „Earn and Learn“ – „Verdiene Geld und lerne“ – nannte sich das Modell, das sich einer der größten Teeproduzenten in der Region ausgedacht hatte. Kinder durften die fir­meneigenen Schulen besuchen, wenn sie im Gegenzug auf den Plantagen des Kon­zerns schufteten. Viele Jahre ging das so.

Nachdem von humanitären Organisati­onen und Medien Kritik laut geworden war, stellte das Unternehmen „Earn and Learn“ 2013 ein. Zwei Jahre später wähl­ten die beiden größten Bildungsgewerk­schaften des Landes, die „Progressive Teachers’ Union of Zimbabwe“ (PTUZ) und die „Zimbabwe Teachers’ Associa­tion“ (ZIMTA) Chipinge zum Schauplatz eines ehrgeizigen Vorhabens. Sie woll­ten eine „von jeglicher Kinderarbeit freie Zone“ verwirklichen – eine Idee, die in der entlegenen Gegend bislang alles an­dere als selbstverständlich war.

„Wesentlich ist, die lokalen Gemeinschaften in ein solches Projekt einzubeziehen. Wir können mit unseren Argumenten gegen Kinderarbeit nichts ausrichten, wenn die Menschen vor Ort nicht verstehen, worum es geht.“ (PTUZ-Generalsekretär Raymond Majongwe

Chipinge bildet mit rund 300.000 Ein­wohnern auf 5.200 Quadratkilome­tern den Südzipfel der an der Grenze Simbabwes zu Mosambik gelegenen Provinz. Teeplantagen sind das wirt­schaftliche Rückgrat der Region. Dass es sinnvoller ist, den Nachwuchs bereits in jungen Jahren mit anpacken zu lassen als ihn zur Schule zu schicken, ist ein Gedanke, der für viele Menschen hier bisher nichts Anstößiges hatte.

Entsprechend mühselig war die Überzeu­gungsarbeit, die die Initiatoren des Pro­jekts „Kinderarbeitsfreie Zone“ anfangs zu leisten hatten – sowohl bei Eltern, die obendrein die von den meisten Schulen erhobenen Gebühren scheuten, als auch bei den wirtschaftlich den Ton angeben­den Teeproduzenten. „Wesentlich ist, die lokalen Gemeinschaften in ein solches Projekt einzubeziehen“, sagt PTUZ-Ge­neralsekretär Raymond Majongwe. „Wir können mit unseren Argumenten gegen Kinderarbeit nichts ausrichten, wenn die Menschen vor Ort nicht verstehen, worum es geht, erst recht nicht, wenn sie den Eindruck haben, dass es sich um ein ihnen fremdes Anliegen handelt, das wir ihnen aufnötigen.“

Dass PTUZ und ZIMTA sich für Chipinge als Pilotregion gegen Kinderarbeit entschieden, war auch eine Folge des Plantagen-Modells „Earn and Learn“. Genauer gesagt des Umstands, dass dessen Ende ausgerechnet zu Lasten derer gegangen war, denen die Kriti­ker mit ihrem Protest hatten beistehen wollen, nämlich der Kinder. Als diese nicht mehr für den Teekonzern arbei­ten durften, blieben ihnen auch die betriebseigenen Schulen verschlossen. Die Erfahrung hinterließ in der Bevöl­kerung ein gewisses Misstrauen gegen Initiativen, die von außen an sie heran­getragen werden, war doch auch „Earn and Learn“ nicht durch Proteste aus der Region selbst, sondern durch die Kritik Außenstehender beendet worden.

Mittlerweile haben mehr als 100 Lehrkräfte in Chipinge an Schulungen der beiden Gewerkschaften zum Thema Kinderrechte teilgenommen. „Diese Lehrerinnen und Lehrer sind unsere Botschafter in der lokalen Gemein­schaft. Dank unserer Ausbildung sind sie gerüstet, um mit Eltern, Gemeindevorstehern, den Kindern selbst über die Gefahren zu reden, die mit Kinderarbeit einhergehen“, erklärt ZIMTA-Chef Sifiso Ndlovu.

„Das fördert erheblich das Verständnis der Schüler für Kinderrechte. Sie tragen das Gelernte weiter in Familien und Freundeskreise.“ (ZIMTA-Koordinatorin Angelina Lunga)

Die Projektkoordinatorin der PTUZ dis­kutiert regelmäßig in Schulen mit den Kindern und Heranwachsenden über das Problem der Ausbeutung Minder­jähriger. Anschließend lässt sie Aufsät­ze über das Gehörte schreiben. Joseph Machuwaire, Direktor der weiterfüh­renden Schule „Avontuur“, ist von den Ergebnissen angetan: „Diese Diskussi­onsrunden sind wesentlich für einen Mentalitätswandel.“ Zu Zeiten von „Earn and Learn“ habe in Chipinge nicht einmal Kritik an Kinderarbeit geäußert werden dürfen: „Das ändert sich zusehends. Nach diesen Veranstaltungen sind schon Eltern zu uns gekommen, um über Kinderarbeit zu reden.“

Die PTUZ hat zwei Übergangsschulen eingerichtet und 23 Lehrer in Methoden der beschleunigten Wissensvermittlung ausgebildet, um Kinder, die nach dem Ende von „Earn and Learn“ lange nicht mehr zur Schule gegangen sind, wieder in das Bildungssystem zu integrieren. Auch dass viele Mädchen mit Beginn der Pubertät nicht in den Unterricht kommen, weil Rückzugsräume für die Intimkörperpflege fehlen, hat die Ge­werkschaft im Blick. Sie sorgte dafür, dass die Übergangsschulen seit einigen Monaten mit geeigneten Sanitäranla­gen ausgestattet sind.

Die ZIMTA kümmert sich derweil an elf Schulen um die Wiederbelebung der von Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern gebildeten „Kinderschutz- Ausschüsse“. Die gibt es im Prinzip über­all in Simbabwe; vielerorts existieren sie allerdings nur auf dem Papier. An den beteiligten Schulen organisieren die Ausschüsse nun Straßentheater, Lieder-und Tanzdarbietungen, die die Botschaft des Kampfes gegen Kinderarbeit in die Öffentlichkeit tragen. Auch Unterrichts­einheiten zum Thema Kinderrechte gibt es inzwischen. Die Schülerinnen und Schüler lernen etwa, dass es für ihre Bildungschancen einen gravierenden Unterschied macht, ob sie in der Freizeit gelegentlich den Eltern bei der Hausar­beit zur Hand gehen – oder regelmäßig auf einer Plantage beschäftigt sind. „Das fördert erheblich das Verständnis der Schüler für Kinderrechte. Sie tragen das Gelernte weiter in Familien und Freun­deskreise“, sagt ZIMTA-Koordinatorin Angelina Lunga.

Der Erfolg des Projekts lässt sich auch beziffern, etwa an der Sekundarschule „Ratelshoek“. Dort sei nach dem Aus­laufen von „Earn and Learn“ die Schü­lerzahl auf 400 gesunken – kaum ein Jahr nach Beginn der gewerkschaftli­chen Initiative wieder auf 498 gestie­gen, erklärt Direktor Khosa Cames. An den beteiligten Bildungseinrichtungen nahm zwischen 2017 und 2018 der Schulbesuch insgesamt um 6,2 Prozent zu. Profitiert haben aber auch die Ge­werkschaften. Die PTUZ verzeichnete in der Region einen Mitgliederzuwachs um 70 Prozent.

Aus dem Französischen übersetzt von Winfried Dolderer, freier Journalist