Es gilt die Annahme: Das Zuhause sei privat und unpolitisch. Hier wird am WG-Tisch zwar über alles Mögliche diskutiert, über die letzte Demo und welchen Redebeitrag man besonders gut fand. Über sexistische Ausfälle von Dozent*innen oder Mitstudierenden oder über die letzten rassistischen oder homofeindlichen Aktionen irgendwelcher Trottel. Dann brainstormt man gemeinsam, was dagegen getan werden müsste oder verabredet gleich eine kleine Gegenaktion. Ab und zu wird auch darüber gehatet, was der Vermieter im letzten Brief schon wieder wollte und dass die letzte Nebenkostenabrechnung auch irgendwie komisch war. Leider wird hier viel zu selten eine Gegenaktion verabredet oder auch nur darüber nachgedacht. Aber warum eigentlich? Ließen sich die Probleme nicht viel besser gemeinsam lösen?
Dieser Umgang mit den Schwierigkeiten mit Vermieter*innen, mit zu teuren Wohnungen, mit schlechter infrastruktureller Anbindung etc. sei eine rein persönliche und nicht politische Problemlage, heißt es. Doch das ist falsch. Wir müssen anfangen, diese Probleme als die politischen zu verstehen, die sie sind.
Keine Einzelfälle
Wer kann sich heute noch eine Wohnung in der Innenstadt oder in der Nähe des Campus oder der Arbeitsstätte leisten? Stattdessen wohnen viele weit außerhalb der Stadtzentren oder gleich im Nachbarort. Für viele Student*innen reicht der Wohnzuschuss aus dem BAföG schon lange nicht mehr. 250 Euro im Monat sind in fast allen Studistädten viel zu wenig, in den meisten Großstädten ist das ein schlechter Scherz. Die meisten Student*innen müssen, um sich ihr Leben leisten zu können, zusätzlich arbeiten oder Verwandte anpumpen. Man braucht keine weitere Expertise um zu erkennen: die mangelnde Unterstützung trifft vor allem Student*innen, die keine großen Zuschüsse von den Eltern erwarten können.
Aber nicht nur Studierende leiden unter dieser Wohnungspolitik, viele andere gesellschaftliche Gruppen werden von der aktuellen Politik ebenfalls vernachlässigt. Geringverdiener*innen etwa oder Menschen, die sowieso schon auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen sind, müssen sich mit Wohnungen zufrieden geben, die in ihrem geringen finanziellen Rahmen möglich sind, die aber wenig mit ihren Vorstellungen oder angemessenen Wohnverhältnissen zu tun haben. Familien oder Alleinerziehende können sich keine Wohnungen mit separaten Kinderzimmern leisten, in denen Platz zum Spielen wäre. Menschen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, bekommen sogar vorgeschrieben, wie groß ihre Wohnungen sein dürfen. Auszubildende oder ältere Menschen, die mit einer geringen Ausbildungsvergütung bzw. einer spärlichen Rente auskommen müssen, können dadurch häufig nicht frei über ihren Wohnort entscheiden. Auszubildende werden gegebenenfalls weiter an Elternhaus und Wohnort gebunden, obwohl sie sich vielleicht gern von dort emanzipieren möchten. Rentner*innen können gegebenenfalls nicht selbst bestimmen, wo und wie sie ihre Zeit nach der Lohnarbeit verbringen möchten. Dabei hat jede*r den Anspruch auf ein schönes Leben, und das beinhaltet eben auch die Wohnung. Das bedeutet, eine tatsächliche Auswahl zwischen Wohnungen und dem Wohnort zu haben. Stattdessen nimmt die Segregation ärmerer Menschen immer mehr zu.
Ökonomisch schlechte Situationen sind also ein Grund für systematische Benachteiligung auf dem Wohnungsmarkt. Ein anderer Grund ist der alltägliche Rassismus, der Menschen, die einen „fremden“, ethnischen, kulturellen oder religiösen Hintergrund haben oder zugeschrieben bekommen, widerfährt. So schreibt die Anti diskriminierungsstelle des Bundes in einer Studie zur Diskriminierung aufgrund (zugeschriebener) Religionszugehörigkeit: „Es erhalten nur etwa 18 Prozent der muslimischen oder jüdischen gegenüber 58 Prozent der christlichen mehrheitsdeutschen Testerinnen eine Wohnungszusage.“ Ähnlich sind die Ergebnisse für Menschen mit zugeschriebenem oder tatsächlichem Migrationshintergrund. Insbesondere Geflüchtete sind, teilweise sogar staatlich gesteuert, diesen Rassismen ausgeliefert. In Bamberg befindet sich beispielsweise die Aufnahmeeinrichtung Oberfranken, in der bis 3.4002 Geflüchtete untergebracht werden. Die Einrichtung befindet sich am Rand der Stadt und ist infrastrukturell schlecht angebunden, ein Musterbeispiel für die Segregation von Geflüchteten an die Stadtränder.
Insgesamt zeigt sich, wie die ökonomische Situation und die auf die Wohnverhältnisse auswirkende Benachteiligung sich gegenseitig beeinflussen und zusammenwirken. So sind beispielsweise Geflüchtete finanziell abhängig, wodurch sich die ökonomische Situation und rassistische Vorurteile zu einem Problemkomplex bei der Wohnungssuche verschränken. Diese Erkenntnis bedeutet vor allem, die Gründe für diese Missstände gemeinsam und solidarisch zu bekämpfen und sich nicht gegenseitig ausspielen zu lassen.
Die Ausgrenzung von Menschen aufgrund ihres sozialen Status oder der Gesellschaft innewohnende Rassismen befeuern gesellschaftliche Spaltungen, und das nicht zufällig, sondern systematisch. Die Lösungsvorschläge sind vielfältig, von der Forderung nach funktionierenden Mietpreisbremsen und mehr sozialem Wohnungsbau über mehr Geld für Student*innenwohnheime oder der Erhöhung von Wohnzuschüssen bis hin zu Sensibilisierung von „Gatekeepern“ auf dem Wohnungsmarkt und der Thematisierung von Rassismus allgemein. Warum aber ist es essentiell, dass wir unsere Wohnverhältnisse grundsätzlich in Frage stellen und politisieren?
Politisiert euch: Bildet Banden!
Die Probleme sind systematisch. Zuschüsse zu erhöhen oder Gesetze zu ändern, kann nur ein erster Schritt sein. Weitere Schritt e können nur erreicht werden, wenn der öffentliche Druck ausreicht. Druck auf politische Verhältnisse wird aber nicht durch einzelne Appelle an Autoritäten erreicht. Die Analyse muss weitergehen. Segregation befeuert soziale Missstände auf vielen Ebenen, das ist nicht nur ein Problem der Entfernung zum Stadtzentrum. Wir müssen viele weitere Fragen stellen:
Was ist mit gesellschaftlicher Teilhabe? Wie kann am kulturellen Leben einer Stadt teilgenommen werden, wenn dieses nur im Zentrum stattfindet und die Randbezirke schlecht angebunden sind? Wir brauchen überall Möglichkeiten zur Teilhabe!
Was ist mit unserem Bildungssystem, bei dem das mehrgliedrige Schulsystem nicht nur nach „Leistung“ (was schon schlimm genug ist), sondern auch nach Wohnort einteilt? Warum sind Gymnasien und Gesamtschulen auf die Viertel einer Stadt bzw. zwischen Stadt und ländlichen Regionen verteilt, wie sie sind? Wir brauchen überall gute Bildungsangebote!
Was ist mit Solidarität, wenn verschiedene Gruppen systematisch gegeneinander ausgespielt werden? Warum heißt es Studierendenwohnheim oder Sozialwohnungen? Warum heißt es Altenheim oder Unterkunft für Geflüchtete? Wir brauchen Wohnraum für alle!
Wir müssen Druck aufbauen, dieser muss von politisierten, die Verhältnisse hinterfragenden Menschen ausgehen.